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Hugenottengemeinde feiert 300 JahreStets getreue Untertanen

Vor 300 Jahren wurde die Hugenottengemeinde in Potsdam gegründet. Die kleine Gemeinde begeht das Jubiläum mit Festgottesdienst und Ausstellung.

Der „Große“ Kurfürst empfängt aus Frankreich geflohene Hugenotten, Holzstich, um 1890 Foto: akg-images/picture alliance

Potsdam taz | Es waren nur vier Buchstaben am Giebel, aber sie waren Hebräisch: יהוה. Sie standen für das Wort Jehova – Gott. Das war beim Bau der französischen Kirche in Potsdam 1752 schon so, und es blieb auch so nach 1933, obwohl es dagegen aus den Reihen der Nazis Protest gab.

Ausgerechnet der Potsdamer Bürgermeister Hans Friedrichs, eine Führungsfigur der örtlichen NSDAP, verhinderte die Entfernung der Buchstaben in einer Anwandlung preußisch-konservativen Denkmalschutzes. In einem vom Potsdamer Kirchenbauhistoriker Andreas Kitschke im Stadtarchiv aufgefundenen Vermerk schreibt Friedrichs, „dass diese gemeinsame Schöpfung des Jahres 1752 der beiden grossen Menschen Knobelsdorff und Friedrich der Grosse schon an sich wegen der Einmaligkeit der Persönlichkeiten tabu ist.“

300 Jahre Französisch-Reformierte Gemeinde Potsdam

Gottesdienst

In Potsdam findet am Sonntag, dem 9. Juli 2023, um 14 Uhr der Festgottesdienst zur Gründung der Gemeinde am 11. Juli 1723 in der Französischen Kirche, Charlottenstraße 55-58, mit anschließendem Gartenfest im nahegelegenen Gemeindehaus statt.

Ausstellung

Mit „Geist & Freiheit – Esprit et Liberté | 300 Jahre Französisch-Reformierte Gemeinde Potsdam“ ist die Ausstellung im Bouman-Haus Potsdam, Holländisches Viertel, Mittelstraße 8, betitelt. Sie ist Montag bis Freitag 13–18 Uhr, am Wochenende und Feiertags 11–18 Uhr zu sehen und läuft bis 5. November 2023. (Christian Walther)

Das Wort Jehova in hebräischer Schrift gehöre zum Typ der französisch-reformierten Kirche. „Mit anderen Worten, der Grosse König baute, was das Herz seiner Menschen, die er ins Land zog, begehrte.“ Er fertigte den Vorgang ab mit den Worten: „Rasuren an diesen kulturhistorischen Dokumenten der Stadt liegen mir nicht. Die Sache ist abzulegen.“

So stehen die vier Buchstaben auch heute noch über dem Eingang jener vom Sanssouci-Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff entworfenen und dem holländischen Potsdam-Baumeister Jan Boumann ausgeführten Kirche an der Einmündung der Französischen Straße. Sie ist – aufgrund der Kriegszerstörung anderer Kirchen – heute das älteste Gotteshaus der Stadt. Doch sie ist es nur höchst selten zugänglich. Die vor 300 Jahren gegründete Gemeinde hat nicht die Mittel und nicht die Leute, um ihren temple, wie die Kirche der Hugenotten früher genannt wurde, kontinuierlich öffnen zu können.

Gut 100 Mitglieder sind es noch, und mit größter Wahrscheinlichkeit feiern sie dieses Jahr ein letztes Mal als unabhängige Gemeinde die Wiederkehr ihrer Gründung 1723. Schon zum Jahresende könnte es die Fusion mit der Berliner Gemeinde vom Gendarmenmarkt geben.

Gemeindegründungen fast im Monatstakt

1723 – das war vergleichsweise spät. Die Berliner Gemeinde wurde bereits 1672 gegründet, und nach dem Edikt von Potsdam, mit dem der Große Kurfürst 1685 seinen in Frankreich bedrohten Glaubensbrüdern Zuflucht und allerlei Privilegien gewährte, gab es Gemeindegründungen fast im Monatstakt: Kleve noch im selben Jahr, Brandenburg, Brodowin, Magdeburg, Rheinsberg, Schwedt 1686, Angermünde, Prenzlau, Schmargendorf 1687, Buchholz, Pankow und Stendal 1688. Potsdam aber hatte sich nur langsam entwickelt, war, bevor es zweite Residenzstadt wurde neben Berlin, eher mickrig als prächtig und die Anwerbung von Franzosen gestaltete sich zäh.

Bernd Krebs, der am kommenden Sonntag den Festgottesdienst halten wird, weist auch darauf hin, dass sich etwa in Stettin die 1721 gegründete Gemeinde weit besser entwickelte. Aber was heißt Gemeinde? Es ging damals keineswegs nur um die Organisation von Religionsfreiheit. Toleranz war nur ein Aspekt von vielen. Schon der Große Kurfürst hing dem reformierten Glauben an, die allermeisten seiner Untertanen aber waren Lutheraner. Also stärkte ihm der Zuzug der Reformierten aus Frankreich den Rücken. Mindestens so wichtig war, dass Brandenburg in Folge von Pest und 30-jährigem Krieg weitgehend entvölkert war.

Matthias Asche, Historiker an der Uni Potsdam, erinnert in der Festschrift zum 300. Gründungstag daran, dass die Kriegshandlungen „je nach Region Bevölkerungsverluste zwischen 40 und 80 Prozent“ nach sich zogen. Auch die Wirtschaft brauchte Belebung. Die oft gut ausgebildeten und mit den moderneren Produktionsweisen der Manufaktur vertrauten Hugenotten sorgten dafür. So ging es nicht nur um reformierten Glauben und französische Kirchen, es ging um regelrechte Kolonien, denen die Obrigkeit weitreichende – und nicht selten Neid und Missgunst auslösende – Privilegien gewährte: eigene Schule, eigene Sozialfürsorge, eigene Gerichtsbarkeit und sogar einen eigenen Gendarm.

Es ging damals keinesfalls nur um Religionsfreiheit

Dass die Franzosen weiter Französisch sprechen durften, verstand sich in jener Zeit, in der auch der Hof gerne Französisch parlierte, von selbst. Das sollte sich allerdings ändern.

Eine Kirche als Geschenk

1723 – das war auch ein Sprung in der Geschichte: Nicht der Große Kurfürst führte mehr das Regiment, sondern Friedrich Wilhelm I. – genannt der Soldatenkönig –, nicht Brandenburg war sein Land, sondern Preußen. Und dieser Soldatenkönig war es auch, der dem Wunsch französischer Zuwanderer entsprach, in Potsdam eine Gemeinde einzurichten, der zunächst Räume im Stadtschloss überlassen wurden für ihre Gottesdienste. Dann aber ließ der König – inzwischen Friedrich II., genannt „der Große“ – den Zugewanderten 1752 eine Kirche bauen – als Geschenk.

Es waren jedoch Franzosen, die dieses Geschenk auf das Gröbste missbrauchten, Franzosen, die kein Kurfürst eingeladen hatte: Im Oktober 1806 fielen Napoleons Truppen in Potsdam ein. Der Kaiser machte es sich in Sanssouci bequem, bevor es weiter ging nach Charlottenburg und Berlin. Seine Kavallerie zog er in Potsdam zusammen, die französische Kirche wurde zum Fourage-Magazin, zum Pferdefutter-Depot. Erst drei Jahre später konnte die Kirche wieder zweckgemäß genutzt werden. Doch Napoleons Überfall beschädigte das Verhältnis der Hugenotten zum Land ihrer Väter nachhaltig – und stärkte ihren von Dankbarkeit getränkten Untertanengeist gegenüber der preußischen Obrigkeit.

Ähnliche Folgen hatte der Deutschland von Frankreich erklärte Krieg von 1870/71, der die Tradition französischsprachiger Gottesdienste in Potsdam beendete. Als Deutschland 1914 seinerseits gegen Frankreich in den Krieg zog, führte eine Welle des Hurra-Patriotismus dazu, dass – wie Christoph Förste schreibt – „'wilde Nationalisten in Potsdam forderten, alle Glieder der Französisch-Reformierten Gemeinde als Franzosen einzusperren“.

In der Nazizeit habe sich „die Gemeinde als solche wohl redlich“ gehalten – das Presbyterium, der Gemeindevorstand, stand dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber. In Ursula Fuhrich-Gruberts Standardwerk über „Hugenotten unterm Hakenkreuz“ kommt Potsdam bloß am Rande vor, aber es sind offenbar nur Nuancen, die die Potsdamer Gemeinde von der staatsnäheren Gemeinde in Berlin unterschieden.

Keine Kreuze, keine Heiligenbildchen, kein Altar

Christoph Förste, Physiker am Geoforschungszentrum und ehrenamtlicher Kirchenältester (Presbyter), gehört zu den historisch Versierten unter Potsdams Hugenotten. Er kam schon zu DDR-Zeiten in die Gemeinde, deren Orgel er spielt und deren reformierten Charakter und kargen Ritus er schätzt: keine Kreuze, keine Heiligenbildchen, kein Altar – nur eine Bibel auf dem Tisch. Zu dieser Gemeinde kommt nur, wer es wirklich will.

Zuzügler werden von der Evangelischen Kirche automatisch an die Gemeinde am Wohnort verwiesen; die Reformierten aber sind nicht Parochial-, sondern Personalgemeinde: nicht der Wohnort zählt, sondern der persönliche Wunsch. Und so gibt es hier nicht nur Nachfahren der Hugenotten, sondern auch von außen Dazugekommene: „Beutehugenotten“.

Den Luftangriff vom 14. April 1945 schien die Kirche einigermaßen überstanden zu haben; erst später zeigte sich das ganze Ausmaß der Schäden. 1968 wurde das Haus baupolizeilich gesperrt, später soll sogar der Abriss zugunsten einer Straße überlegt worden sein. Gepredigt wurde in dieser Zeit schon mal in Wohnungen. Erst in den 80er Jahren kam die Sanierung in Gang: Eine Spende der Stiftung Tagesspiegel noch vor der Wende brachte den ersten Schub, mehrere Spenden des Hamburger Verlegers Ernst Naumann brachten den Durchbruch zur 2003 abgeschlossenen Grundsanierung des Knobelsdorffbaus.

Ganz so saniert ist die Gemeinde nicht. Vor zwei Jahren hat Hildegard Rugenstein, Pastorin seit 1984, ihr Amt aufgegeben. Die „kantige Persönlichkeit“, wie Ex-Oberbürgermeister Jann Jakobs sie nennt, hat die Brandenburger Hauptstadthugenotten auch öffentlich im Gespräch gehalten – beispielsweise 2015, als erneut eine „Flüchtlingswelle“ Potsdam erreichte.

Eine Nachbesetzung wird es nicht geben. Ein Kreis hoch engagierter Mitglieder gleicht den Verlust nach Kräften aus, doch neue Strukturen müssen gefunden werden. Der Zusammenschluss mit der Berliner Gemeinde erscheint derzeit als Option der Wahl.

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