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Unbehagliches Gedenken vorm Shopping-Center

Gedenkstein des Anstoßes (8): Die Gedenkstätte Schillstraße in Braunschweig für die Opfer des dortigen KZ-Außenlagers steht neben einem Kriegerdenkmal für den preußischen Offizier Ferdinand von Schill. Auf dem ehemaligen Lagergelände befindet sich heute ein Einkaufszentrum

Trügerische Idylle aus Natur, Architektur und Gedenken: Gedenkstätte für NS-Opfer in der Schillstraße Foto: Bettina Maria Brosowsky

Von Bettina Maria Brosowsky

Eine Postbotin macht hier noch einmal Pause, kurz vor dem Ende ihrer Tour, und auch ein Radler. Ein schmutziger Schlafsack und Essensreste deuten darauf hin, dass wohl auch längere Ruhepausen an diesem Ort verbracht werden: am Rande der Braunschweiger Innenstadt gelegen, idyllisch unter Bäumen und doch ein wenig Schutz bietend dank diverser Architekturen.

Dieser Ort ist die Gedenkstätte Schillstraße und hat eine lange Geschichte. Ursprünglich wurde hier Ferdinand von Schill (1776–1809) gedacht, einem preußischen Major von verhängnisvoller Selbstüberschätzung, der sich 1809, auf eigene Initiative, mit einem Freikorps gegen die napoleonische Herrschaft auflehnte. Seine Mannen wurden bei Stralsund geschlagen, er selbst fiel dort bei einem Fluchtversuch. Anschließend wurde sein Kopf fachgerecht abgetrennt und in Alkohol konserviert: erst eine Trophäe für Jérôme von Westphalen, dann im Naturalienkabinett der Universität Leiden inventarisiert.

Einige der Schill-Offiziere wurden standrechtlich erschossen, so, nach Losentscheid, auch 14 der nach Braunschweig als Gefangene Überstellten. Als 1835, Jahre nach dem Ende der französischen Herrschaft, ihre sterblichen Überreste am Ort eines jetzigen Denkmals gefunden wurden, ergriffen ein lokaler Schriftsteller, Pa­trio­t:in­nen und weitere Nationalgesinnte die Initiative für eine würdevolle Bestattungsgruft samt Monument.

Sie wurde im März 1837 eingeweiht, im Herbst dann auch das Schill-Haupt dort beigesetzt. Das bekrönende Grabdenkmal „folgt der Maßgabe des Klassizismus und bildet mit seinen monumentalen Formen sowie aufgesetztem Eisernen Kreuz einen Archetyp für deutsche Krieger- bzw. Gefallenendenkmälern des späten 19. sowie des 20. Jahrhunderts“, so der Denkmalatlas des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege. 1840 folgte ein „Invalidenhaus“. Hier sollte, unfreiwillig ähnlich den Ziereremiten englischer Landschaftsgärten, ein Schill-Veteran logieren, sich um die Anlage kümmern und Be­su­che­r:in­nen die Heldentaten seines Anführers nahebringen.

Damit kam die politische Instrumentalisierung des Ortes und der Person Schill in Fahrt. Der deutsch-französische Krieg 1870/71, die Reichsgründung unter Bismarck, das NS-Regime samt SS, ab den 1950er-Jahren die Bundeswehr oder der Reichsbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge: Hier gedachten diverse Ak­teu­r:in­nen ihrer Gefallenen, versicherten sich ihrer geistigen Ahnherrschaft und ihres aktuellen politischen Auftrags.

Diese an sich schon fragwürdige Geschichte ist aber nicht alles. Direkt neben der Schill-Stätte bestand ab Ende 1944 das Außenlager „Büssing“ des Hamburger Konzentrationslagers Neuengamme. Über 1.000 aus Auschwitz herbeigebrachte Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen mussten unter menschenverachtenden Bedingungen für den lokalen LKW-Hersteller schuften oder Trümmer räumen. Die Todesquote vor Ort war hoch, zudem wurde, wer als „nicht mehr arbeitsfähig“ galt, Richtung Vernichtungslager abtransportiert.

Das Lagergelände nebst Baracken diente, wie auch andernorts üblich, noch einige Jahre der britischen Besatzungsmacht, ab 1959 dann der reorganisierten Oberpostdirektion Braunschweig, die alles abreißen und großflächig überbauen ließ. In den 1980er-Jahren formierte sich Protest: am Schill-Gedenken, an der Geschichtsvergessenheit bezüglich der NS-Taten in Braunschweig, am ausradierten KZ-Gelände.

Intellektuelles Sammelbecken wurde der Verein „Arbeitskreis Andere Geschichte“ – und er vollbrachte ein kleines Wunder: Die Stadt Braunschweig erkannte ihren Handlungsbedarf, schrieb 1996 den künstlerischen Wettbewerb eines Mahnmals für die Opfer des KZ-Außenlagers aus. Realisiert wurde der Entwurf der Hamburgerin Sigrid Sigurdsson: ein offenes Archiv, mit Dokumenten im umgebauten Invalidenhaus und peu à peu sich mehrenden Auszügen auf Metalltafeln entlang einer Gedenkmauer. Hinzu kommt der Schriftzug einer rabbinischen Weisheit hinter der Mauer, auf dem Post- und ehemaligen KZ-Gelände: „Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit“. Wer ihn komplett lesen, einen Blick über die Mauer werfen will, muss ein kleines Podest aus grauem Mauerwerk erklimmen. Im Mai 2000 fertiggestellt, führt seit Juli 2019 der „Arbeitskreis Andere Geschichte“ die Gedenkstätte in eigener Verantwortung, ergänzt um wissenschaftliches Personal aus dem Etat der Stadt.

Alles somit in Ordnung? Irgendwie überkommt einen Unbehagen am Ort: Kann man denn Gedenken so bunt kombinieren, so einfach transformieren, solch Zufallsmelange kredenzen? Gabriele Heinen-Kljajić, zwischen 2013 und 2017 Niedersachsens Ministerin für Wissenschaft und Kultur, ist Vorsitzende des „Arbeitskreises“ und sieht diesen Zwiespalt. „Uns würde es ohne Schill-Denkmal nicht geben“, sagt sie, und man kann in Gedanken fortsetzen: also auch nicht die KZ-Gedenkstätte. Aber sie wünscht sich eine kommentierende Erklärung, die Kontextualisierung des Schill-Monuments, das in der jetzigen Präsenz fehl am Platze ist. Zudem weiß wohl niemand, wie lange das nach Abzug der Post dort 2010 angesiedelte Einkaufsparadies den Stachel der Rabbiner-Worte im Fleische seiner Reklametafeln tolerieren wird. Die Idylle aus Natur, Architektur und Gedenken ist mehr als trügerisch.

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