Vulkanausbruch der Antike neu bewertet: Klein, aber verheerend
Kieler Forscher*innen zeigen, dass der Ausbruch in Santorini kleiner war als gedacht. Diese Erkenntnis kann helfen, Gefahren besser einzuschätzen.
Um zu dieser neuen Erkenntnis zu kommen, hat das elfköpfige Forschungsteam um Karstens 2019 zweieinhalb Wochen auf der „Poseidon“ im Mittelmeer Schallwellen gemessen. Die „Poseidon“ war damals ein Forschungsschiff des Geomar Helmholtz-Zentrums. Mittlerweile ist es nach 539 Forschungsfahrten ausgemustert und hilft unter dem Namen „Humanity 1“ Seawatch bei der Rettung Geflüchteter im Mittelmeer. Die Stimmung sei damals sehr gut gewesen, das Team nett, Verpflegung und Wetter gut, erzählt Karstens – und der vorerst letzte Lichtblick vor Pandemiebeginn: „Wir sind Ende Oktober 2019 eingelaufen, und dann kam direkt Corona.“
Dass das Forschungsteam ausgerechnet im griechischen Mittelmeer vor Santorini seine Messungen durchführte, hat einen entscheidenden Grund. Vor etwa 3.600 Jahren explodierte auf Santorini, damals Thera genannt, ein Vulkan. Das nahe Dorf Akrotiri wurde unter Asche und Bimsstein für die Ewigkeit konserviert, inklusive zweistöckiger Häuser und funktionierender Toiletten. Akrotiri ist heute eine berühmte Ausgrabungsstätte.
Das Gestein rauschte ins Meer und löste einen zehn Meter hohen Tsunami aus, der die Nordküste der nahen Insel Kreta für immer veränderte. Dieser Ausbruch ist als die Minoische Eruption bekannt und zählt zu den am besten erforschten Eruptionen weltweit, weil bereits im 19. Jahrhundert Interesse daran bestand zu verstehen, was mit dem Dorf Akrotiri passiert sein könnte. Trotzdem waren bisherige Schätzungen zur Größe der Eruption eher ungenau. „Früher konnten Mächtigkeit und Volumen der Eruption nur grob geschätzt werden, und diese groben Zahlen wurden dann weitergetragen“, sagt Karstens.
Neue, genauere Messungen
Um zu den neuen Ergebnissen zu kommen, musste das Forschungsteam neben Bohrkernen auch neue, genauere Methoden verwenden. Die könnten zum Vorbild für ähnliche Messungen anderswo werden. Konkret sah das so aus: An der „Poseidon“ wurde ein etwa 300 Meter langer Gummischlauch befestigt, der mit Öl gefüllt durch das Wasser des Mittelmeers gezogen wurde. Der Schlauch selbst hatte einen Durchmesser von etwa sechs Zentimetern, und darin wurden Unterwasser-Mikrofone befestigt.
Während die „Poseidon“ sich in Schrittgeschwindigkeit fortbewegte, ließen die Forscher*innen alle paar Sekunden Luftblasen mit einer Luftpresse ins Wasser. Diese implodierten unter der Oberfläche, Schallwellen breiteten sich aus, wurden zum Teil vom Meeresboden reflektiert und trafen dann auf den mit Öl gefüllten Schlauch und die Hydrophone darin. Das funktioniert so ähnlich wie Computertomographie im Krankenhaus. Die Schalldaten wurden gespeichert und von den Forschenden aufbereitet.
Das Ergebnis: eine ziemlich genaue Karte des Meeresbodens um Santorini. Daran abzulesen ist zum Beispiel, welchen Weg die Lavaströme nach der Explosion ins Meer genommen haben. Und treppenförmige Strukturen zeigen, dass Gestein von der Flanke des Vulkans ebenfalls ins Meer gerauscht ist.
Auch das Volumen der Gesteinsmassen kann man anhand dieser Karten erkennen. Jens Karstens und sein Team schätzen das bei der Eruption freigesetzte Magma auf 26 bis 41 Kubikkilometer. Das ist zwar immer noch eine unvorstellbare Menge, schließlich beinhaltet ein Kubikkilometer eine Billionen Liter. Aber es ist bei Weitem nicht so viel, wie bisher angenommen wurde. Viele Schätzungen gingen bis dato von der doppelten Magma-Menge aus.
Ein Grund zur Beruhigung ist das allerdings nicht, denn wenn die Eruption kleiner war als gedacht, dann haben auch kleinere Ausbrüche eine verheerende Wirkung. Deshalb sei die Studie des Geomar Helmholtz-Zentrums so wichtig, sagt Karstens. Um das Risiko künftiger Ausbrüche einschätzen zu können, müsse man zunächst genaue Zahlen zum Verlauf vergangener Eruptionen haben. Das gelte nicht nur für die Minoische Eruption: „Auch andere große Eruptionen sind schlecht bestimmt“, sagt Karstens.
Pompeji im Jahr 79, der Ausbruch des Unterwasservulkans Hunga Tonga 2022 im Pazifik und auf La Palma im Jahr davor – Vulkane machen Menschen Angst. Scheinbar ohne Vorwarnung verschwört sich die Erde gegen ihre Bewohner*innen, spuckt brennendes, flüssiges Gestein in den Himmel, zerstört Existenzen und vernichtet Leben.
Richtig einzuschätzen, wann ein Vulkan zur Gefahr werden kann, ist eine schwierige Aufgabe. Noch schwieriger, sagt Karstens, sei die Kommunikation der Gefahreneinschätzung. In der Nähe von Santorini befindet sich noch ein weiterer Vulkan namens Kolumbos, sieben Kilometer nordöstlich der Küste auf dem Grund des Mittelmeers. Unterhalb des Vulkankraters scheint sich erneut Lava zu befinden. 1650 hatte Kolumbos einen Tsunami ausgelöst und giftige Gaswolken in die Luft über Santorini gespuckt.
Schwierige Prognose
Trotzdem, sagt Jens Karstens, bestehe kein Grund zur Sorge. „Ein Erdbeben geschieht ohne Vorwarnung, aber ein Vulkan meldet sich in der Regel, bevor er ausbricht.“ In der Ägäis werde hart daran gearbeitet, die dortigen Vulkane zu überwachen. Außerdem seien die meisten Vulkanausbrüche nicht gefährlich. Trotzdem werde in einigen Medien vor der nächsten bevorstehenden Vulkankatastrophe gewarnt. So veröffentlichte der Guardian Ende Januar dieses Jahres einen Artikel über eine bevorstehende Eruption des Kolumbos. Dem sei aber nicht so. Die Kolleg*innen in Griechenland hätten einigen Aufwand betreiben müssen, um die Panik der Bevölkerung zu befrieden.
Jens Karstens sagt, er sei trotzdem froh, dass die neuen Ergebnisse außerhalb seines wissenschaftlichen Umfelds wahrgenommen würden – und das nicht nur in Deutschland: „Unsere Forschungsergebnisse trafen auf großes Interesse in Griechenland. So wurde in der größten Tageszeitung Kathimerini darüber berichtet.“ Zu den lokalen Wissenschaftler*innen in Griechenland hätten sie ein gutes Verhältnis, sagt er. Das Forschungsumfeld sei dort sehr offen und international, alle Beteiligten an engagierter Forschung interessiert. „Es sind Nachfolgeprojekte mit den Kolleg*innen in Griechenland geplant.“
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