Planungsstopp für Radinfrastruktur: Angriff auf die Verkehrswende

Die Verkehrssenatorin will alle Projekte auf Eis legen, bei denen der Autoverkehr eingeschränkt wird. Die Bezirke und die Bewegung sind schockiert.

Ein Demonstrant hält ein Schild mit der Aufschrift "10 - 20 Tote Fahrradfahrende? Mir doch egal" und einem Bild von Manja Schreiner

Ak­ti­vis­t:in­nen bei einer Spontandemonstration vor der Senatsverwaltung am Freitagabend Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Eine sichere Radspur an allen Hauptverkehrsstraßen – die Umsetzung dieses Kernpunkts des 2018 beschlossenen Mobilitätsgesetzes kam in Berlin bisher nur schleppend voran. Nun droht eine Anordnung der CDU-Mobilitätssenatorin Manja Schreiner die Verkehrswende ganz zum Erliegen zu bringen. In einer Pressemitteilung der Senatsverwaltung vom Freitag kündigte Schreiner an, sämtliche laufende Projekte für den Ausbau von Fahrradinfrastruktur überprüfen zu wollen, die einen Wegfall von Fahrstreifen oder Parkplätzen zur Folge hätten.

„Alle […] genannten Projekte und noch nicht begonnenen Maßnahmen ruhen bis zur Billigung der weiterentwickelten Jahresplanung“, so Schreiner. Insbesondere wolle die Senatsverwaltung Alternativen prüfen, die „weniger Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr“ mit sich brächten. Ausgenommen seien lediglich Projekte an Unfallschwerpunkten und in Schulnähe.

Der Mitteilung ging eine Mail Schreiners an die Lichtenberger Verkehrsstadträtin Filiz Keküllüoğlu (Grüne) vom Mittwochabend voraus, die Keküllüoğlu in der Bezirksverordnetenversammlung am Donnerstag verlas. Darin forderte Schreiner zusätzlich den Stopp aller Projekte, die die Einführung von Tempo 30 über lange Strecken beinhalten. In der Mail kündigte die Verkehrssenatorin an, ihre Senatsverwaltung würde „künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen“.

Bei den Bezirken, die in den meisten Fällen für die Planung von Radwegen verantwortlich sind, rief Schreiners Ankündigung überwiegend Entsetzen hervor. Gerade für Projekte, die sehr weit fortgeschritten seien, sei der Planungsstopp eine „Vollkatastrophe“, sagte der Neuköllner Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) am Sonntag der taz. So müsse der Bau eines geschützten Radweges auf der Hermannstraße noch in diesem Jahr beginnen, da er zu großen Teilen aus Bundesmitteln finanziert würde. Verzögere sich der Bau, gingen die Fördergelder verloren. „Mit dem Stopp schießt die Senatsverwaltung Millionen an Fördermitteln in den Wind“, fürchtet Biedermann.

Verkehrswendebewegung unter Schock

Die Notwendigkeit für die Überprüfung kann der Stadtrat nicht nachvollziehen. Jedes Projekt sei oft über Jahre intensiv von Fachleuten geprüft und in etlichen Schleifen mit allen Ak­teu­r:in­nen abgesprochen worden. „Es ist nicht so, als würden da ein paar Fahrradideologen einfach Linien auf Pläne zeichnen.“

Verwunderlich sei auch, berichtet Biedermann, dass er und viele Kol­le­g:in­nen aus anderen Bezirken gar keine Mail von der Senatsverwaltung bekommen und erst durch Medienberichte von Schreiners Plänen erfahren hätten.

Für die Verkehrswendebewegung ist der Planungsstopp ein Schock. „Sichere Radwege, Tempo 30 und die Reduktion von Parkplätzen sind die wesentlichen Bestandteile der Verkehrswende“, sagt Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen der taz. „Ich fürchte einen Rollback unserer bisherigen Errungenschaften.“ Am Freitagnachmittag versammelten sich bereits mehrere hundert Ak­ti­vis­t:in­nen zu einer Spontandemonstration vor dem Sitz der Verkehrssenatsverwaltung in Mitte. Für die nächsten Wochen überlege Changing Cities, auch bundesweit zu mobilisieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.