Shi Ming Fernsicht China: Lobesworte aufs Vaterland gegen Arbeitslosigkeit
Einst fragte mich jemand in Deutschland: Was ist der Unterschied zwischen einem guten Marketing und einer schlechten Propaganda? Die Fragende bat mich, dies an einem Beispiel aus China zu illustrieren. Kaum konnte ich ihr antworten, antwortete ein Kommentar der KP Chinas am 10. Juli 2023, betitelt: „Eine richtige Anschauung auf die Beschäftigungsfrage tut mehr not als je zuvor.“
Die Kernthese des KP-Organs: Im Moment bedrückt die Massenarbeitslosigkeit – bei Menschen zwischen 16 und 24 Jahren liegt diese bei sage und schreibe 21 Prozent – uns alle in unserem Lande. Angesichts dessen tut es not, dass gerade diese jungen Menschen bei der Jobsuche nicht allein daran denken dürfen, Geld zu verdienen, Familie zu unterstützen und beruflich weiterzukommen. Stattdessen muss man sich, bitte, darum bemühen, dorthin zu gehen, wo das Vaterland einen am meisten braucht.
Ein Marketing-Trick, gar ein wohlklingender: Um die Kernthese zu unterstützen, regnen im Parteiorgan schnulzige Lobesworte aufs Vaterland nur so hernieder: Dort, wo das Vaterland dich brauche, würdest du dein Licht ausstrahlen; dort, wo das Vaterland dich brauche, beginne die Ehre schon damit, da zu sein; ein größeres Bild im Leben sei schon immer das A und O für einen jeden, und welches Bild sei größer als das, in dem einer sich wiederfinde, weil er sein Vaterland beherzige? Usw. usw. War dies gutes Marketing – für das Vaterland? Aus dessen Perspektive immerhin „gut gemeint“.
Aus der Sicht der Adressaten, die die Partei anzusprechen beabsichtigt, ist dies sehr schlechte Propaganda. Denn die Adressaten antworteten prompt, in Social Media, inklusive auf behördlich betriebenen Plattformen. „Was ist dies? Die, die den Job innehaben, in klimatisierten Büroräumen Kommentare schreiben, belehren uns, die nicht einmal die Chance haben, täglich unseren knurrenden Magen zu füllen?“ „Wie wäre es, dass ich bei Euch zu Hause Haushälter werde; ich nehme jeden Job gerne an, etwa für dich deinen Aktenkoffer zu tragen, oder, wie wäre es, deinen Stiefel jederzeit zu putzen?“ Oder: „Die Staatsfirmen für Tabak und Alkohol melden jährlich steigende Verluste. Ich melde mich freiwillig, um dort mein Licht auszustrahlen, Jahr um Jahr, Tag um Tag, bis sie schwarze Zahlen schreiben. Ich schwöre, niemals zu meckern, wenn monatlich ein Gehalt bei mir aufs Konto kommt!“
Ziemlich zynisch wurde es, als eine längst verstummte Diskussion erneut entzündet wurde, die über einen möglichen Krieg gegen Taiwan – eine Beschäftigungschance, immerhin. „Siehe die Wagner-Gruppe in der Ukraine! Sie kämpft fürs russische Vaterland, für viele Rubel sogar. Ist nur ein bisschen gefährlich!“ Oder: „Schicke erst alle Kids von den hohen Funktionären hin. Wenn die alle gestorben sind, ist es immer noch nicht zu spät für uns, in aller Ruhe zu überlegen.“ Kurz und bündig schrieb einer: „Wer auch immer hingeht, ich nicht. Auch nicht meine Kinder! Nicht für Taiwan, auch sonst für nichts.“
Shi Ming ist 1957 in Peking geboren. Er lebt seit 1989 in Deutschland und arbeitet als freier Autor. In seinen Texten setzt er sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung in seiner Heimat auseinander.
So miserabel war das Ergebnis der Propaganda. Indes nahm sogar ein offizieller Kommentator in einem anderen Amtsblatt den Parteikommentar aufs Korn: „Politisch ist die These absolut richtig, menschlich liegt sie absolut daneben! Wie heißt es nach einem vaterländischen Sprichwort so schön: Du lachst die Armen aus, aber keine Huren! Unser Parteiorgan lacht nicht. Es macht mit seinem Kommentar neue Huren, die fürs Vaterland auf den Strich gehen sollten!“
Auch dieser Kommentar, neben allem hier Zitierten, bleibt bisweilen ungelöscht im Internet – aller Zensur in der Volksrepublik China zum Trotz.
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