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Eine Tüte Regenbogen, bitte

Für die Ice Cream Week legen sich Berlins Spei­se­e­is­de­si­gner:­in­nen ins Zeug und kreieren eine Woche lang ausgefallene Sorten

Hauptsache kalt  Foto: imago

Die letzte Eissorte, die ich an diesem Aprilsonntag probiere, heißt „Planet Earth“. Die Sonne geht bereits unter, doch die Schlange vor „Chunks by Koro“ in Kreuzberg ist noch lang. Die Farbmischung der Kugel erinnert an die Erde, wenn man vom Weltraum auf sie herunterschaut: Blau, Weiß und ein bisschen Grün und Braun. Und ein bisschen an das Emoji, das aussieht wie „Der Schrei“ von Edvard Munch. So schmeckt das Eis auch.

„Matcha, Brownies, cremiges Zitrus-Frosting mit Spirulina“ lautet die Beschreibung der Zutaten. Definitiv zu viele Geschmacksrichtungen in einer Kugel, finde ich. Doch ein etwa 60-jähriger Stammbesucher der Berliner Ice Cream Week, der mit mir in der Schlange stand und in vier Tagen bereits 28 Sorten probiert hat, sagt, sie sei eine der besten. Das sei allerdings kein endgültiges Urteil – er habe schließlich noch 15 weitere vor sich. Ich beschließe insgeheim, ihn von nun an Eisbert zu nennen.

Seit vier Jahren findet das Festival in Berlin statt. Diesmal präsentieren 43 Eisläden in verschiedenen Bezirken ausgefallene Kreationen, die sie eigens für diesen Anlass kreiert haben. Die extragroßen Kugeln kosten nur 1,50 Euro, es werden Kärtchen verteilt und gestempelt, man kann eine Reise nach Pisa in Italien gewinnen. Vergangenes Jahr wurden mehr als 48.000 Kugeln verkauft, so die Veranstalter*innen.

Im Gegensatz zu Eisbert fällt es mir nach fünf Sorten in zwei Tagen schwer, noch von Eis zu träumen. Während ich politisch niemals konservativ wählen würde, bin ich bei Eis traditionell. Ich mag es einfach und immer nur eine Kugel auf einmal: Pistazie, Schokolade und manchmal Zitrone. Extravagante Becher und Spaghettieis sind nichts für mich. Eis darf nach Eis aussehen und muss nach Eis schmecken, am besten so, wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Zumindest war das bisher so.

Aber jetzt traue ich mich, eine Sorte mit Sauerkirschen und Pandan zu bestellen (Die Eismacher in Kreuzberg). Pandan ist eine ostasiatische Pflanze, das Eis knallgrün-pink und deftig-säuerlich, fast wie ein Mittagessen. Bei Katchi Ice Cream in Charlottenburg probiere ich eine Kugel Regenbogeneis in einer grauen Waffel, das sehr woke aussieht und geschmacklich an Schlumpfeis erinnert, bei Agiori Eis in Kreuzberg esse ich eine Kugel Mandel-Limoncello, die nach Weihnachten schmeckt, und bei Spoonful Berlin in Kreuzberg eine Kugel Zitrone-Koriander-Chili. Die finde ich extrem cool: Jedes Mal, wenn meine Lippen durch die Schärfe einzuschlafen drohen, kommt die Kälte, um sie davor zu retten. Vielleicht bin ich ja doch gar nicht so eis-konservativ wie gedacht?

Die Sorte „Pizza Marinara“ mit Tomatensorbet, Oregano, Basilikum, Knoblauch und knusprigen Pizza-Stückchen bei Artigiani in Lichterfelde schiebe ich dagegen immer weiter vor mir her. Eisbert hat sie schon probiert. Er erzählt, dass sie zwar „interessant“ war, er die Erfahrung aber nicht wiederholen müsse. Anders als bei schwarzem Sesam: Nach dem letzten Festival sei er danach süchtig geworden.

Ein Highlight dieses Jahr sei seine erste Kugel bei Artigiani am Schlachtensee gewesen: Salbeibutter mit Muskatnuss. Auf seiner Liste stehen noch Kaiserschmarrn (Gelateria Pepitahöfe in Spandau) und Vanille-Safran mit karamellisierten Sonnenblumenkernen und Blüten (Il Buon Gelato Marcon in Karow). Er bereise die Stadt dafür gerne mit dem Rad, sagt er, doch die Kalorien gingen trotzdem nicht alle verloren. Er lacht und isst weiter.

Exotische Eissorten seien zwar nicht neu, erzählt mir die Eisverkäuferin bei „Gimme Gelato“ in Charlottenburg, doch gerade gebe es einen richtigen Hype. Auch in den Standardkarten anderer Eisdielen, die am Festival teilnehmen, finden sich außergewöhnliche Aromen – und sorgen für einen Großteil des Umsatzes, bestätigen die Verkäufer*innen. Die Auswahl reicht von philippinischen lila Süßkartoffeln über Guave und Avocado bis zu alkoholischen Varianten wie Whisky oder Campari-Orange.

Im Gegensatz zu Eisbert fällt es mir nach fünf Sorten in zwei Tagen schwer, noch von Eis zu träumen

Ralf Sander, der Gründer von „Gimme Gelato“, übrigens ein Alumnus der Carpigiani Gelato University bei Bologna (siehe Text links), entschied sich anlässlich des Festivals trotzdem für eine verhältnismäßig schlichte Sorte: Tiramisu. Am ersten Tag der Ice Cream Week habe das Team sieben Liter davon verkauft. Fast eine Stunde stehe ich Schlange zwischen lauten Kindern und parfümierten Damen, um es zu probieren. Aber es lohnt sich. Es schmeckt, wie Tiramisu eben schmecken muss, inklusive getränktem Löffelbiskuit.

Als ich Eisbert davon erzähle, schüttelt er den Kopf. Sinn des Festivals sei es doch, crazy Geschmäcker zu erleben, sagt er und motiviert mich, mir noch eine Sorte zuzutrauen. Also los, einmal quer durch die Stadt, wo eine Kugel Ziegenkäse-Feige-Senf auf mich wartet (Alphi’s Eis in Pankow). Doch wegen einer Baustelle fährt die Bahn nicht so wie sonst und ich schaffe es nicht mehr rechtzeitig hin. Wie schade, denke ich: Bestimmt hätte ein Glas Rotwein perfekt dazu gepasst. Danach noch ein Eis, als Dessert – und, klar, eine Kugel Limoncello, um den Abend ausklingen zu lassen. Luciana Ferrando

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