: Das 49-Euro-Ticket bringt Studis in die Bredouille
Langsam wird die Zeit knapp: Die Landesverkehrsminister finden keine Lösung für den Fortbestand des Semestertickets, der Bundesverkehrsminister fühlt sich nicht zuständig
Von Ralf Pauli und Anja Krüger
In den kommenden Wochen können sich die Studierenden an den Hochschulen zurückmelden, wenn sie im Wintersemester weiterstudieren wollen. Doch noch immer ist unklar, wie hoch der sogenannte Semesterbeitrag sein wird, den sie vorher zahlen müssen.
Der Semesterbeitrag besteht meistens aus einer Verwaltungskostenpauschale für die Hochschule, Anteilen für das Studierendenwerk und für die Studierendenvertretung sowie – dem größten Brocken – dem Preis für das Semesterticket. Mit diesem Ticket können Studierende sechs Monate den öffentlichen Nahverkehr vor Ort oder teilweise im ganzen Bundesland nutzen. An vielen Hochschulen müssen die Studierenden insgesamt mehr als 200 Euro, mitunter mehr als 300 Euro zahlen.
Das könnte erheblich weniger werden – aber das wäre kein Grund zur Freude. Denn: An vielen Hochschulen steht aktuell auf der Kippe, ob es künftig noch ein Semesterticket geben wird. Erste Hochschulen wie die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg haben sich bereits gegen die Fortführung des Semestertickets entschieden. Die Studierendenschaften stünden vor der Wahl, „einen Grundpfeiler studentischer Sozialpolitik“ abzuschaffen oder sich rechtlich „auf dünnes Eis“ zu begeben, beschreibt der Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen die aktuelle Lage.
Der Hintergrund ist das im Mai eingeführte 49-Euro-Ticket, mit dem alle Bürger:innen deutschlandweit den Nahverkehr nutzen können. Das Problem: Das Semesterticket ist für die Studierenden obligatorisch. Es beruht auf einem Solidarmodell, alle müssen es kaufen – auch wenn sie lieber zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Auto zur Uni kommen. Dadurch wird es deutlich günstiger als bei einer Wahlfreiheit. Solche Lösungen sind aber nur unter engen Voraussetzungen möglich, in der Vergangenheit gab es etliche Klagen gegen das Semesterticket. Den Zwang halten Gerichte für gerechtfertigt, solange es einen eindeutigen Preisunterschied für den Einzelnen gibt im Vergleich zum normalen ÖPNV-Angebot. Das 49-Euro-Ticket stellt dieses Modell nun in Frage, weil die Differenz zum Semesterticket vielerorts nur noch gering ist.
Den Allgemeinen Studierendenausschüssen, kurz ASten, bereitet die 49-Euro-Alternative deshalb erhebliches Kopfzerbrechen. Sie sind schließlich die Vertragspartner:innen der Verkehrsverbünde und müssen in diesen Tagen entscheiden, ob sie die Verträge mit den Verkehrsbetrieben vor Ort verlängern, kündigen oder zumindest pausieren. An vielen Unis ist die Deadline dafür Ende Juni – bevor die Studierenden im Juli den Semesterbeitrag für das Wintersemester überweisen müssen.
Die Entscheidung fällt den Studierendenschaften schwer. Weiter auf das Semesterticket zu bauen ist rechtlich heikel: „Falls jemand gegen das Semesterticket klagt und die Klage erfolgreich ist, ist die Studierendenschaft in der Haftung“, sagt der AStA-Vorsitzende der TU Dortmund, David Wiegmann. Die Verträge mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) vorsorglich zu kündigen hält Wiegmann aber auch für ein Wagnis: „Ob wir dann später problemlos wieder zum Semesterticket zurückkehren können, ist ungewiss.“ Dass das 49-Euro-Ticket in den kommenden Jahren erheblich teurer wird, ist sehr wahrscheinlich. Deshalb nennen es Verkehrspolitiker:innen auch lieber „Deutschlandticket“.
Fakt ist: Eine erfolgreiche Klage gegen das Semesterticket träfe den AStA Dortmund hart. Und dieses Szenario ist laut einem Rechtsgutachten, das Wiegmann und seine Kommiliton:innen im April in Auftrag gegeben haben, durchaus möglich. Im schlimmsten Fall könnten alle Studierenden der TU Dortmund ihren Beitrag für das Semesterticket über 220,02 Euro vom AStA zurückverlangen. Das macht bei 32.476 Studierenden einen Schuldenberg von mehr als 7 Millionen Euro. „Wir wären auf einen Schlag zahlungsunfähig“, so Wiegmann. Möglicherweise ist er als AStA-Vorsitzender auch persönlich haftbar.
Solche Sorgen haben Studierendenvertreter:innen in ganz Deutschland. Auch Mathis Lorenzen vom AStA der Uni Hamburg ist sich sicher: „Es finden sich immer Leute, die klagen“. Als einzigen Ausweg sieht der 27-Jährige ein Semesterticket, das preislich deutlich unter dem 49-Euro-Ticket liegt. Aktuell zahlen Hamburger Studierende etwas mehr als 30 Euro pro Monat. Ob das günstig genug ist, um vor Klagen zu schützen, ist unklar. „Das ist einer der Gründe, weshalb wir schon lange ein 9-Euro-Ticket für Hamburg fordern“, so Lorenzen. Alle Verhandlungen mit dem Hamburger Verkehrsverbund (HVV) über ein günstigeres Semesterticket blieben bislang aber ergebnislos. Ähnliches berichtet Wiegmann auch von den Verhandlungen diverser ASten im Raum Dortmund mit dem VRR. Die beiden Studenten hoffen jetzt auf eine politische Lösung.
Eine Möglichkeit wäre ein deutschlandweit einheitliches Semesterticket. Die Studierendenvertretungen in NRW haben bereits im März eine Petition für so einen Fahrausweis zu einem Preis von 21,50 Euro im Monat gestartet, also 129 Euro pro Semester. Die saarländische Verkehrsministerin Petra Berg (SPD) hat einen Preis von 29,40 Euro pro Monat empfohlen.
Doch bislang bewegt sich auf politischer Ebene nichts. Die Konferenz der Landesverkehrsminister:innen hat im März eine Übergangslösung vorgeschlagen. Danach sollen die Studierenden einen Aufpreis auf das Semesterticket zahlen können, um es zum Deutschlandticket upzugraden – was viele Bundesländer mittlerweile anbieten.
Außerdem haben die Verkehrsminister:innen eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die eine langfristig tragfähige Lösung erarbeiten soll. Ergebnisse gibt es noch nicht. „Daran wird gearbeitet“, sagt der Sprecher des NRW-Verkehrsministers Oliver Krischer (Grüne), der Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz ist.
Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht sich nicht als Ansprechpartner in dieser Frage. „Eine Bundeszuständigkeit ist nicht gegeben“, sagt eine Ministeriumssprecherin. Aus Sicht des Bundes sei eine einheitliche Lösung zu begrüßen. „Eine Einigung auf Länderebene gab es bisher allerdings nicht“, erklärt sie.
Unterstützung erhalten die Studierenden vom Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Walter Rosenthal: „Ein Deutschlandticket für 49 Euro können sich Studierende nicht leisten.“ Angesichts der Inflation und der viel zu niedrigen Bafög-Sätze seien auch 30 Euro „ein hoher Preis“, so Rosenthal, Rektor der Uni Jena. Da die Studierenden damit aber eine bessere Gegenleistung bekämen als bisher, wäre das jedoch ein „annehmbarer Kompromiss“.
Ob eine Entscheidung rechtzeitig bis zum Herbst steht, ist völlig offen. Für viele Studierendenschaften dürfte das zu spät sein. An der TU Dortmund will das Studierendenparlament in zwei Wochen über das Semesterticket abstimmen. Bleibt der Vertrag bestehen, wird es für den AStA-Vorsitzenden David Wiegmann ein spannendes Wintersemester.
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