Club-Vorsitzender über Cannabis-Gesetz: „Cannabis-Clubs werden kastriert“
Eine 200-Meter-Abstandspflicht zu Spielplätzen und weitere Hürden verhindern „Cannabis Social Clubs“, sagt der Hamburger Vorsitzende Andreas Gerhold.
taz: Herr Gerhold, laut dem gerade von der Ampel-Regierung beschlossenen Gesetz darf ab Januar legal in Cannabis-Clubs konsumiert werden. Warum ist Ihr Club damit nicht glücklich?
Andreas Gerhold: Weil eben nicht legal in Clubs konsumiert werden darf. Der Knackpunkt ist: Um Kindergärten, Spielplätze, Schulen und andere Orte, an denen sich Kinder im Allgemeinen aufhalten, soll ein Bannkreis von 200 Metern gezogen werden. Und auch in den Clubs soll der gemeinschaftliche Konsum verboten bleiben.
Auch wenn diese 200-Meter-Bannmeile eingehalten würde?
Ja. Auch in den Clubs selber darf nicht konsumiert werden. Das ist dem Gesetzgeber beziehungsweise dem Ministerium offenbar wichtig.
Was darf denn dort passieren?
Wir dürfen anbauen, woran möglichst alle Mitglieder beteiligt sein sollen, und wir dürfen das Cannabis an die Mitglieder abgeben und das möglichst am selben Ort. Das ist eine Kastration des Konzepts von Cannabis Social Clubs, wie es seit Anfang der 2000er Jahre in Europa von vielen Organisationen und seit 2015 auch durch uns in Deutschland vertreten und ständig weiterentwickelt wurde.
Was war Ihr Konzept?
Das Wort „Social“ ist im Konzept und in der Entstehungsgeschichte des Clubs zentral. Wir wollen eine Anbaugemeinschaft sein. Das heißt nicht, dass der Anbau selbst von jedem Mitglied aktiv mitgetragen werden muss, das wäre gar nicht machbar. Sondern es dient dazu, die Leute vom Schwarzmarkt fernzuhalten. Die Mitglieder sollen sauberes, kontrolliertes Cannabis bekommen können. Wir bieten Gesundheitsberatung und klären auch extern andere Stellen, wie Drogenberatungsstellen, über gefährliche Verunreinigungen von Cannabis auf dem kriminellen Schwarzmarkt auf.
Also steht Ihr Club für gesunden Cannabis-Konsum?
Genau. Wir werden von Schulen eingeladen. Wir beraten Lehrer, Eltern und informieren auf Veranstaltungen. Wir sind da die Experten und machen ein umfassendes soziales Angebot rund um Cannabis.
Andreas Gerhold
61, ist Fotograf und Vorsitzender des „Cannabis Social Club Hamburg“ von 2015, dem ältesten Verein dieser Art in Deutschland. Von 2011 bis 2017 war er für die Piratenpartei Abgeordneter im Bezirk Hamburg-Mitte.
Und Sie hatten die Idee, in den Clubs gemeinsam zu konsumieren?
Es geht nicht zentral um den gemeinsamen Konsum. Der ist natürlich wichtig. Aber wir wollen ein Vereinsleben, wie es jeder Karnickelzüchterverein haben darf. Wir wollen zusammensitzen dürfen. Und wenn die Karnickelzüchter ihr Bier dabei trinken, dann möchten wir unseren Joint dabei rauchen, ganz selbstverständlich. Aber das steht nicht im Vordergrund. Wir führen ein normales Gesellschaftsleben. Wir verstehen uns als Gemeinschaft von Cannabisliebhabern, die eine Kultur pflegen.
Zurück zum Abstand. Sie sagen, 200 Meter, das geht gar nicht?
Ja, wir haben eine Google-Karte angelegt, wo wir alle Kitas, Schulen und Spielplätze markiert haben. Da sieht man, dass es in Hamburg keinen Ort gibt, wo ein Cannabis-Clubs angesiedelt werden könnte. Wir hatten das noch mit 250 Metern Abstand gerechnet, aber das ergibt bei 200 Metern keinen großen Unterschied, weil wir auch gar nicht alle Einrichtungen markiert hatten.
Das ginge nicht am Stadtrand?
Das würde ja heißen, dass die Clubs an den Stadtrand ziehen. Wenn dann jedes Mitglied erst dahin fahren müsste, um beim Anbau mitzuhelfen und sein Cannabis zu bekommen, und wir den ganzen Aufwand betreiben müssten, zum Beispiel für die Sicherheit, entstehen Kosten, die wir einpreisen müssen. Es ist zu befürchten, dass unser Cannabis teurer wäre als auf dem Schwarzmarkt. Dann gäbe es für den Konsumenten künftig drei gute Gründe, weiter dort zu kaufen. Der Dealer steht weiter um die Ecke, er ist günstiger und ich brauche nichts dafür zu tun, außer hinzugehen. Deshalb nennen wir Lauterbachs Gesetz „Schwarzmarkt-Fördergesetz“.
Wie sieht Ihr Konzept aus?
Wir gingen von zwei Locations aus. Das ist einmal der Anbau, und der kann natürlich am Stadtrand liegen, weil eben nicht alle mitarbeiten müssen und dort passende Immobilien zu finden sind. Aber die Abgabestellen, die Clubs, wo das Vereinsleben stattfindet, die müssen zentral sein, damit die Leute sie auch aufsuchen können.
Finden Sie die Abstandsregel von 200 Metern denn richtig?
Nein, die ist völlig unsinnig. Wir haben jetzt natürlich schon überall kommunale Regelungen, dass auf Schulgelände und Spielplätzen nicht Alkohol konsumiert oder Tabak geraucht werden darf. Das sind Selbstverständlichkeiten. Das muss nicht für Cannabis verschärft ins Gesetz geschrieben werden.
Verstehen Sie denn die Absicht?
Es geht darum, die Gegner zu beruhigen. Es macht aber keinen Sinn für den Jugendschutz. Das kann mir keiner erzählen. In unseren Städten gibt es Cafés, Kneipen und Kioske, Restaurants, Imbisse, und überall wird geraucht und Alkohol getrunken, ohne Abstandsregeln. Dies als isolierte Regel für Cannabis zu machen, ist absolut unsinnig.
Aber es gibt ja für Spielhallen solche Abstandsgrenzen?
Ja. An solchen Planungen war ich als Kommunalpolitiker schon beteiligt. Das ist etwas anderes. Da geht es um Suchtprävention für Erwachsene. Da wird darauf geachtet, dass es nicht zu viele Hallen in Bezug zur Einwohnerzahl geben soll.
Wie könnte man das Ziel der Abstandsgrenze erreichen?
Indem man die Formulierung ändert. Keine „200 Meter“ reinschreibt, sondern „nicht in unmittelbarer Nähe“. Bin ich in unmittelbarer Nähe, kann ich den Spielplatz sehen.
Also nicht in Sichtweite?
Das wäre eine Formulierung, die kann man nachvollziehen.
Sie sprechen beim Gesetz vom Bürokratiemonster. Welche Regel ist noch daneben?
Das Verbot sozialer Aktivitäten. Wir sollen ja reine Anbaugemeinschaften sein. Also unsere ganzen sozialen Aktivitäten sollen nicht stattfinden. Das ist eigentlich der Hauptknackpunkt.
Es darf kein Kartenspiel geben?
Ja. Wir dürfen uns nicht in die Satzung schreiben: „Wir möchten auch gemeinsam singen.“ Dann hätten wir ein Vereinsziel, das vom Anbau abweicht. Dann würden wir keine Lizenz bekommen. So ist das formuliert. Ob wir tatsächlich keine Weihnachtsfeier machen dürfen, das bleibt abzuwarten. Aber das Gesetz ist so formuliert, dass die Strafverfolgungsbehörden da womöglich einen Ansatzpunkt sehen könnten. Das erschwert Aktivitäten, die nichts direkt mit dem Anbau zu haben. Diese Unklarheiten werden die Gerichte beschäftigen.
Es gibt ja auch Kritik von Jugendmedizinern. Allein die Debatte um die Legalisierung habe ungünstige Auswirkungen auf Kinder.
Die haben keine Argumente und wollen die Debatte unterbinden. Es ist nicht durch Studien belegbar, dass eine Legalisierung oder gar nur die Debatte darüber das Konsumverhalten junger Menschen steigern würde.
Haben Sie Hoffnung, dass Ihre Kritik beachtet wird?
Wir haben doch die letzte Chance, dass das Parlament mit Anträgen oder sogar mit einem eigenen Entwurf noch zu Veränderungen beiträgt. Da sind wir relativ eng im Kontakt mit den Fachsprechern der Ampel-Fraktionen, die unsere Kritik weitgehend teilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos