Die Kunst der Woche: Denken in Bildern
Das Guthaus Steglitz zeigt 40 Blätter von Sandra Vásquez de la Horra, das Palais Populaire würdigt Rudolf Zwirner und am Bürgerplatz setzte es Arien.
D er kahle Zweig, der sich in die Höhe reckt, verschlingt gerade ein armes kleines Fräulein. Verständlich, denn es handelt sich gar nicht um einen Ast, sondern um eine Schlange. Das steht mit ANAC ONDA groß am unteren Rand des Blattes. In einem Traumreich zwischen belebter und unbelebter Natur sind auch die feuerspeienden Vulkane angesiedelt, die die Wände eines kleinen Hausmodells zieren: Einer der Berge ist der hochgereckte Hintern einer langhaarigen Schönheit.
Die Künstlerin Sandra Vásquez de la Horra, die diese Bilder geschaffen hat, beweist Witz und frechen Humor: MALAS JUNTAS steht auf dem Blatt Papier, auf dem eine schwarze Sonnenbrille und weitere, paarweise angeordnete schwarze Gläser driften. Ja, wir erkennen Pinochet und seine Gangster. Und wir sehen auch, dass sich die 1967 im chilenischen Viña del Mar an der Pazifikküste geborene brillante Zeichnerin surrealer bis magischer Welten ganz beiläufig auch als dezidiert politische Künstlerin zu erkennen gibt. Als Käthe-Kollwitz-Preisträgerin 2023 wird sie daher von der Akademie der Künste zu Recht geehrt.
Vor der großen Schau in der Akademie im nächsten Jahr zeigt Brigitte Hausmann, Leiterin des Kulturamtes Steglitz-Zehlendorf, jetzt im Gutshaus Steglitz rund 40 große und kleine Blätter, dazu Leporellos und bemalte Papierhäuser in Vitrinen. Viele ihrer kühnen Tier-Mensch-Hybride hat Vasquez de la Horra als einfache Bleistift- und Grafitzeichnungen ausgeführt, andere Arbeiten wie „Los Paseantes“, ein aus Papier und Samt gebauter Schrein unwirklicher Landschaften und Figuren, hat sie zart aquarelliert. Immer aber sind die Papierarbeiten mit einer schützenden Wachsschicht überzogen. Die daraus resultierende Semitransparenz verstärkt die Wirkung des Lichts, das auf und durch die Blätter fällt.
Neben den Menschen, die Sandra Vásquez de la Horra aus Erde, Gestein, Wasser oder einer Blüte hervorgehen lässt, gewinnt sie der Vanitas-Motivik von Totenschädeln und Knochenmännern neben den nachdenklichen auch durchaus heitere Szenen ab. „El Tiempo“, das den Tod als Sensenmann zeigt, ist eine solche Zeichnung, in die man sich endlos vertiefen könnte.
Neben diesen Motiven, die kunsthistorisch bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt werden können, fließen Bilder aus der Filmgeschichte ein, aber auch aus der südamerikanischen Populärkultur wie den indigenen Kulturen des Kontinents. Und natürlich spielt der Traum eine wichtige Rolle. All diese Themen scheinen hauptsächlich am weiblichen Körper durchgespielt zu werden. Auch darin kann man ein politisches Statement erkennen. Denn wird nicht gerade in unserer Zeit das System von Macht und Herrschaft am Körper der Frau durchdekliniert?
„Das archtypische Ich“, der C. G. Jung entlehnte Ausstellungstitel, appelliert an das kollektive Unbewusste, das Sandra Vásquez de la Horra gerade in diesem Zusammenhang mit ebenso grausamen wie unwirklich schönen Bildern aufruft.
Tour d’Horizon
Just am vergangenen Wochenende feierte Rudolf Zwirner, einer der großen Kunsthändler und Galeristen des 20. Jahrhunderts, in seiner Geburtsstadt seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Anlass überraschte ihn die Deutsche Bank, die er lange Jahre in ihrem Kunstsammeln beriet, mit einer ihm gewidmeten Ausstellung: „Leben in Bildern. Ein Porträt des Sehens. Rudolf Zwirner zum 90sten“. Die von Philipp Bollmann und Michael Müller konzipierte Schau im Palais Populaire zeigt 80 Werke, Leihgaben aus Museen und Privatsammlungen, wohin sie durch Zwirners Vermittlung gelangt sind.
Die Chance, exquisiten Werken in so konzentrierter Form zu begegnen, und dabei eine wahre Tour d’Horizon durch die Kunstgeschichte vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zu unternehmen, mit Abstechern in die Renaissance und das 18. Jahrhundert, diese Chance sollte man sich nicht entgehen lassen. Zumal sie nur kurz währt.
Besonderes Gewicht haben die Kunstströmungen der Nachkriegszeit wie der Abstrakte Expressionismus, die Minimal Art von Dan Flavin oder Agnes Martin, der Surrealismus von Max Ernst und René Magritte, den Zwirner 1963 anstelle der Pop Art aus New York nach Deutschland brachte, der Noveau Réalisme eines Yves Klein und die Pop Art von Andy Warhol, Jasper Johns und Robert Rauschenberg. Dazwischen stehen singuläre Positionen wie Louise Bourgeois, Maria Lassnig oder Jean Tinguely und vor allem Cy Twombly, den Zwirner schon ganz früh wahrgenommen hat. Natürlich wurde er auch mit deutschen Künstlern wie Georg Baselitz, Konrad Klapheck, Joseph Beuys groß. Mit Gerhard Richter entwickelte sich gleich zu Beginn der Zusammenarbeit eine enge Freundschaft, und dessen frühen „Bomber“ von 1963 zu sehen, scheint erstmal lohnender als die 100 Werke für Berlin in der Neuen Nationalgalerie.
Kunst ist für Zwirner Denken in Bildern, wie er im Pressegespräch anlässlich der Ausstellungseröffnung sagte. Kunst ist aber auch der persönliche Austausch mit Künstlern und Sammlern, dazu mit Kollegen, was 1991 zur Gründung des Zentralarchivs des internationalen Kunsthandels e.V. in Bonn führte, dessen erster Leiter Rudolf Zwirner war. Übrigens führte 1955 der Besuch der documenta 1 in Kassel zum Entschluss des damaligen Jurastudenten, das Studium sein und sich auf die Kunst einzulassen. Nach einem Volontariat in der Kölner Galerie von Hein Stünke und einer Station bei Heinz Berggruen in Paris wurde er 1959 Generalsekretär der documenta 2 und gründete seine erste Galerie in Essen, die er 1962 nach Köln verlegte. Dort hob er 1967 die weltweit erste Messe für zeitgenössische Kunst mit aus der Taufe, die spätere Art Cologne. 1992 zog er sich aus dem Galeriegeschäft zurück.
Kunst aber, das wird im Gespräch im Palais Populaire deutlich, ist vor allem Erfahrung, Erlebnis, auch Regelwerk, jedenfalls für ihn, der deshalb die Möglichkeiten der Kunst heute nicht mehr richtig einordnen und bewerten kann, wie er gesteht, was auch für den Kunstmarkt gilt. Dessen erstaunliche Entwicklung kommentiert Zwirner mit der Bemerkung, er habe noch nie ein Kunstwerk für eine Million Dollar verkauft. Am meisten geschätzt hat er am Kunsthändlerdasein die Freiheit. Sein eigener Chef zu sein. Das sagt er im Kunstmagazin monopol. Wie oft habe er gedacht, wie gut er es doch habe. Letztlich kaufe er mehr Bilder als jeder Milliardär. Nur müsse er sie dann eben wieder verkaufen…
„Schönheit gegen Gewalt“
Und dann noch ein Tipp: Auf dem Bürgerplatz, Ecke Fugger- und Eisenacher Straße findet am Samstag (5. August) bereits im sechsten Sommer das Projekt „Schönheit gegen Gewalt“ statt. Nach auch international beachteten Opernaufführungen setzt Pascual Jordan mit Circle of Cultures (als Nachfolger der Rudolf zur Lippe Stiftung: Forum der Kulturen zu Fragen der Zeit) die Sommerfestivität mit einem Serenadenkonzert fort. Beginn ist 21 Uhr, der Eintritt ist frei.
Auf dem Programm stehen neben Instrumentalstücken von Vivaldi Arien von Monteverdi, Cavalli, Händel und Purcell, u.a. mit Josefine Göhmann, Sopran, und Eduardo Rojas Faundes, Countertenor. Es soll nicht regnen, also hingehen und genießen.
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