Israelisch-polnische Beziehungen: Klassenfahrt nach Polen
Israel und Polen beenden ihren langen Konflikt. Israelische Schulfahrten zu den KZs umfassen fortan auch das Gedenken für alte Nazis und Antisemiten.
P olen und Israel sind vor nicht allzu langer Zeit über ein Abkommen einig geworden, das die Besuche jugendlicher israelischer Delegationen in Polen regelt und einen jahrelangen diplomatischen Streit beendet. Die Besuche in den Konzentrationslagern sind ein Erziehungsritual und aus dem Curriculum staatlicher israelischer Schulen nicht wegzudenken. Tatsächlich aber sind sie umstritten.
Die Rechte und die politische Mitte Israels tendieren dahin, sie als pädagogische Notwendigkeit zu betrachten, während die Linke eher auf Distanz geht und sie als nationalistische Indoktrination ablehnt. Linke Lehrkräfte protestieren dagegen, dass die Schoah eine so zentrale Rolle für die israelischen Identität spielt. Stattdessen müsse man sie als universales Phänomen betrachten.
Die Polen wiederum stören sich an der Tatsache, dass sie auf diesen Reisen oft in eine Reihe mit Antisemiten und Nazikollaborateuren gestellt werden. Die polnische Regierungspartei PiS versucht nun ein neues historisches Narrativ zu erstellen. Man könnte das Geschichtsbeschönigung nennen.
Die neue Version stellt den polnischen Widerstand gegen die Nazis, den es in der Tat gab, in den Mittelpunkt und strebt gleichzeitig danach, die in der polnischen Bevölkerung damals durchaus vorhandene Kollaboration zu vertuschen. Dieses Narrativ stellt die Polen als zweifache Opfer dar: der Nazibesatzung und der sowjetischen Besatzung.
Die neue Version, in der es keinen Holocaust gegeben hat
Diese Haltung spiegelt sich in gewisser Weise auch in der Wiedergutmachungsforderung Polens an Deutschland wider. Man ist Opfer – nicht Täter. Das ist insofern bemerkenswert, dass, auch wenn dieses Narrativ zum Teil unwahr ist, es doch die Einsicht signalisiert, dass die heutige Norm eine Distanzierung von jeglichem Antisemitismus erforderlich macht. Antisemitismus und Fremdenhass sind nicht mehr gesellschaftsfähig.
Die europäische Rechte entwickelte über die Jahre eine gespaltene Identität. Sei ein Fremdenhasser daheim, aber ein bisschen weniger fremdenfeindlich, wenn du in die Öffentlichkeit gehst. Dieser heuchlerische Liberalismus löscht die Xenophobie nicht aus, aber es besteht doch ein Konsens darüber, dass die „Wahrheit“ verheimlicht werden muss. Die neue Rechte sagt nicht mehr: „Gut, dass die Juden vernichtet wurden“, sondern sie hält sich an die Version, dass es gar keinen Holocaust gegeben hat.
Auch die israelische Rechte befindet sich in einem Dilemma. Traditionell tendierte sie dazu, den Antisemitismus als Hauptmerkmal für Nichtjuden zu betrachten und beharrte darauf, dass die ganze Welt gegen uns ist. Wir sind die ewigen Opfer, deshalb müssen wir stark sein und erbarmungslos. Auf der anderen Seite empfindet die israelische Rechte in ihrer aktuellen Version eine Nähe zur europäischen Rechten und identifiziert sich mit ihrem Fremdenhass, vor allem mit der Islamophobie.
Israelische Linke als Hauptkritiker des Abkommens
lehrt Jüdisches Denken am Sapir College in Sderot und ist Autor vieler Sachbücher und Romane. Auf Englisch erschien im Mai sein Spionagethriller „The March Angel“.
Das ist die Erklärung dafür, dass ausgerechnet die israelische Rechte mit den Polen einen wirklich revolutionären Vertrag unterzeichnet hat, der in ihren Augen die traditionelle Erzählung komplett auf den Kopf stellt. Das Abkommen sieht nämlich vor, dass die israelischen Jugenddelegationen auch Gedenkstätten besuchen, die die Geschichte des polnischen Widerstands erzählen, darunter Denkmäler von nationalistischen, antisemitischen Polen par excellence.
In einem seltsamen und ironischen Rollentausch sind israelische Linke heute zu den Hauptkritikern des Abkommens geworden, das sie als Kapitulation vor Antisemitismus und polnischem Nationalismus betrachten.
Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!