Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn: Der nächste Streik dürfte folgen

Im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn sind die Fronten verhärtet. Der Bahnvorstand will nicht weiter verhandeln, die EVG droht mit neuen Streiks.

Ein mann mit einer blauen Kappe, auf der der SChriftzug "EVG" zu lesen ist, bläst in eine Tröte

Die EVG gibt sich kämpferisch: Bei der Deutschen Bahn droht der nächste Streik Foto: Ying Tang/NurPhoto/imago

BERLIN taz | Der Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn spitzt sich zu. Mit der Androhung neuer Warnstreiks hat die Eisenbahnergewerkschaft EVG auf die Entscheidung der Deutschen Bahn reagiert, die Verhandlungen vorerst nicht fortzusetzen. „Die Deutsche Bahn dreht ohne jede Not an der Eskalationsspirale“, sagte der EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch am Mittwoch in Berlin.

Zuvor hatte der Bahnpersonalvorstand Martin Seiler weitere Verhandlungen mit der EVG als „im Moment sinnlos“ bezeichnet. Als Grund nannte er deren Ablehnung des jüngsten Bahnangebots. „Die Gewerkschaft zeigt kein Entgegenkommen“, beklagte Seiler. Sie beharre vielmehr „einfach stur auf ihren Ausgangsforderungen“. Vor einer Wiederaufnahme der Verhandlungen bedürfe es erst einmal „eines klaren Signals“ der EVG, dass sie zu einem Kompromiss bereit sei.

Angesichts dieser Verweigerungshaltung sei er „sehr besorgt“, sagte EVG-Mann Loroch. „Wir bewegen uns ständig auf den Arbeitgeber zu, bieten Gespräche an und wollen in Verhandlungen das Machbare und Mögliche ausloten“, so der Gewerkschafter. „Wenn sich – wie jetzt – am Verhandlungstisch erst einmal nichts mehr bewegt, bleibt uns nur, mit Warnstreiks Druck auszuüben.“ Entsprechende Vorbereitungen würden jetzt beginnen. Wann es so weit sei, darüber werde die Öffentlichkeit rechtzeitig informiert. Die Tarifkommission werde darüber in den kommenden Tagen beraten.

Die Gewerkschaft fordert für die rund 180.000 Tarifbeschäftigten bei der Bahn eine Lohnerhöhung in diesem Jahr von 650 Euro im Monat oder 12 Prozent für die oberen Lohngruppen. Demgegenüber sieht das vom Bahnvorstand am vergangenen Donnerstag vorgelegte Angebot bis Ende November ausschließlich die Zahlung einer steuer- und abgabenfreien Infla­tions­aus­gleichs­prä­mie in zwei Tranchen von insgesamt 2.850 Euro vor.

Für untere Einkommen soll es dann ab Dezember 2023 zunächst eine Lohnsteigerung um 6 Prozent und ab August 2024 um weitere 6 Prozent geben. Für mittlere Einkommen sind Steigerungen von jeweils 5 Prozent und für höhere Einkommen um jeweils 4 Prozent anvisiert. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll 24 Monate betragen. Durch diesen „Dreiklang“ habe das Angebot „eine sehr starke soziale Komponente, also genau das, was die Gewerkschaft fordert“, so Personalvorstand Seiler.

Kein gutes Angebot für die unteren Lohngruppen

Doch das entspricht ebenso wenig den Tatsachen wie seine Behauptung, das Bahnangebot würde sich am Abschluss des öffentlichen Dienstes orientieren. Denn dafür fehlt eine entscheidende Komponente: der monatliche Sockelbetrag, den alle Beschäftigten in gleicher Höhe erhalten. Da sich der Bahnvorstand dazu bisher nicht bereit erklärt hat, liegt dessen Angebot ausgerechnet für die Beschäftigten in den unteren Lohngruppen, die von den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten besonders betroffen sind, deutlich niedriger.

Die tabellenwirksame Erhöhung zum Ende der Laufzeit des Tarifvertrags für die unterste Entgeltgruppe würde bei der Deutschen Bahn 12,36 Prozent betragen, hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung errechnet. Im öffentlichen Dienst liegt die Steigerung in dieser Gruppe demgegenüber bei 16,87 Prozent – eine gravierende Differenz.

„Die Deutsche Bahn hat sich dafür ausgesprochen, den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst als Maßstab zu nehmen, doch ihr Angebot an die EVG ist insbesondere bei den unteren Entgeltgruppen deutlich schlechter“, konstatierte WSI-Leiter Thorsten Schulten.

Wie kampffähig ist die EVG?

„Die Deutsche Bahn will uns einen Tarifabschluss diktieren“, kritisierte EVG-Verhandlungsführer Loroch. Das bisherige Angebot sei jedoch „sozial ungerecht“ und bedeute für die Beschäftigten Reallohnverlust. Falls der Bahnvorstand nicht an den Verhandlungstisch zurückkehre, seien nicht nur Warnstreiks möglich, im weiteren Verlauf sei auch eine Urabstimmung unter den Mitgliedern über einen unbefristeten Streik eine Option.

Bereits zwei Mal hat die EVG im laufenden Tarifkonflikt mit Warnstreiks den Bahnverkehr lahmgelegt. Einen dritten Ausstand, der 50 Stunden dauern sollte, sagte die Gewerkschaft Mitte Mai kurzfristig wieder ab, nachdem sie sich mit dem Bahnvorstand vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main in der Frage des Mindestlohns für Bahnbeschäftigte auf einen Vergleich geeinigt hatte.

Wie kampffähig die EVG tatsächlich ist, hat sie bisher noch nicht unter Beweis stellen müssen. Denn anders als bei zurückliegenden Streiks der Konkurrenzgewerkschaft GDL hat der Bahnvorstand in ihrem Fall bislang nicht einmal versucht, einen Notfahrplan aufzustellen.

Vielmehr reichte die bloße Streikankündigung schon aus, damit er den Zugverkehr in Deutschland einfach für die entsprechende Zeit komplett eingestellt hat – wobei von der temporären Stilllegung des Netzbetriebs unbeteiligte Unternehmen der Eisenbahnbranche und deren Kun­d:in­nen mitbetroffen waren. Auch das ist eine der Merkwürdigkeiten dieses Arbeitskampfes, wie ihn der Bahnvorstand führt.

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