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Langzeitprojekt eines FotografenDie Schlockfamily

Seit 29 Jahren lichtet Robert Schuler jährlich eine Familie ab. Lotta, Paul, Manüla und Papa Schlockmaster posieren vor Landstraßen oder Sternwarten.

Die Schlock-Familie im Jahr 2015 Foto: Robert Schuler

Als die Fotografie um 1840 aus den Versuchslaboren heraus den Markt eroberte, war das Porträt ihr erstes, lukratives Gewerbe. Menschen strömten in die Ateliers und ließen sich fotografieren. Erstaunlicherweise waren es häufig keine starren Porträts, wie man für diese Zeit vermuten könnte. Keine strengen Figurenkompositionen, die auch Rang und Status der Abgelichteten symbolisierten.

Diese frühen Porträtfotos waren oft so etwas wie auf Silberplatten gezogene Sittenmalerei, sie inszenierten Charaktere des Alltags. Was man lang mit dem Pinsel darzustellen versuchte, ging nun mit der Linse: Einer hebt sein Werkzeug an, der nächste verschmitzt den Bierkrug.

Das Bier ist auch heute noch spezifisches Kennzeichen besonders des deutschen Alltags. Auf den Porträtfotos dieser Familie vom Lande in der Nähe von Würzburg ist es geradezu ein Leitmotiv. Und wenn mal keine Flasche im kühlen Wasser beim abendlichen Sommerbad oder in der Hand des Vaters liegt, dann lässt sich stattdessen eine rauchende Zigarette im Mundwinkel erspähen.

Realitätscheck Fluppe und Bierflasche: Diese Familie ist echt. Sie nennt sich die Schlockfamily, mit den Kindern Lotta und Paul, Mutter Manüla und dem Maler, ­Musiker und Comic-Zeichner Schlockmaster als Vater. Seit 29 Jahren lichtet ein Freund der Familie, der in Frankfurt lebende ­Fotograf Robert Schuler, die Schlock­family einmal im Jahr ab. Tochter Lotta war drei und Sohn Paul sechs Jahre alt, als das erste Foto entstand, auf einer Landstraße im Sommer, die Strommasten erheben sich über den vollen Kornfeldern.

Immer draußen porträtiert Schuler die Familie, immer an einem anderen Ort, für den er sich kurz vor dem Fototermin entscheidet. Mal vor einem Mähdrescher, mal an einer einsamen Sternwarte. Und immer nur, bis ein Film seiner analogen Mittelformatkamera voll ist. Zu sehen kriegt die Familie je nur ein ausgewähltes Foto.

Es gibt eine berühmte Porträtserie des US-amerikanischen Fotografen Nicholas Nixon, auf der er vier Schwestern seit 1975 jährlich abbildete. Stets in der gleichen Anordnung blicken die Frauen teilnahmslos in die Kamera. Und man beobachtet, wie sich auf ihren jugendlichen Gesichtern zunehmend Charakter und Alter abzeichnen. Auf Herlinde Koelbls Porträts von Angela Merkel kann man über Dekaden hinweg verfolgen, dass sich auf den neugierigen, offenen Blick einer jungen Politikerin immer mehr die Hintergründigkeit und Verschlossenheit der erfahrenen Kanzlerin legen.

Auch bei dieser Familie sieht man die Zeitläufe, auch sie berühren. Das zunächst vorwitzige Spiel der Kinder mit der Kamera wandelt sich zu pubertärer Faxenmacherei und wird schließlich zur erwachsenen Pose.

Doch die Wirklichkeit der Zeit auf den Bildern von Koelbl oder Nixon taucht bei den Porträts der Schlockfamily so nicht auf. Das liegt vielleicht daran, dass Fotograf Schuler herauszoomt, Landschaft und Architektur in seine Studie dieser Familie aufnimmt. In den Bildern steckt aber auch viel Inszenierung, der Blick der Porträtierten auf sich selbst. Da wird Luftgitarre gespielt, die Hände werden in die Hüften gestemmt.

Die Mutter, die das Geld verdient, ist stets standhaft präsent. Der Vater zeigt sich mit auffälligem Künstlerhabitus. Man könnte darin auch wieder eine fotografische Genremalerei erkennen: ein selbstgewähltes Sittenbild von heute.

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