Repression gegen die Letzte Generation: Harte Linie, nichts dahinter

Der Senat wollte mit Härte durchgreifen. Doch Schnellverfahren und der Versuch der Einstufung als kriminelle Vereinigung sind gescheitert.

Polizisten ziehen einen Dmeonstranten im Anzug von der Straße

Die Forderung nach hartem Vorgehen gegen die Letzte Generation wird durch Gesetze beschränkt Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Über Nacht ist er entstanden, ein etwa 100 Meter langer Pop-up-Radweg auf der Neuköllner Sonnenallee. Ein orangefarbener Farbstreifen trennt eine halbe Autospur ab, Fahrrad-Piktogramme bedeuten: Hier sollen sich Radfahrende jetzt sicher bewegen können. Weil jedoch die offizielle Planung für einen geschützten, 1,1 Kilometer langen Radweg auf diesem Teil der Sonnenallee in Höhe des S-Bahnhofes Köllnische Heide vom Senat auf Eis gelegt wurde, handelt es sich dabei um keine bezirkliche Baumaßnahme – sondern um eine Guerilla-Aktion der klimaaktivistischen Gruppe „Sand im Getriebe“.

„Do it yourself, weil es die Politik nicht macht“, das ist laut Ella, eine der Sprecherinnen der Gruppe, die Motivation für das nächtliche Treiben. Der Gruppe gehe es „nicht nur um individuelle Sicherheit“, sondern auch um „Klimagerechtigkeit im globalen Kontext“. Die Streichung von geplanten Radwegen durch Senatorin Manja Schreiner (CDU) sei „lebensgefährdend“. Die Mobilitäts- und Umweltsenatorin Schreiner, so der Vorwurf, spreche schon nicht mehr von Klimaschutz, sondern nur noch von „Klimaanpassung“ – und selbst dieser werde sie durch den Radwegestopp nicht gerecht.

Gegen einige Beteiligte der Straßenmalerei wird nun von polizeilicher Seite ermittelt. Drei Ak­ti­vis­t:in­nen mit Warnwesten waren von der Polizei aufgegriffen worden. Gegen sie wird nun wegen Sachbeschädigung ermittelt – und zwar durch den für politische Kriminalität zuständigen polizeilichen Staatsschutz. Was sich zunächst nach einer repressiven Maßnahme anhört, begründet sich durch die angenommene politische Motivation. Schnelle Strafen indes sind nicht zu erwarten; auch für wegen der in Pandemie selbst errichteteten Pop-up-Radwege sei noch niemand verurteilt worden, so Ella.

Überhaupt, scheint die Strategie des harten Durchgreifens des schwarz-roten Senats gegen Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen schon nach nicht einmal 100 Tagen im Amt in eine Sackgasse geraten zu sein. Wie am Mittwoch bekannt wurde, ist eine Prüfung der Senatsjustizverwaltung zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der Letzten Generation in Berlin nicht um eine kriminelle Vereinigung handele.

Wiederholte Prüfung

Trotz mehrerer fundierter und sorgfältig durchgeführter Prüfvorgänge der Berliner Staatsanwaltschaft hatte Senatorin Felor Badenberg (parteilos, für die CDU) im Mai eine erneute Prüfung durch ihre Verwaltung angeordnet. In dem 30-seitigen Gutachten wurde laut Senatsjustizverwaltung eine Entscheidung des Landgerichts Potsdams auf eine mögliche Übertragung auf Berlin geprüft. Das Gericht hatte den Anfangsverdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung bejaht.

Für Berlin heißt es nun aber: „Aus Sicht des Fachbereiches lässt sich die Entscheidung aus Brandenburg nur bedingt auf die Situation in Berlin anwenden.“ In Brandenburg stehen insbesondere – folgenlose – Aktionen an der PCK-Raffinerie in Schwedt im Fokus der Ermittlungen.

Eine – höchst umstrittene – Weisung an die Staatsanwaltschaft durch die Senatorin, Ermittlungen aufzunehmen, ist damit wohl vom Tisch. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Vasili Franco, sagte der taz: „Die Prüfung war politisch motiviert und von Anfang an unnötig.“ Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, sprach vom „Eindruck, die Senatorin würde der fachlichen Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht vertrauen“. Der Anschein möglicher politischer Einflussnahme auf die Strafverfolgungsbehörden“ sei „fatal“.

Der CDU-Abgeordnete Christopher Förster, der im Oktober 2022 Anzeige gegen die Letzte Generation wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung erstattet hatte, sagte nun auf taz-Anfrage: „Meine Position hat sich bis heute nicht verändert und ich halte die Entscheidung für falsch.“ Die Entscheidung sei „kein Freifahrtsschein“ für die Gruppe, und könne auch „ganz schnell anders ausfallen“.

Keine Schnellverfahren

Derweil zeichnet sich auch das Scheitern eines zweiten Vorhaben des Senats ab – die Einführung von beschleunigten Verfahren für Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen. Bei den dafür neu geschaffenen Abteilungen des Amtsgerichts Tiergarten sind bis Dienstag laut Gerichtssprecherin zwar 27 Anträge der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung eines „Schnellverfahrens“ eingegangen, aber bislang ohne Erfolg.

In 11 Fällen seien die Anträge abgewiesen worden, 2 Mal habe die Staatsanwaltschaft ihre Anträge zurückgenommen. 2 für Dienstag angesetzte Verfahren wurden gestrichen: In einem versäumte das Gericht, die Verteidigung fristgerecht – es gilt eine verkürzte Ladungsfrist von 24 Stunden – zu laden. Das andere bezog sich auf dieselbe Blockade, über die vergangene Woche verhandelt worden war und bei der das Gericht zu dem Schluss gekommen war, der Fall sei für ein beschleunigtes Verfahren nicht eignet. Dagegen verurteilte das Amtsgericht am Mittwoch in einem normalen Verfahren einen Aktivisten wegen Nötigung in acht Fällen zu einer Geldstrafe von 2.700 Euro.

Für Vasili Franco stellt der Rechtsstaat gerade klar, „wie er funktioniert“. Alle, die argumentiert haben, dass es möglich sei, Blo­ckie­re­r:in­nen im Schnellverfahren abzuurteilen, hätten den Menschen „wissentlich Sand in die Augen gestreut“. Laut Franco ist der Senat an seinem „Aktionismus“ gegen die Letzte Generation und dem eigenen „Populismus“ gescheitert. „Der Senat merkt jetzt selbst, das er sich in einem Rechtsstaat an Gesetze halten muss und sich die Spielregeln nicht ausdenken kann“, so Franco.

Gescheitert sind auch andere Forderungen nach Bestrafung von Klimaaktivist:innen. Die Staatsanwaltschaft hat klargestellt, dass den Blockierer:innen, die den Verkehr auf der A100 durch langsames Fahren mit eigenen Autos ausbremsten, um dann die Straße zu blockieren, nicht der Führerschein entzogen werden könne. Dies setze eine „konkrete Gefährdung voraus, also einen Beinahe-Unfall“, so die Staatsanwaltschaft. Davon sei bei einem langsamen Ausbremsen „nicht auszugehen“, ein Anlass zur Entziehung der Fahrerlaubnis liege nicht vor.

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