Ein Jahr nach dem großen Fischsterben: Wahlkampfthema Oder
Die polnische Regierung baut die Oder als Wasserstraße aus – für den Hochwasserschutz, wie sie sagt. Das bringt die Bundesregierung in die Bredouille.
Aber auch gegen ihren Ausbau könnte sich die Oder besser wehren. Denn der geht trotz zweier gegenteiliger Gerichtsurteile auf der polnischen Seite weiter. In diesen Tagen werden zum Beispiel die Buhnen, mit denen das Flussbett eingeengt werden soll, südlich der Frankfurter Schwesterstadt Słubice erneuert. Dass das Warschauer Oberste Verwaltungsgericht (NSA) die Arbeiten im März gestoppt hat, schert den zuständigen Vizeinfrastrukturminister Marek Gróbarczyk herzlich wenig. „Es geht um den Schutz der Bevölkerung vor Hochwasser“, sagte Gróbarczyk dem konservativen Portal wPolytice.pl. „Wir können uns nicht erlauben, eine Investition zu stoppen, die bereits zu 96 Prozent abgeschlossen ist.“
Seit Jahren schon nimmt die nationalkonservative Regierung in Warschau den Hochwasserschutz als Vorwand, um die Oder als Wasserstraße zu ertüchtigen. Zwar wurden die Pläne zur Eindeichung des amazonasähnlichen Zwischenoderlandes südlich von Stettin gestoppt. An anderer Stelle aber macht Warschau Tempo. Im Mai leakte die polnische Umweltstiftung Greenmind einen Entwurf für ein „Gesetz zur Revitalisierung der Oder“, den ein Mitstreiter der Stiftung einen „Gnadenstoß für die Oder“ nannte.
Vordergründig soll mit dem Gesetz eine Wiederholung des katastrophalen Fischsterbens vom August 2022 erschwert werden – etwa durch die Modernisierung von Kläranlagen. Neben dem Neubau von Buhnen ist aber auch der Bau zweier neuer Staustufen vorgesehen. Die Kanalisierung der Oder auf polnischer Seite würde damit vorangehen. Noch ist die Oder zwischen den Staustufen Malczyce (Maltsch) und Hohensaaten auf 500 Kilometern ein frei fließender Fluss.
Warschau treibt Oderausbau voran
Die Vehemenz, mit der Warschau den Oderausbau zur Wasserstraße vorantreibt, bringt auch die Bundesregierung in die Bredouille. Zwar hatte sich auch das brandenburgische Umweltministerium der Klage von je drei polnischen und deutschen Umweltorganisationen angeschlossen, die im März mit dem Urteil „Baustopp“ entschieden wurde. Gleichzeitig hatte Berlin Warschau 2015 im „Abkommen über die gemeinsame Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet“ eine Mindesttiefe von 1,80 Meter zugesichert.
Allerdings wurden darin auch „grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen“ für jede einzelne Baumaßnahme verabredet – die gesetzliche Grundlage für die Klage vor dem Warschauer Obersten Verwaltungsgericht.
Umweltschützer wollen nun auch Brüssel einschalten. Im April traf sich deshalb der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius in Breslau mit der Organisation Eko-Unia, einer der sechs Klägerinnen gegen den Ausbau der Buhnen. EU-Mittel fließen derzeit aber nicht mehr in den Oderausbau. Nach dem ersten Urteil aus Warschau hat Brüssel 200 Millionen Euro auf Eis gelegt, berichtet die MOZ.
Sollte sich Brüssel gegen die Ausbaupläne aussprechen, wäre das auch eine Ohrfeige für die Bundesregierung und ihr Abkommen mit Polen. Für die PiS wiederum ist das Thema Oder ein denkbar unangenehmes Thema vor den Parlamentswahlen im Herbst. Jüngsten Umfragen zufolge sprechen sich 57 Prozent der Polinnen und Polen für einen sofortigen Stopp der Einleitung von Substanzen in den Fluss aus. Auch jeder zweite Wähler der PiS befürwortet die Forderung.
Auch ohne Rechtsperson zu sein, ist die Oder in Polen ein Wahlkampfthema geworden.
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