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Medienkunst und AnthropozänWas uns die Algen zu singen haben

In einer Dortmunder Ausstellung lassen Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten nichtmenschliche Organismen übers Anthropozän sinnieren.

Der Charakter „Hydra“ ist ein Polyp, Videostill aus der Ausstellung Foto: Lex Rütten & Jana Kerima Stolzer

Wenn die Menschheit dabei ist, ihre Lebensgrundlage zu zerstören, sind die wahren Stars vielleicht die Pflanzen und Mikroorganismen, die (trotzdem) überleben. In Dortmund sind die nichtmenschlichen Lebewesen jetzt die Stars in einer Art begehbarem Musical. In der Ausstellung mit dem langen Titel „We grow, grow and grow, we’re gonna be alright and this is our show“ im Hartware MedienKunstVerein singen sie mitunter von den Symbiosen in der Biologie, von Kreisläufen in der Natur und von ihren Verschmelzungen mit der technischen, menschengemachten Welt.

Aus 3D-Scans und realen Aufnahmen generiert lässt das Künst­­le­r*in­nenduo Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten Wesen der Vegetation auf eine multimediale, in Neonfarben getunkte Bühne treten, bestehend aus Videoprojektionen und einer Virtual-Reality-Installation.

Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten, beide 1989 geboren, haben Kunst in Düsseldorf und Münster studiert und sind in der nordrhein-westfälischen Kunstwelt gerade sehr präsent. Sie treffen einen Nerv. Ihre Arbeiten drehen sich um die Zukunftsthemen Ökologie und Klimawandel. Und das, ohne plakativ zu sein. Vielmehr sind sie poetisch verspielt, wenn sie wie jetzt Pflanzen, Mikroben und Super-Organismen zu sieben fiktiven Charakteren machen.

„Pionea“, die Pionierpflanze, erinnert in einem Video ein wenig an das außerirdische Pflanzenwesen Groot aus den Marvel-Filmen um die „Guardians of the Galaxy“: Ein kleines, anthropomorphes Wesen aus Blättern, Dornen, Flechten, Moosen, Verholzungen. Sie kann jedoch etwas mehr Text als Groot (das auf alle Fragen bloß „I am Groot“ antwortet): „Wir wurzeln und blühen – Veränderung sind wir. Nichts ist so konstant wie der Wandel“, sprechsingt „Pionea“ über ihre Gattung. Im dunklen Ausstellungsraum stechen die Video- und Soundinstallationen wie bunte Inseln in knalligen Neon­farben hervor.

Die Ausstellung

„We grow, grow and grow (…)“: Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten. Hartware MedienKunstVerein, Dortmund. Bis 30. Juli

Irgendwie 80er

Ein alles überziehendes Muster erinnert an ein poppiges 1980er-Jahre-Design, und auch der Sound, der den Computerstimmen-Singsang der Pflanzenwesen untermalt, hat etwas von den Elektropop-Pionieren dieser Zeit. Es gibt Sitzmöbel oder -säcke zum Herumhängen. Die Installation „Micro“ ist ausschließlich ein solcher Rumhäng-Ort. In einem dieser Sitze versunken, erfährt man dann vom Superorganismus „Micro“, der in symbiotischer Beziehung mit elektronischen Geräten wie Smartphones lebt, sich von Handschweiß ernährt und Strahlung absorbiert.

„Azolla“ erzählt von einem Algen­farn, der vor 49 Millio­nen Jahren zu Kohle und Erd­öl sedimentierte und so viel CO2 band, dass es zur heute noch vorherrschenden Kaltzeit kam. „Symbiotechnica“ spekuliert darüber, wie die Welt wäre, würde man der menschengemachten Erderwärmung begegnen wie manch ein FDP-Politiker es propagiert: mit technologischem Fortschritt. Gedüngte Ozeane könnten wieder mehr Algen(farn) produzieren, Schwefeldioxid in der Stratosphäre würde gar eine neue Biosphäre schaffen.

Die Menschen im Ruhrgebiet leben ja schon lange in solch einer Techniksymbiose, wie Stolzer und Rütten nebenbei bemerken. Denn ohne die Pumpen, die das Grundwasser im vom Bergbau abgesunkenen Boden halten, würden große Teile der Region absaufen. Am Ende kommt dann der schlichte Gedanke auf: Sollten wir die Natur nicht vielleicht einfach in Ruhe machen lassen?

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