Ein grünes Motorboot spiegelt sichin einem Fluß und fährt an einer Dschungellandschaft vorbei

Unser Autor fährt mit dem Boot von der Kleinstadt Tiputini in die Gemeinde Llanchama Foto: Knut Henkel

Wahlen in Ecuador:Mit „Sí“ für das Ende stimmen

Im Yasuní-Nationalpark in Ecuador wird seit Jahren Erdöl gefördert. Indigene Gemeinden kämpfen gemeinsam mit Umweltorganisationen gegen die Förderung. Jetzt gibt es Hoffnung.

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Aus tiputini, llanchama, 18.8.2023, 16:59  Uhr

Tiputini heißt die vorletzte Haltestation vor der Grenze nach Peru. Ein Anleger, die weiterführende Schule, die Kirche mit dem Marktplatz davor und ein paar Dutzend Häuser – mehr hat die ecuadorianische Kleinstadt im Nordosten des Landes nicht zu bieten. Regelmäßig steuert Fernando Avilés sie an, um Kakaobohnen, Maniok und etwas Gemüse für seine Gemeinde zu verkaufen. „Die Preise sind lausig, aber wir leben davon und von etwas Tourismus“, sagt der 31-jährige, drahtige Mann, zuckt mit den Schultern und führt mich zum Anleger der kleinen Privatboote. Dort wartet seine Frau Gloria mit den drei Kindern, wenig später tuckern wir in seinem Boot über den breiten Strom, der ein paar hundert Kilometer weiter abwärts in den Amazonas fließt.

Der Río Napo ist die Hauptverkehrsader in Ecuadors Amazonasregion und an dieser Stelle, wo er auf den Río Tiputini trifft, besonders breit. Fer­nan­do lenkt das kleine Boot über den Fluss vorbei an Schleppern, auf denen orangefarbene Tanklaster von und zu einer Erdölanlage transportiert werden. „Das ist eine der Förderanlagen vom Bloque 43“, sagt Fernando. Er ist wie viele aus der Kichwa-Gemeinde Llanchama kein Freund der seit 2016 laufenden Erdölförderung im ITT-Ölfeld. Die Initialen stehen für Ishpingo, Tambococha und Tiputini, drei Ölquellen mitten im Yasuní-Nationalpark.

In dem mit 10.000 Quadratkilometern größten Nationalparks Ecuadors, rund vierhundert Kilometer von der Hauptstadt Quito entfernt, hat die indigene Gemeinde Llanchama freie Nutzungsrechte. Das Gleiche gilt für eine gute Handvoll weiterer indigener Dörfer, das Biosphärenreservat wurde 1989 zum Schutzgebiet erklärt. Doch in Ecuador gilt auch, dass der Staat die Verfügungsgewalt über alle Rohstoffe unter der Erde innehat und diese auch in einem der artenreichsten Schutzgebiete der Welt durchsetzt.

Dagegen protestieren Umweltorganisationen und indigene Gemeinden wie Llanchama. Am 20. August findet parallel zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ein Referendum statt, in dem die 13,5 Millionen wahlberechtigen Ecua­do­ri­an­e­r:in­nen entscheiden, ob die Förderung im Bloque 43 rückgängig gemacht werden muss oder nicht.

Fernando Avilés, 31

„Hier beginnt unser Gebiet“

Der Kontrollposten Tiputini der Parkwächter des Yasuní-Nationalparks taucht auf, den Fer­nan­do in aller Regel mit einem Winken passiert. Heute ist alles anders: Es gibt eine Ausweiskontrolle und strenge Blicke, bevor ein Parkwächter mit einem herrischen Winken den Weg flussaufwärts freigibt.

Der Fluss ist etwa 15 Meter breit, von dichtem Regenwald eingefasst. Nach weiteren zehn Minuten Fahrt erklärt Fernando: „Hier beginnt unser Gebiet“ und deutet auf einen Urwaldriesen mit ausladender Krone, der die Bäume um sich herum überragt.

Ein Mann geht in einem Regenwald

Andrés Machoa, der Vater von Holmer Machoa, führt durch den Regenwald im Yasuní Nationalpark Foto: Knut Henkel

Ein paar Affen lassen sich blicken, leise blubbert der Motor. An den Ufern stehen einzelne Häuser im Regenwald, neben denen kleine Felder mit Bananen, Maniok und Kakaobäumen zu sehen sind. Eine halbe Stunde später taucht der Steg der Gemeinde Llanchama auf. Abram, einer der beiden Söhne, klettert zum Bug, um dem am Ufer wartenden Holmer Machoa ein Seil zuzuwerfen.

Der 34-jährige Machoa koordiniert das kleine kommunale Tourismusprojekt und engagiert sich für den Erhalt des Yasuní-Nationalparks. Herzlich begrüßt er den Besucher und weist den Weg in das kleine Dorf. Vorbei geht es am Fußballplatz der Gemeinde, hinter dem die Schule mit der kleinen Sporthalle steht, am oberen und unteren Ende sind die ersten beiden Wohnhäuser zu sehen: Holz, Palmwedel, geflochtene Pflanzenfasern sind die wichtigsten Baustoffe.

An einer Maniok-Anpflanzung geht es einen matschigen Pfad entlang, bis wir vor einem Haus mit großer, überdachter Terrasse stehen. Da wohnt Holmer Machoa mit Frau und drei Töchtern. Ein Plakat mit Zahlen in Kichwa, Spanisch und Englisch hängt an einer Wand, daneben Plakate mit Buchstaben, Silben. Unter einem Regal mit rund zwei Dutzend Büchern sind die Schuhe der Familie aufgereiht. Auf einem Tisch steht eine Karaffe mit Papaya-Saft.

Bei ihnen lassen sich die Öl-Firmen nicht mehr blicken

Machoa macht eine einladende Geste, setzt sich an den Tisch und schenkt Saft ein. „Von meiner Frau Úrsula vorhin geerntet. Wir versorgen uns zu 99 Prozent selbst und das soll auch so bleiben“, sagt der Mann mit dem offenen Blick und dem dünnen Schnurrbart. Er ist Guide, empfängt Besucher, Tourist:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen, die für Umweltorganisationen wie Acción Ecológica oder den YASunidos arbeiten, und zeigt ihnen sein Dorf. Llanchama bestehe aus 45 Familien mit 166 Menschen, sagt Machoa, alle Kichwa, und sie engagierten sich für den Erhalt des Yasuní und gegen die Förderung von Erdöl in der Region.

Seit 2011 ist das so. Damals drang das brasilianische Erdölunternehmen Petrobras unangemeldet in das Gebiet der Gemeinde ein, um mit seismischen Tests nach Erdölvorkommen zu suchen. Illegal, denn laut der progressiven ecuadorianischen Verfassung haben indigene Gemeinden nicht nur das Recht, vorab über Förder- und Infrastrukturprojekte informiert zu werden, sondern müssen auch einwilligen. Das ist nicht passiert.

Zwei Frauen gehen zwischen Pflanzen, eine trägt eine Machete in der Hand und hält eine Papaya in die Höhe

Alexandra Aviles (l.) und Úrsula Pizango Yumbo kommen von der Ernte zurück Foto: Knut Henkel

Das Dorf protestierte und bat die Umweltorganisation Acción Ecológica um Hilfe. Die haben 2011 für Anwälte gesorgt, die sowohl bei den nationalen Gerichten als auch bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine Anzeige einreichten. Das zeigte Wirkung, die Ölunternehmen ließen sich fortan nicht mehr in der Nähe des Dorfes blicken. Doch Aktivisten wie Holmer Machoa wurden über zwei Jahre von den Arbeitern der Gesellschaft und der ecuadorianischen Petroamazonas verfolgt und observiert.

„Das ist die andere Seite der Medaille der Erdölförderung.Wer Widerstand leistet, wird ausspioniert, bedroht oder auch bestochen“, sagt Machoa mit leiser Stimme. Er hat sich nicht einschüchtern lassen und arbeitet weiterhin mit Acción Ecológica, Ecuadors international wohl bekanntester Nichtregierungsorganisation, zusammen. Deren Bekanntheit hat ihren Grund, denn gegen die 1986 gegründete und in Quito ansässige Organisation ging die Regierung von Präsident Rafael Correa (2007–2017) mehrfach rigide vor. Die Justiz wurde in Bewegung gesetzt, 2009 drohte ein Verbot, das nur dank internationaler Unterstützung und kompetenter Anwälte abgewendet wurde.

Autoritär ging die Regierung Correa auch mehrfach gegen die Proteste indigener Gemeinden vor. So wurden Holmer Machoa und mehrere weitere Ak­ti­vis­t:in­nen aus Llanchama mit Gefängnisstrafen bedroht, wenn sie ihren Widerstand gegen die Erdölunternehmen nicht aufgeben würden. Alles andere als legal, aber Realität, denn die Regierung von Rafael Correa profitierte damals von hohen Ölpreisen und setzte auf die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Da war dem Präsidenten der Widerstand indigener Gemeinden im Weg.

„Damals ging ein Riss durch die Gemeinde“, erinnert sich Holmer, „92 von uns waren gegen die Förderung, einige unentschieden und mehrere dafür.“ Seine Haltung war und ist klar. Er hat als 12-Jähriger 1997 mitbekommen, wie die französische Erdölexplorationsfirma CGG eine Gemeinde mit Versprechungen manipulierte. „Arbeitsplätze im Erdölsektor, eine neue Schule oder der Stromanschluss – das sind die typischen Zusagen von Erdölunternehmen in der Region“, sagt er. „Wenig später war der Lebensraum der Menschen dort kontaminiert.“

Ein junger Mann schaut in die Kamera

Holmer Claudio Machoa Grefa, 34, einer der Ak­ti­vis­t:in­nen aus der Kichwa-Gemeinde Llanchama Foto: Fo­to:­Knut Henkel

Das Risiko der Kontaminierung will die Llanchama-Gemeinde nicht eingehen, aber es schwebt über der ganzen Region, denn Rohrbrüche sind alles andere als selten, so der Sprecher des Umweltkollektivs YASunidos, Pedro Bermeo.

Es hätte längst ein Referendum geben müssen

23 Unfälle mit Kontaminierungen habe es allein zwischen 2015, kurz vor der Aufnahme der Förderung im Bloque 43 des anfangs erwähnten ITT-Ölfelds, und 2022 gegeben. Das belegen Dokumente, die die YASunidos-Aktivist:innen nach langen Recherchen von Umweltministerium und Petroecuador ausgehändigt bekommen haben.

„Saubere Erdölförderung ist eine Illusion“, bekräftigt Bermero, der mehrfach die Menschen in Llanchama besucht hat und im engen Austausch mit Holmer Machoa steht. „Erst vor ein paar Wochen war er mit zwei, drei Jour­na­lis­t:in­nen hier, die von der Parkwache abgewiesen wurden“, erinnert sich Machoa. Illegal, denn die Menschen der Gemeinde Llanchama lebten hier schon, bevor der Yasuní-Nationalpark 1979 entstand, haben aber immer noch keinen Landtitel. Auf 26.700 Hektar Fläche erheben sie Anspruch – ihr überlieferter Lebensraum. Die rechtlichen Schritte zur offiziellen Übertragung laufen – nur seien die bürokratischen Hürden immens, sagt Holmer Machoa.

Dann schaut er auf die Uhr, nickt seiner Frau Úrsula Pizango Yumbo zu, die wenig später beginnt zu kochen. Ihr Mann wird in den frühen Morgenstunden mit seiner Tochter Sacha nach Cuenca, ganz im Süden Ecuadors, reisen, um an einer Informationsveranstaltung zum Yasuní-Referendum teilzunehmen. Das Referendum, das am 20. August parallel zu den Wahlen stattfindet (mehr dazu im zweiten Text auf diesen Seiten), ist ein Hoffnungsschimmer für die Kichwa-Gemeinde. Denn es könnte die Ölförderung, die sieben Jahre ohne rechtliche Grundlage lief, im Bloque 43 beenden.

De facto hätte bereits 2013 ein landesweites Referendum stattfinden müssen über die Frage, ob das Erdöl gefördert oder für immer im Boden bleiben soll. Dafür hatten die YASunidos, unterstützt von der Acción Ecológica und vielen Freiwilligen, landesweit 757.000 Unterschriften gesammelt. Doch rund 400.000 der Unterschriften wurden vom Nationalen Wahlrat auf politischen Druck hin annulliert. Zehn Jahre dauerte der Rechtsstreit, den schließlich das Verfassungsgericht am 9. Mai dieses Jahres entschied und das Referendum auf den Weg brachte. Ein Erfolg der Umweltbewegung, der Anwälte und auch der Gemeinden im Yasuní-Nationalpark.

Ein altes Paar sitzt lachend nebeneinander

Brigida Córdova hatte früher die Hoffnung, dass sich mit den Erdöl-Unternehmen etwas bessern könnte Foto: Knut Henkel

Mit den ersten Sonnenstrahlen steht Fernando Avilés am nächsten Morgen mit einem Becher Guayusa-Tee auf der Matte. Dann deutet er auf die Uhr und schiebt mit einem Grinsen ein „Du hast Termine“ hinterher. Eine halbe Stunde später geht es zu Doña Brigida Córdova, sie zeigt ihren Garten mit Chilis, Gurken, Limonen und Obstbäumen. Sie gehört zu denjenigen im Dorf, die lange auf Hilfe durch die Erdölunternehmen gehofft haben. „Doch hier ist kaum etwas angekommen“, ärgert sich Córdova und schüttelt den Kopf. Sie sagt: „In der ganzen Region gibt es kein richtiges Krankenhaus, zur weiterführenden Schule müssen die Kinder nach Tiputini, und für jede Gallone Benzin zahlen wir statt 2,50 US-Dollar zwischen 4 und 7 US-Dollar – obwohl es hier am Bloque 43 gefördert wird.“ Ihr Mann Heriberto Machoa nickt. „Der Reichtum fließt ab, die Armut bleibt, und das ist ein weiterer Grund, weshalb wir mit Sí stimmen – für das Ende der Förderung“, knurrt er.

Viele im Dorf sagen Ähnliches. Auch die 38-jährige Bäuerin Alexandra Avilés, die rund 700 Kakaobäume im Schatten des Regenwaldes gepflanzt hat und einen kleinen Nachbarschaftsladen unterhält. „Kakao ist eine Option, um hier zumindest etwas Geld zu verdienen. Doch Beratung, Kredite für den Start sind kaum zu bekommen“, kritisiert sie die Regierung, die seit 50 Jahren Erdöl in der Amazonasregion fördert, aber die daraus gewonnenen Milliarden nicht in die Entwicklung investiert. Die drei Amazonasprovinzen Ecuadors sind laut offiziellen Statistiken die ärmsten des Landes – typisch für viele Erdölförder- und Bergbauregionen in Lateinamerika.

Heute ist Alexandra Avilés mit Úrsula Pizango unterwegs, der Frau von Holmer Machao. Sie ernten Kakaoschoten und ziehen später Maniokknollen aus der Erde. „Daraus setzen wir Chicha an“, erklärt Avilés. „Wir haben von Reis über Papaya bis zu Kochbananen vieles angepflanzt und bedienen uns ansonsten im Regenwald oder im Fluss.“

Ein kleiner Affe im GEbüsch

Affen sind im Yasuní-Nationalpark oft zu sehen, auch nahe der Kichwa-Gemeinde Llanchama Foto: Knut Henkel

Früher fingen sie die Fische mit Macheten

Dabei gibt es allerdings klare Regeln zum Schutz der Fische und die kleben in Form eines Plakats am Haus von Andrés Machoa, dem 62-jährigen Vater von Holmer, der am unteren Ende des Dorfes lebt und der Letzte ist, bis zu dem die Strom- und die Wasserleitung reicht. „Vom Fischreichtum, von dem wir früher profitierten, ist wenig geblieben“, klagt der Mann.

Andrés Machoa, 62, Einwohner von Llanchama

„Wir wollen, dass die Bohrlöcher versiegelt werden und dass wir den Park nachhaltig nutzen“

Als Erster aus dem Dorf hat er angefangen, nebenbei als Guide zu arbeiten. Er gehört zu den 20 Aktivisten, die sich in der Tourismusgruppe des Dorfes zusammengeschlossen haben. Führungen durch den Regenwald rund um das Dorf, kleine Vorträge über traditionelle Medizin sind seine Spezialitäten, und er gehört auch zu denen, die nicht mehr Anbaufläche nutzen als nötig. „Mehr als 30 Hektar sind es nicht, die wir vom Dorf bebauen“, meint Andrés Machoa, der beim Gehen ein Bein etwas nachzieht. Er erinnert sich noch daran, wie sie früher mit der Macheten fischen konnten. „So dicht waren die Fischschwärme.“ Das ist vorbei.

Dafür macht er die Petroleras, die Ölgesellschaften, verantwortlich mit ihren Generatoren, den Scheinwerfern und den Lecks in den Pipelines, die auch dem Río Tiputini zugesetzt haben. Das belegen auch Studien aus dem Umweltministerium und von Acción Ecológica. Das könne sich mit dem Referendum ändern, hofft er. „Wir wollen, dass die Bohrlöcher versiegelt werden und dass wir den Yasuní-Nationalpark nachhaltig nutzen – aber zu unseren Gunsten“, sagt der Vater dreier Kinder. Er weiß auch, wie. „Hier gibt es viele Pflanzen, die heilende Wirkung haben. Da könnte die Pharmaindustrie einiges lernen, aber nicht zum Nulltarif“, sagt er und zeigt damit Perspektiven neben dem Tourismus und der nachhaltigen Landwirtschaft auf. Die gelte es zukünftig zu entwickeln – mit direkter Partizipation von Dörfern wie Llanchama.

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