Debatte um Rammstein-Konzerte in Berlin: „Awareness muss von innen kommen“

Nach Missbrauchsvorwürfen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann mehren sich die Rufe nach Awareness-Teams. Kann das Frauen vor Übergriffen schützen?

Aktivisten demonstrieren vor Beginn des Konzertes der Band Rammstein vor dem Stadion.

Protest vor dem Rammstein-Konzert in München Foto: Sven Hoppe/dpa

taz: Frau Ahrend, Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) spricht sich dafür aus, wegen der Missbrauchsvorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann auf den Berliner Konzerten Awareness-Teams einzusetzen. Was halten Sie davon?

Katharin Ahrend: Ich finde es problematisch und nicht nachhaltig, dass die Debatte über die Vorfälle um Rammstein in einer Forderung nach mehr Awareness-Teams endet. Awareness-Teams sind eine super Sache, aber sie können nicht die Lösung für diese tiefgehenden strukturellen Probleme sein. Hier klebt man ein Pflaster auf eine tiefe Wunde und hofft, es werde so schnell besser. Awareness ist aber ein ganzheitlicher Reflexionsprozess und Übernahme von Verantwortung.

Katharin Ahrend ist Co-Geschäftsführende der Clubcommis­sion und leitet seit 2019 das Projekt Awareness-Akademie, das Austausch und Weiterbildungen rund um Awareness, Diversität und Antidiskriminierung anbietet.

Was genau meinen Sie damit?

Awareness-Teams sind nur ein kleiner Teil eines Awareness-Konzepts auf einer Veranstaltung. Sie leisten vor Ort Unterstützung, wenn es zu Grenzüberschreitungen gekommen ist. Es muss aber ganz viel im Vorfeld passieren, vor allem in den internen Strukturen. Das betrifft also alle Ebenen, allen voran die Band und das Management.

Mehrere Frauen werfen Rammstein-Sänger Till Lindemann Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt vor. Frauen sollen über ein „Castingsystem“ ohne ihr Wissen gezielt für Sex rekrutiert und auf den Backstage-Partys teils unter Drogen gesetzt worden sein. Lindemann weist die Vorwürfe zurück.

Bei Konzerten in München vergangene Woche kam es zu Protesten. Im Berliner Olympiastadion sind im Juli drei Konzerte von Rammstein geplant. Forderungen nach einer Absage erteilte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) eine Absage, kündigte aber ein Verbot von Aftershowpartys an

Was muss dort passieren?

Die müssen sensibilisiert und in Verantwortung genommen werden. Man muss die eigenen Strukturen reflektieren und sich die eigenen Werte bewusst machen. Es geht um Präventionsarbeit. Wenn Menschen mit Macht keine Verantwortung übernehmen, helfen Awareness-Teams nicht. Da ist der Diskurs fehlgeleitet.

Hätten Awareness-Teams die mutmaßlichen Vorfälle um Rammstein also gar nicht verhindern können?

Nein, hätten sie nicht. Ein Aware­ness-Konzept, das machtkritisch und reflektiert ist, hätte das schon geschafft. Aber der Fehler besteht ja schon darin, dass überhaupt Strukturen entstehen konnten, die junge Frauen für Sex rekrutieren.

Was sind die Grundsätze von Awareness-Arbeit?

Die Bedürfnisse der betroffenen Person stehen im Zentrum allen Handelns. Sie bestimmen, was sie in der Situation brauchen, und die Betroffenen definieren auch, ab wann eine Grenzüberschreitung stattgefunden hat. Awareness ist also immer parteilich mit den Betroffenen, nicht mit den Be­trei­be­r:in­nen oder den Bands.

Wenn ich auf eine Party oder ein Konzert gehe, wie erkenne ich, dass es ein Awareness-Konzept gibt?

Im Idealfall merkt man das schon beim Buchen des Tickets. Da sollte man finden, für welche Werte die Veranstaltung steht und wo die Awareness-Stelle zu finden ist. Auf der Veranstaltung sollte es dann ein Informationssystem und niedrigschwellig erreichbare Teams geben. Die müssen dann auch überall ansprechbar sein – vom Eingang bis hinter die Bühne.

Wie „aware“ ist denn die Berliner Partyszene?

Die Berliner Kulturbranche ist sehr vielfältig und genauso heterogen sind die Zustände bei der Awareness-Arbeit. Seit wir 2020 die Arbeit in der Awareness-Akademie aufgenommen haben, sehe ich aber eine riesige Veränderung. Unsere Weiterbildungen werden immer stärker nachgefragt und wir bekommen jeden Monat mehr Anfragen für Awareness-Konzepte. Gerade schulen wir zehn Berliner Clubs und es kommen immer mehr dazu.

Welche Clubs sind hier aktiv?

Anfangs waren eher die queeren und linken Clubs und Kollektive die Vorreiter:innen. Aber es wird immer diverser. Das Thema ist überall angekommen und lässt sich nicht mehr auf eine Szene eingrenzen. Natürlich gibt es Clubs, die gerade erst anfangen, aber es ist gut, dass angefangen wird! Inzwischen schwappt das Konzept auch auf die Hochkultur über. Das Projekt „Diversity Arts Culture“ ist da sehr aktiv und auch die Berlinale hatte zuletzt ein Awareness-Team. Die Aufmerksamkeit der größeren Kulturbetriebe wächst also.

Ist Berlin hier ein Vorbild?

Das ist schwer zu sagen, aber Berlin hat im Bundesvergleich schon sehr viele Akteure, die aktiv sind. Das ist auch international sicher einzigartig. Und auch auf der politischen Ebene ist inzwischen verstanden worden, dass diese Arbeit wichtig ist.

Das Awareness-Konzept kommt aus der linken Subkultur. Mit den Forderungen nach Awareness-Teams auf Veranstaltungen gibt es die Befürchtung, dass jetzt Awareness von oben verordnet wird. Die Awareness-Akademie wird vom Senat mitfinanziert. Wie schätzen Sie die Gefahr ein?

Wir beschäftigen uns mit dieser Kritik sehr, es ist ein Spannungsfeld: Einerseits brauchen wir diese Schutzkonzepte und die finanziellen und personellen Ressourcen. Die Care-Arbeit ist sehr belastend und schwer und dementsprechend muss sie auch entlohnt werden. Andererseits laufen wir Gefahr, dass ein Ansatz, der aus einem politischen Kampf heraus kommt, nicht mehr die ursprünglichen Werte vertritt. Also dass Betroffene von sexualisierter Gewalt eine Alternative zu staatlichen Institutionen und ungerechten Strukturen haben.

Wie wollen Sie das verhindern?

Die Arbeit muss auch künftig unbeeinflusst von Staat, Institutionen und ökonomischen Zwängen stattfinden können. Awareness kann nicht durch einen Ruf von oben kommen, sie muss intern entstehen. Und genau in diesem internen Prozess begleiten wir.

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