Polizeiopfer Halim Dener: Ein kleines bisschen Erinnerung
Lange schon wird in Hannover um das Gedenken an den erschossenen Halim Dener gerungen. In einem Jahr, zum 30. Todestag, soll es eine Infotafel geben.
Versehentlich, behauptete der später freigesprochene Beamte. Die Kugel, die den Jungen aus kurzer Distanz in den Rücken traf, habe sich bei dem Versuch gelöst, den Flüchtenden am Boden zu halten und gleichzeitig die heruntergefallene Waffe wieder im Holster zu verstauen. Es gibt Zweifel an dieser Darstellung, aber das Gericht folge ihr letztlich.
Halim Dener war erst wenige Wochen zuvor als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland geflüchtet – unter einem anderen Namen, um seine Familie zu schützen. In jener Nacht klebte er Plakate für eine Unterorganisation der gerade erst verbotenen PKK.
Für Kurden ist er ein Märtyrer, für den türkischen Staat ein Terrorist, für Linke ein Opfer rassistischer Polizeigewalt. Der Fall ist also symbolisch aufgeladen und kaum zu verstehen, wenn man nicht die enorm aufgeheizte gesellschaftliche Stimmung rund um das PKK-Verbot durch den damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) berücksichtigt.
Zehntausende kamen zur Trauerkundgebung
Zur Trauerkundgebung reisten mehrere Zehntausend Kurden aus dem gesamten Bundesgebiet an, was dazu führte, dass sich viele Medien mehr mit der Angst vor diesem gewaltigen Aufmarsch befassten als mit der Frage, warum der 16-Jährige sterben musste.
Aus dieser Gemengelage erklärt sich auch das jahrzehntelange Ringen um eine angemessene Würdigung und Aufarbeitung des Geschehens. Immer wieder gab es Vorstöße, den Platz nach Dener zu benennen, einen Gedenkstein oder eine Tafel aufzustellen. Sie wurden abgebügelt.
Die „Kampagne Halim Dener“, ein Zusammenschluss linker und kurdischer Aktivisten, gegründet anlässlich des 20. Todestages 2014, konzentrierte ihr Bemühen schließlich auf den linksalternativen Stadtteil Linden, wo man sich größere Chancen ausrechnete. Tatsächlich gab es 2017 eine Bezirksratsmehrheit, die für einen Halim-Dener-Platz stimmte. Sowohl Grüne als auch Piraten hatten sich die Forderung zu eigen gemacht.
Der damalige Oberbürgermeister Stefan Schostock (SPD) intervenierte. Er äußerte Sicherheitsbedenken, befürchtete einen anhaltenden Konflikt zwischen der türkischen und der kurdischen Community Hannovers und schaltete die Kommunalaufsicht ein. Der Fall landete schließlich vor dem Verwaltungsgericht, das ihm recht gab.
Aktivisten versuchten, den Platz umzubenennen
Immer wieder versuchten die Aktivisten den kleinen Platz in Linden eigenmächtig umzubenennen, überklebten Straßenschilder, fertigten Wandgemälde – jedes Mal schritten die Ordnungsbehörden ein. Auch nachdem mit Belit Onay ein grüner Oberbürgermeister ins Hannoversche Rathaus einzog, änderte sich daran erst einmal wenig.
Bis die grüne Fraktion im März doch noch einen Antrag einbrachte, zumindest eine Infotafel in Auftrag zu geben, die am Steintor an die Ereignisse und die darauffolgenden Debatten erinnern soll. „Wir müssen aufhören, so zu tun, als ginge es hier um einen kurdisch-türkischen Konflikt“, sagt Liam Harrold (Grüne), der den Kompromiss mit der SPD ausgehandelt hat. „Das ist ein wesentlicher Teil unserer Stadtgeschichte, den man auch abbilden muss.“
Beauftragt wurde damit das Zeit Zentrum Zivilcourage (ZZZ), das sich bisher vor allem mit dem NS-Erbe Hannovers befasst, sich aber auch zunehmend anderen Themenfeldern und Epochen zuwendet, zum Beispiel der kolonialen Vergangenheit.
Auf das Team kommt nun die anspruchsvolle Aufgabe zu, einen Text zu formulieren, mit dem alle Seiten leben können. Dazu sollen sie sich ausdrücklich mit der Polizeidirektion Hannover und Vertretern der kurdischen Community verständigen – auch wenn da schon die Schilderung der Ereignisse jener Nacht auseinanderklafft.
Verschiedene Perspektiven
„Wir müssen beide Perspektiven einbeziehen, auch wenn sie nicht übereinstimmen“, sagt ZZZ-Direktor Jens Binner. Letztlich ginge es eben auch darum, die Konfliktlinien und die gesellschaftlichen Debatten, die daraus in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind, zu reflektieren. Gleichzeitig arbeitet das Zentrum schon seit Längerem an einer eigenen Dokumentation des Falls und seiner Folgen – auf die dann ein QR-Code auf der Tafel mit einem Link zur Homepage verweisen könnte.
Der Zeitrahmen ist allerdings sportlich, selbst der genaue Standort der Tafel muss erst noch verhandelt werden. Weil der gesamte Platz umgestaltet wird, reden viele Akteure mit.
Dirk Wittenberg von der „Kampagne Halim Dener“ ist deshalb skeptisch: „Die Beharrungskräfte, die da im Hintergrund wirken und ein Gedenken in den letzten 29 Jahren verhindert haben, sind immer noch stark.“ Er glaubt, dass die Dauerbaustelle Steintor am Ende eine willkommene Ausrede bietet, um auch diesen Vorstoß wieder versanden zu lassen.
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