piwik no script img

Neue Heldinnenund miese Geschichten

Bei der auf 32 Teilnehmerinnen erweiterten WM sind acht Neulinge dabei.Diesen wird Teilhabe im Sinne von guter Entwicklungshilfe ermöglicht. Über sexuelle Gewalt in manchen dieser Teams schweigt man indes lieber

Aus Melbourne Alina Schwermer

Der Abend des 7. Juli dürfte dem deutschen Team noch eine Weile in Erinnerung bleiben. Mit 2:3 blamierte man sich im letzten Testspiel vor dem Turnier gegen WM-Neuling Sambia um die überragende Barbra Banda. Ziemlich verdient führte der Außenseiter lange mit 2:0. Zuvor hatten die Deutschen sich gegen Vietnam, einen weiteren WM-Neuling, mit 2:1 ebenfalls sehr schwergetan. Zwei Ausreißer des formschwachen deutschen Teams oder starke Underdogs? Das ist eine wesentliche Frage für ein Turnier, bei dem jedes vierte Team ein Neuling sein wird. Wegen des auf 32 Teams aufgeblähten Formats sind mit Haiti, Irland, Marokko, Panama, den Philippinen, Portugal, Vietnam und Sambia ganze acht Debütantinnen dabei.

Auch, wenn man sie gern in einem Atemzug nennt, könnten die Unterschiede zwischen ihnen kaum größer sein. Darunter sind aufstrebende Mittelklasseteams wie die Portugiesinnen, die schon bei der vergangenen EM mit Spielfreude und feinen Technikerinnen um Star Jéssica Silva und Supertalent Kika Nazareth überzeugten. Auch die Marokkanerinnen haben eine starke Entwicklung durchlaufen, die sie im vergangenen Jahr mit einem zweiten Platz beim Afrika-Cup und einem Gewinn der afrikanischen Champions League durch die FAR Rabat kürten. Dem gegenüber stehen krasse Außenseiterinnen wie Panama (zuletzt 0:7 gegen Spanien), die Philippinen (0:5 gegen Island) oder Vietnam, das auch schon mit 0:7 gegen Frankreich unter die Räder kam. Es dürfte also wieder wenig hilfreiche Demontagen geben.

Die Fußballentwicklungshilfe der Fifa ist dennoch auch eine Chance: auf einen globaleren, echten Weltsport. Anders als in der hyperreichen Männerbranche ist es hier auch für prekäre Staaten ohne große Fußballhistorie möglich, sich für ein Weltturnier zu qualifizieren. Staaten wie Haiti, Sambia oder die Philippinen erleben eine seltene Teilhabe. Die Frauen sind in ihren Ländern echte Heldinnen statt zweiter Garde. Eigentlich müssten die ursächliche globale Ausbeutung und die ex­trem ungleichen Strukturen außerhalb der vier Turnierwochen hinterfragt werden. Worüber stattdessen gesprochen wird, ließ sich nach der deutschen Niederlage gegen Sambia beobachten: „Sie schoss unsere DFB-Frauen ab: Testosteron-Werte wie ein Mann“, schnapp­atmete die Bild-Zeitung über Barbra Banda. Klar: Daran, dass Deutschland gegen Sambia verliert, kann nur ein verkappter Mann schuld sein.

Anders als in der Männerbranche ist es für prekäre Staaten ohne große Fußballhistorie möglich, sich für eine WM zu qualifizieren

Diskriminierung wegen Testosteronwerten hat gerade gegenüber schwarzen Sportlerinnen ungute Tradition. Bei der WM 2011 in Deutschland etwa wurde Neuling Äquatorialguinea unterstellt, Männer einzusetzen. Die herbeigeschriebenen Vorteile durch die angeblichen Männer blieben aus: Äquatorialguinea schied mit null Punkten aus. Ein tatsächlicher Skandal um mehrere Debütländer läuft dagegen erstaunlich unter dem Radar. Sowohl in Sambia als auch in Haiti werfen Nationalspielerinnen ihren Verbänden systemischen sexuellen Missbrauch vor. Die schweren Vorwürfe aus Sambia, unter anderem gegen Nationalcoach Bruce Mwape, wurden schon im September 2022 zur Untersuchung an die Fifa delegiert. Spielerinnen sagten anonym etwa aus, dass der Trainer sie zum Sex zwinge. Sie sollen zudem von dritter Seite Drohungen erhalten haben, wenn sie sich äußern. Mwape darf sich trotz des schweren Verdachts ungestraft auf der Weltbühne präsentieren.

Ein Fall mit frappierenden Parallelen zu Haiti, wo schon 2020 systemischer Missbrauch unter anderem gegen Nationalspielerinnen ans Licht kam. Ein Täter war der langjährige Verbandspräsident Yves Jean-Bart. Der Missbrauch geschah in einem von der Fifa finanzierten Trainingszentrum. 2020 wurde Jean-Bart von der Fifa lebenslang gesperrt, doch der Internationale Sportgerichtshof hob die Sperre im Februar auf. Seither wurden in Haiti Jour­na­lis­t:in­nen und Zeu­g:in­nen mit juristischen Konsequenzen eingeschüchtert, Betroffene gar mit dem Tod bedroht. Die Fifa hat gegen die Aufhebung der Sperre Beschwerde eingelegt. Ende Juni wies das Schweizer Bundesgericht die Berufungsklage zurück. Große Wellen schlug das Urteil nicht. Das Märchen von den niedlichen Exotinnen scheint niemand gefährden zu wollen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen