Strafvollzug in Berlin: Gefesselt zum Augenarzt

Wenn Gefangene zur Konsultation in eine öffentliche Klinik ausgeführt werden: Der eine wird gefesselt, der andere nicht. Die Haftanstalt entscheidet.

Symbolbild: An der Füßen gefesselter Gefangener

An der Füßen gefesselter Gefangener (Symbolbild) Foto: dpa

BERLIN taz | Es ist viel los an diesem Montagmorgen auf dem Charité Campus Virchow-Klinikum. Krankenwagen bringen und holen Patienten. Zwei blau-weiß lackierte Bullis, wie Funkwagen der Polizei aussehend, fahren nacheinander heran. „Justiz“ lautet die Aufschrift. Justizbedienstete öffnen die Rolltür des ersten Wagens, danach im Inneren einen käftigartigen Kasten.

Ein hagerer, alt aussehender Mann schiebt sich heraus, die Füße voran. Mit einer Kette sind sie aneinander gefesselt. Der Knast-Blaumann hängt schlaff an seinem Körper. Die Schirmmütze, die er tief ins eingefallene Gesicht gezogen hat, ist ähnlich grau wie seine Hautfarbe.

Mit kleinen Schritten, mehr erlaubt die Kette nicht, wird er von den Beamten vorbei an wartenden Patienten zur Augenambulanz geführt. Es ist ein entwürdigendes Bild, man wähnt sich in einem Film über einen Hochsicherheitstrakt in den USA. „Was der wohl ausgefressen hat“, wispert eine Frau.

Der zweite weiß-blaue Bulli hält. Der Mann, der diesmal aus dem Käfig klettert, ist nicht gefesselt, deutlich jünger als der erste und auch körperlich offenbar besser in Schuss. Er trägt eine Sonnenbrille und kurze Hose. Mit einer nicht angezündeten Zigarette wedelnd, bedeutet er seinen Bewachern, dass er rauchen möchte, bevor er in die Klinik geführt wird. Es wird ihm gestattet.

Solche Ausführungen von Gefangenen erfolgten, wenn die medizinische Leistung innerhalb des Berliner Justizvollzuges nicht gewährleistet werden könne, bestätigt Justizsprecherin Jana Neskovic am Montag. Zahlen, wie oft das in den letzten beiden Jahren der Fall war, waren auf die Schnelle nicht zu bekommen.

Eine Einzelfallentscheidung

Die Entscheidung über eine Fesselung treffe die zuständige Justizvollzugsanstalt. Bei jeder Ausführung handelt es sich um „eine Einzelfallentscheidung“, bei der sicherheitsrelevante Aspekte berücksichtigt würden. Es gelte eine Entweichung und fremd- oder selbstgefährdendes Verhalten zu verhindern, auch das Verhalten im Gewahrsam spiele eine Rolle.

Vorbei an wartenden Patienten rechts und links des Ganges tippelt der Mann mit der Kette an den Füßen neben seinen beiden Bewachern bis ans Ende des Flurs. Dort gibt es drei freie Plätze nebeneinander. Blicke folgen ihnen. Fast eine Stunde vergeht, bis der Aufruf aus dem Sprechzimmer kommt. Danach wieder Warten im Foyer, bis der Justiz-Bulli zum Rücktransport ins Gefängnis kommt.

In der Regel würden Ausführungen von Gefangenen zu ambulanten Terminen von mindestens zwei Bediensteten begleitet, sagt Neskovic. Bei einem stationären Aufenthalt würden Gefangene rund um die Uhr von insgesamt sechs Bediensteten bewacht. In den letzten zwei Jahren habe es keine Entweichungen während Ausführungen gegeben.

Die beiden Bewacher wirken jung und drahtig. Auch ohne Fußfessel – der alte Mann sieht nicht so aus, als könne er ihnen entkommen.

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