Vorgezogene Wahlen in Griechenland: Mitsotakis hat sich entschieden
Griechenlands konservativer Premierminister kündigt vorgezogene Neuwahlen im Mai an. Ursprünglich waren sie für Juli geplant.
Den genauen Wahltermin im Mai offenbarte Mitsotakis jedoch immer noch nicht. Die Wahlsonntage, die dafür infrage kämen, wären der 7., 14., 21. oder 28. Mai. Hintergrund: In Griechenland hat der amtierende Premierminister das alleinige Recht, die vorzeitige Auflösung des Parlaments vorzuschlagen und Neuwahlen auszurufen. Dies hat mindestens 21 Tage vor dem von ihm bestimmten Wahltermin zu geschehen.
Mit seiner via TV abgegebenen Erklärung reagierte Mitsotakis auf die nach der jüngsten verheerenden Zug-Tragödie Ende Februar im zentralgriechischen Tempital aufgekommenen Spekulationen, wonach er die Wahlen doch turnusgemäß – nach dem Ablauf seiner vierjährigen Amtszeit – erst im Juli dieses Jahres abhalten lassen wollte. Bei einem Frontalcrash waren am späten Abend des 28. Februar auf der Strecke von Athen nach Thessaloniki der zwölf Minuten auf dem falschen Gleis fahrende Intercity 62 mit einem entgegenkommenden Güterzug zusammengeprallt. Dabei starben 57 Menschen.
Vor der vielfach tödlichen Zug-Tragödie in Tempi hatte Mitsotakis den 9. April als vorgezogenen Wahltermin geplant gehabt, wie in Athen zuvor kolportiert wurde. Doch die Tempi-Tragödie habe übereinstimmenden Informationen zufolge Mitsotakis' ursprünglichen Plan auf einen Schlag über den Haufen geworden.
Mitsotakis: „Zeitlose Verantwortung“
Einmal mehr sprach Premier Mitsotakis nun in der Fernsehsendung mit Blick auf die Zugkatastrophe von einer „zeitlosen Verantwortung“ und stellte ferner dazu fest, die Tragödie in Tempi „war der Moment, in dem das Land mit zeitlosen Sünden konfrontiert“ worden sei. Er fügte hinzu: “Das ist eine Tragödie, die niemals hätte geschehen dürfen. Es ist unvorstellbar, dass in Griechenland im Jahr 2023 zwei Züge auf derselben Strecke in entgegengesetzte Richtungen fahren können, ohne dass es jemand bemerkt. Ich glaube, dass alle Bürgerinnen und Bürger in ihrer Wut und ihrem Zorn erkannt haben, dass dieser Unfall der Höhepunkt einer jahrzehntelangen Krankheit ist, die wir nun aber drastisch angehen müssen.“
Die Regierung Mitsotakis ist seit dem 8. Juli 2019 im Amt. Die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) verfügt in der 300 Sitze umfassenden „Boule der Hellenen“ mit darin sechs vertretenen Parteien über eine absolute Mehrheit von 156 Abgeordneten. In sechs Umfragen, die allesamt nach der Tempi-Tragödie durchgeführt worden sind, vereint die ND 26,3 bis 28,5 Prozent der Stimmen auf sich.
Das ist zwar ein deutlich niedrigerer Stimmenanteil als bei ihrem letzten Wahltriumph am 7. Juli 2019, als sie bei einer Wahlbeteiligung von 57,78 Prozent immerhin 39,85 Prozent der Stimmen erhielt. Die ND liegt damit aber weiter vor dem „Bündnis der Radikalen Linken“ (Syriza) unter dem Athener Oppositionschef und Ex-Premier Alexis Tsipras, das laut der Umfragen auf 20,5 bis 26 Prozent der Stimmen kommt.
Mitsotakis' wiederholt erklärtes Ziel, weiter allein in Athen zu regieren, ist nach der Tempi-Tragödie indessen in weite Ferne gerückt, zumal bei den nächsten Parlamentswahlen in Griechenland erstmals ein Verhältniswahlrecht nach deutschem Vorbild gilt. Nur wenn danach keine Regierung in Athen gebildet werden kann, haben erneut Parlamentswahlen zu Füßen der Akropolis stattzufinden. Diese finden dann wieder nach einem verstärkten Verhältniswahlrecht mit einem Mandate-Bonus für den Erstplatzierten statt. Ein Wahltermin Anfang Juli gilt dafür als wahrscheinlich, wie bereits heute in Athen kolportiert wird.
Gemütslage der Griechen schlecht
Fest steht: Mitsotakis hat mit der gegenwärtig aufgeladenen, gar explosiven Stimmung der Griechen – die maßgeblich gegen seine Regierung gerichtet ist – zu kämpfen. Wie eine am Montag veröffentlichte Umfrage des Athener Meinungsforschungsinstituts Alco ergab, erklärten auf die Frage nach ihrem augenblicklich „dominierenden Gefühl“ mit einem Stimmenanteil von 33 Prozent die meisten der Befragten: „Wut“.
Es folgen die Gefühle „Enttäuschung“ (32 Prozent) sowie „Unsicherheit“ (20 Prozent). „Hoffnung“ hegen demnach nur 9 Prozent der Befragten, „sicher“ fühlen sich lediglich 2 Prozent der Griechinnen und Griechen. Das deckt sich weitgehend mit einer Umfrage des Athener Meinungsforschungsinstituts Public Issue. Demnach herrschen „Wut“ und gar „Empörung“ bei 40 Prozent der Befragten vor. Das war vor den letzten Wahlen im Juli 2019 noch ganz anders. Damals gaben nur 17 Prozent der von Public Issue Befragten Griechinnen und Griechen an, wütend oder empört zu sein.
Die Frage, ob der damalige Transportminister Kostas Karamanlis, der am Tag nach der Zugkatastrophe in Tempi von seinem Posten zurücktrat, sein Parlamentsmandat in Athen aber weiter behält, die Verantwortung für die Tragödie trage, bejahten 90 Prozent der Befragten, wie die Alco-Umfrage zudem ergab.
Pikanterweise lässt sich Karamanlis, wie Premier Mitsotakis Spross einer alten Polit-Dynastie in Griechenland, davon nicht beeindrucken. Er beharrt darauf, bei den nächsten Parlamentswahlen erneut anzutreten. Die Wähler in seinem Wahlkreis in der nordgriechischen Stadt Serres, woher der Karamanlis-Clan stammt, sollen über seine Wiederwahl entscheiden, erklärt er dazu. Laut einer Umfrage des Athener Meinungsforschungsinstituts GPO halten 64,6 Prozent aller Befragten aus ganz Griechenland die Entscheidung von Karamanlis jedoch für falsch.
Karamanlis müsste sich allerdings nur den Wählern in Serres stellen, um wieder ins Athener Parlament einzuziehen. In Griechenland, in dem der chronische Klientelismus, die latente Vetternwirtschaft, die grassierende Korruption – Hellas' echte Übel –, in der Ära Mitsotakis wie eh und je blühen, könnte sowohl Karamanlis' Plan aufgehen wie auch die Wiederwahl der Regierung Mitsotakis spätestens im zweiten Anlauf eintreten – der Tragödie in Tempi mit ihren 57 Toten zum Trotz.
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