Ticketkontrollen in Berlin: Freischein für Übergriffe

Immer wieder werden Fahrgäste von Kontrolleuren diskriminierend behandelt. Die Kampagne #weilwirdichfürchten beklagt: Die BVG denke nicht um.

Menschen stehen vor Straßenbahnen auf der Straße

Erst schauen, ob auch kein Kontrolleur in der Nähe ist: Das ist sicherer Foto: imago

BERLIN taz | In den letzten Wochen hat Ekaterina Raykova-Merz bemerkt, dass sie zusammenzuckt, wenn ein fremder Mann an ihr vorbeigeht. „Ich finde das selber übertrieben, aber es ist eine emotionale Reaktion“, sagt die aus Russland stammende Dramaturgin. Grund dafür ist ein Erlebnis, das sie und ihr Mann vor einem Monat bei einer Tramfahrt in Prenzlauer Berg hatten.

„Als wir einstiegen, buchte mein Mann gerade sein Ticket per App“, so Raykova-Merz. Weil gleichzeitig drei Kontrolleure die Bahn betreten hätten, habe er diesen zugerufen, dass er gerade den Kauf abschließe. „Das hätte er gar nicht tun müssen“, so Raykova-Merz, die Wert darauf legt, dass ihr Mann nie schwarzfahre. So aber wurde ein Kontrolleur aufmerksam, der wenig vertrauenswürdig reagiert habe. Nach dem Motto: Glaube ich nicht, aber mal sehen, ob sich eine „Lösung“ findet.

In ihrer Verunsicherung seien beide beim nächsten Halt wieder ausgestiegen, sagt Raykova-Merz – der Kontrolleur mit ihnen. Der habe sich von Anfang an aggressiv verhalten, mit seinem Lesegerät Schlagbewegungen in Richtung ihres Gesichts gemacht, sie von ihrem Mann weggedrängt und aufgefordert, „die Schnauze zu halten“.

Der Kontrolleur weigerte sich bis zuletzt, einen Ausweis vorzuzeigen

Dem Kontrolleur gelang es, die Personalien der beiden aufzunehmen. Er selbst weigerte sich bis zum Schluss, einen Ausweis vorzuzeigen. Als Raykova-Merz anfing, ihn zu filmen, habe er plötzlich – so schildert sie es später in der Anzeige bei der Polizei – „freundlicher“ agiert.

Auf Film festgehalten

Allerdings zeigt auch der kurze Film, der der taz vorliegt, Unglaubliches: „Ich habe alles bekommen, was ich wollte, meine Eier sind so dick gerade vor Geilheit“, triumphiert der Mann und macht eine Geste, als halte er Bowlingkugeln. Zu Raykova-Merz sagt er, sie könne „das Video ansehen und sich befriedigen“, wenn ihr Mann schlafe. Der solle mit 60 Euro zur BVG gehen und sagen: „Ich habe mich wie ein Köter benommen.“

„Ich fühlte, dass mein Herz herausspringt“, sagt Raykova-Merz zur taz. Der Kontrolleur habe es vor allem auf sie abgesehen gehabt: „Offenbar irritierte es ihn, dass ich darauf bestanden habe, etwas zu erwidern.“ Zu ihrem Mann habe er gesagt: „Bruder, es tut mir leid, dass du so eine Frau hast.“ Dabei habe er sich offenbar sicher gefühlt: „Ich denke, er hatte einen Plan, was er tut, wenn man versucht, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.“

Anzeigen gegen die Kontrollierten

Tatsächlich drehen Kontrolleure oft den Spieß um und erstatten Anzeige gegen die oder den Kontrollierten. Das war auch im Fall von Abbéy Odunlami so, der Ende 2020 bei einer BVG-Kontrolle schwer verletzt wurde. Der aus Chicago nach Berlin gezogene schwarze Kurator wurde im U-Bahnhof Weberwiese derart brutal geschlagen, dass er mit mehreren Knochenbrüchen ins Krankenhaus kam.

Er zeigte die drei Kontrolleure an, doch die taten es ihm gleich und behaupteten, von ihm attackiert und gebissen worden zu sein. Dafür sah das Amtsgericht Tiergarten keine Anhaltspunkte. Vor wenigen Tagen verurteilte es einen der drei wegen gefährlicher Körperverletzung zu acht Monaten Haft auf Bewährung und 2.000 Euro Schmerzensgeld. Beide Seiten gingen in Berufung. Wie die Berliner Zeitung notierte, schickte die BVG niemanden ins Gericht.

Für Anna-Rebekka Helmy und Achan Malonda, die nach dem Angriff auf Odunlami die Kampagne #bvgweilwirunsfürchten starteten, sind solche krassen Fälle von rassistischer oder misogyner Gewalt kein Zufall – sie sehen ein strukturelles Problem: Das Kontrollieren öffne „eine Machtposition, die für bestimmte Menschen das einzig Attraktive an diesem Job ist“, so Helmy, „Das Gehalt ist es ganz sicher nicht.“ Unter dem Druck, Geld einzutreiben, arbeiteten sie „mit einer Grundmentalität, die Fahrgäste im ÖPNV pauschal kriminalisiert“.

Die BVG sieht das anders: Die Verkehrsbetriebe erwarteten vom eigenen Personal als auch dem externer Dienstleister „einwandfreies Verhalten gegenüber den Fahrgästen“, so Sprecher Jannes Schwentu zur taz. „Dazu gehört ein freundliches, ruhiges und bei Bedarf deeskalierendes Auftreten.“ Dafür würden Schulungen wie „Sensibilisierungstrainings oder Seminare zum Thema Diversity“ angeboten. Jede Beschwerde werde „intensiv geprüft.“

Wer kontrolliert hier eigentlich?

Das Problem: Nach taz-Informationen können die von der BVG engagierten Dienstleister ihrerseits Subunternehmen beauftragen, solange sie das – auch nachträglich – melden. In der Folge dürfte bisweilen kaum zu überblicken sein, wer da gerade nach dem Fahrschein fragt.

Der Anteil der BVG-Angestellten unter den Kontrollierenden liegt derzeit nur bei knapp 30 Prozent. In ihrer Antwort auf eine Anfrage, die #bvgweilwirunsfürchten über den Petitionsausschuss an die BVG richtete, stellte diese zuletzt klar, sie werde „auch zukünftig in vielen Bereichen mit externen Dienstleistern zusammenarbeiten“, „auch unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte“.

Sprich: Eigene Leute sind zu teuer. Und während die BVG ausschließt, dass ihre Angestellten „Fangprämien“ erhalten, kann sie für die Externen nur sagen, dass das in den Verträgen mit diesen „nicht vorgesehen“ sei.

Anna-Rebekka Helmy sieht bis heute keine echte Bewegung: „Unser Frustlevel ist gestiegen, aber besonders schlimm ist es für die Betroffenen: Es ist unglaublich, wie seitens der BVG gemauert wird.“ Für ein Unternehmen, das Vielfalt zum Claim mache, „wäre es doch nur konsequent zu sagen: Wir nehmen alle Vorwürfe ernst, wir distanzieren uns und arbeiten das auf – aber da ist gar nichts passiert.“

„Neoliberales Diversitywashing“

Achan Malonda kritisiert, die BVG betreibe „in ihren Kampagnen neoliberales Diversitywashing – aber das reale Problem wird nicht behandelt“. Dass die BVG gemäß ihrem Slogan die Menschen in ihrer Diversität liebe, „das sehen wir nicht“. Malonda sagt, die Ak­ti­vis­t:in­nen hätten mittlerweile erkannt, dass es der BVG „am Ende nicht um die Kund:innen, sondern um Erträge geht“. Direkte Gespräche mit der BVG seien vor diesem Hintergrund schon vor einer Weile zum Ende gekommen, so Malonda. Stattdessen habe die Kampagne auf die Politik gesetzt, um dort den „Willen zur Veränderung zu generieren.

Tatsächlich war hier die Arbeit von Saraya Gomis, bis vor Kurzem Antidiskriminierungs-Staatssekretärin in der Justizverwaltung, weit gediehen. Sie hatte auf einen Strategiewechsel hingearbeitet – weg vom Standard, hier und da einen Workshop anzubieten, hin zu einer fest verankerten Zusammenarbeit der BVG mit der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) sowie deren Ombudsstelle und einem Beschwerdemanagement mit klaren und für Betroffene nachvollziehbaren Regeln. Mittel- bis langfristiges Ziel sollte das Ende der Outsourcingpraxis der BVG sein.

Die finalen Gespräche mit der BVG fielen am Ende der Bildung der schwarz-roten Koalition zum Opfer. Mit dem Thema Antidiskriminierung befasst sich jetzt SPD-Staatssekretär Max Landero in der Arbeits- und Sozialverwaltung. Was er von Gomis’ Vorarbeit weiterführen wird, muss sich zeigen.

Zum Fall von Ekaterina Raykova-Merz will sich die BVG nicht äußern – weil noch polizeiliche Ermittlungen laufen. Auch ob der Kontrolleur noch im Auftrag des Unternehmens tätig ist, teilt sie der taz nicht mit.

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