Die Übersetzerin: Eine Kurierin der Literatur
Ob simultan oder in monatelanger Arbeit, Übersetzungen sind eine „Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten“ – so schrieb es Johann Wolfgang von Goethe einst. Dass Literatur hierzulande vielfältiger ist als zu seiner Zeit, ist klar. Aber bis ein vielfältigeres Bild deutscher Literatur auch im Ausland entstanden ist, dürfte es noch eine Zeit dauern.
Eine, die das forciert, ist die deutsch-britische Übersetzerin Katy Derbyshire. 2020 gründete sie das beim Verlag Voland & Quist angedockte Imprint V&Q Books, das die literarische Kluft zwischen dem europäischen Festland und Großbritannien überbrücken möchte. „Es gibt eigentlich kein wirkliches Bild von ausländischer Literatur in Großbritannien“, sagt Derbyshire. Sie sieht ihre Aufgabe darin, dies zu ändern. Und ist damit seit Längerem sehr erfolgreich. Ihre jüngste Übersetzung ins Englische – Clemens Meyers Debütroman „Als wir träumten“ (S. Fischer, 2006) – hat es auf die diesjährige Longlist des Booker Prize geschafft.
Um die acht Monate habe die Übersetzung gedauert, sagt Derbyshire. 1996 kam sie der Liebe zu einem Mann wegen nach Berlin. Die Beziehung hielt nicht, die Liebe zu Berlin schon. So lebt sie auch heute noch hier. Seit 2017 ist Derbyshire deutsche Staatsbürgerin, das Wahlrecht in ihrer Heimat hatte man ihr nach 15 Jahren in Deutschland bereits aberkannt. So durfte sie 2016 beim Brexit-Referendum nicht mit abstimmen. Die Befürchtung, durch den Brexit weniger Übersetzungsanfragen zu bekommen, habe sich zum Glück nicht bewahrheitet. Nur logistisch sei es seitdem komplizierter geworden.
In ihrer Anfangszeit in Berlin arbeitete Derbyshire zunächst als Kurierin und kam viel in Berlin herum. Seit jeher aber wohnt sie in Mitte, wo sich auch ihre beiden Lieblingskneipen befinden: das Zosch und der Schokoladen.
Ihrer Karriere als selbstständige Übersetzerin ging ein Germanistik-Studium in London voraus, „das hier nichts wert war“. Erst ein zusätzlicher Kurs habe ihr die Möglichkeit geboten, zunächst wissenschaftliche Übersetzungen zu machen. In den Literaturbetrieb hineinzukommen sei dagegen schwer gewesen. Ohne Beziehungen gehe dort nichts.
An ihre erste belletristische Übersetzung erinnert sie sich noch genau: ein Kinder- und Jugendbuch, in dem es um sexuellen Kindesmissbrauch ging, „Rotkäppchen muss weinen“ von Beate Teresa Hanika. Seitdem ist viel Zeit vergangen; mittlerweile hat Derbyshire einen festen Stamm an Autor:innen, die sie ins Englische übersetzt – darunter Inka Parei, Selim Özdoğan und eben Clemens Meyer.
„Es ist unglaublich toll, etwas zu übersetzen, was ich selbst richtig tief bewundere“, sagt sie. Selbst einen Roman zu schreiben, habe sie nicht vor. Als Übersetzerin sei sie heute genug im Fokus, auch weil soziale Medien wie Twitter und Instagram zur Sichtbarkeit derer beitrügen, die ihre Arbeit still im Hintergrund erledigen. „Das war früher anders, besonders in UK hat man gern so getan, als seien Bücher gar nicht erst übersetzt worden.“
Übersetzungen sind mehr als ein Handwerk, sagt Derbyshire. Übersetzte Werke sollen sich ähnlich lesen wie das Original, aber „wenn man das mechanisch angeht, kommt nichts Besonderes dabei raus“, sagt sie. Vielmehr gehe es darum ein Gefühl zu vermitteln, regionale Sprachwitze und Hintergründe durch Anpassung und manchmal auch durch ein Vorwort verständlich zu machen.
Eine mehr oder weniger neue Herausforderung für sie sei das Gendern, sagt Derbyshire. Die englische Sprache mache es leichter, dies zu umgehen, aber auch im Deutschen bemühe sie sich, möglichst inkludierend zu sprechen. „Es macht Sprache größer, wenn wir mehr Menschen ansprechen. Es schenkt der Sprache etwas.“
Auch Übersetzungen sind inkludierend: als Annäherung von Bekanntem und Unbekanntem, als Brücke zwischen Festland und Insel. Sophia Zessnik
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