kinotipp der woche
: Kultureller Kolonialraum

Die Reihe „Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin“ ergründet Topoi der Exotisierung im Weltmetropolengenre

Die Tanzfläche des Londoner Nachtclubs Piccadilly ist gut gefüllt. Wer etwas auf sich hält, strömt Nacht für Nacht in den Club, um die beiden Showtänzer Vic und Mabel zu sehen. Spektakulär gleitet Werner Brandes’ Kamera in E. A. Duponts „Piccadilly“ (1929) über die Tanzfläche, um den Auftritt einzufangen. Etwa in der Hälfte des Auftritts werden die Blicke abgelenkt, als ein dreckiger Teller Empörung erregt. Die Spurensuche führt den Manager zum eigentlichen Star von „Piccadilly“: Gebannt beobachtet das Personal in der Küche, wie die junge Shosho auf dem Tisch tanzt und nebenher unkonzentriert auf dem Geschirr herumwischt. Shosho (Anna May Wong) wird entlassen, steigt jedoch kurz darauf zum Star des kriselnden Nachtclubs auf.

„Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin – Dekolonialisierung lokalisieren“, bis 20. 6., Sinema Transtopia; Band zur Reihe ab Herbst bei Assoziation A

Der Film läuft im Rahmen der von Kien Nghi Ha kuratierten Filmreihe „Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin“. Die Kulturwissenschaftlerin Yumin Li, die derzeit an einer Biografie Anna May Wongs arbeitet, führt ein. Wie sie 2018 in der Zeitschrift Sexualities herausgearbeitet hat, kreuzen sich in „Piccadilly“ eine Reihe von popkulturellen Topoi wie das Londoner Westend und insbesondere Limehouse als „kosmopolitischster Bezirk der kosmopolitischsten Stadt Großbritanniens“. Mit dem Gang in die Küche wechselt der Manager von der weißen, bürgerlichen Welt der Nachtklubbesucher in die kosmopolitische Welt des Küchenpersonals, eine Bewegung, die auch in der segregierten Welt des Hollywoodkinos späterer Jahre wieder und wieder auftauchen wird. Anna May Wongs Shosho ist eine Wanderin zwischen den Welten, der Türöffner ist in dem Film die sexualisierte Exotisierung ihrer Tanzauftritte.

„Piccadilly“ ist ein komplexes Geflecht von Duponts Regie- und Anna May Wongs Schauspielkunst und von Topoi, deren Traditionslinien die Filmreihe in Talks verfolgt. Fabian Tietke

Läuft am 23. 5. um 19 Uhr: „Piccadilly“ (R.: Ewald André Dupont, UK 1929) Foto: British Film Institute