Regisseur über Film „Der Gymnasiast“: „Man gibt viel von sich preis“
Der französische Regisseur Christophe Honoré arbeitet zwischen Kino und Theater. Sein Film „Der Gymnasiast“ erzählt die eigene Coming-out-Geschichte.
Er hat mit den Größen des französischen Kinos gearbeitet: Deneuve, Garrel, Duris, Mastroianni: der 52-jährige Christophe Honoré, der sich lange Zeit als Epigone der Nouvelle Vague einen Namen gemacht hat und in den letzten Jahren mit deutlich autobiografisch geprägten Filmen ein neues Kapitel in seinem Œuvre aufgeschlagen hat. In seinem neuen Film, „Der Gymnasiast“, spielt selbst die große Juliette Binoche neben Hauptdarsteller Paul Kircher, Newcomer und Alter Ego des Regisseurs, nur eine Nebenrolle.
taz: Herr Honoré, Sie arbeiten in den unterschiedlichsten Sparten, haben Romane geschrieben, auf der Bühne Theaterstücke und Opern inszeniert und natürlich Filme gedreht. Bevorzugen Sie die eine oder andere Form?
Christophe Honoré: Ich habe nicht wirklich eine Präferenz, doch Kino ist das Medium, das schon seit meiner Jugend ein Traum gewesen ist. Dass ich nun die Möglichkeit habe, Filme zu drehen, ist tatsächlich so etwas wie ein Traum, der wahr geworden ist. Aber ich muss sagen, dass ich mich im Vergleich auf einem Theaterset etwas sicherer fühle, wobei sicher nicht ganz das treffende Wort ist. Es ist „weicher“, während das Filmemachen in den letzten Jahren zu einer Art Kampfsport geworden ist.
Inwiefern?
„Der Gymnasiast“. Regie: Christophe Honoré. Mit Paul Kirchner, Vincent Lacoste u. a. Frankreich 2022, 122 Min.
Es hat in erster Linie mit den Abläufen und der Organisation zu tun: Am Theater arbeitet man zwar auch auf der einen Seite mit Geldgebern, auf der anderen mit Schauspielern. Aber es besteht ein runder, intensiver, menschlicher Austausch. Das Kino, selbst das Autorenkino, ist dagegen von zunehmend extremen finanziellen Zwängen und Belastungen geprägt. Das macht die Arbeit anstrengender.
Wenn Sie Geschichten entwickeln, wie entscheiden Sie, welche in diesem oder jenem Medium erzählen?
Das ist ein organischer Prozess. Das Projekt, an dem ich vor „Der Gymnasiast“ gearbeitet habe, war das Theaterstück „Le Ciel de Nantes“, das ebenfalls autobiografische Züge trug, allerdings eher in Bezug auf meine Mutter. Im Grunde genommen ist es immer dasselbe Material, das ich bearbeite, egal, ob im Kino oder im Theater. Als ich damit begann, die Formen zu wechseln, hatte ich oft das Gefühl, dass ich ein eher unsauberer Filmemacher bin, dass ich nicht so richtig dahin gehöre, weil ich so viele andere Dinge mache, man könnte fast sagen: Ich habe mich in gewisser Weise als Dilettant gefühlt.
Nun haben Sie in den letzten Jahren in etwas gearbeitet, das man als Cluster bezeichnen könnte: In zeitlicher Nähe zum Film „Der Gymnasiast“ entstand etwa der Fernsehfilm „Guermantes“ und das Stück „Le Ciel de Nantes“, eine Art thematisches Triptychon.
Nun, man wirkt schnell eitel, wenn man Arbeiten als Teil eines Triptychons bezeichnet. Aber es ist sicherlich richtig, dass ich in den letzten drei Projekten auf unterschiedliche Weise autobiografische Aspekte verarbeitet habe. „Guermantes“ habe ich während der Pandemie geschrieben, während man sozusagen eingesperrt war, dort stand ich selbst als Schauspieler vor der Kamera. In „Le Ciel de Nantes“ gibt es ebenfalls autobiografische Bezüge, jetzt das Porträt eines Jugendlichen, der ich selber einmal war. Insofern ist es sicherlich richtig, hier von einem Triptychon autobiografisch orientierter Arbeiten zu sprechen. Wobei ich den Begriff „Selbstbildnis“ (A. d. R.: im Französischen treffender „l’autoportrait“) dem der Autobiografie vorziehe. Da bin ich nahe bei Proust, mit dem ich mich in den letzten Jahren intensiv auseinandergesetzt habe, insbesondere die letzten beiden Projekte gehen in diese Richtung, sich im Proust’schen Sinne auf die Suche nach einer verlorenen Zeit zu machen.
Ich wollte gerade selbst nach Marcel Proust fragen, ein Autor, der Sie sicher schon lange beschäftigt hat, dessen Art des autofiktionalen Schreibens zwei Ihrer neueren Filme, „Sorry Angel“ und jetzt „Der Gymnasiast“, ziemlich stark beeinflusst zu haben scheint.
In den letzten Jahren war Proust in gewisser Weise mein Mitbewohner. Nun ist es bei Proust ja so, dass man ihn nicht nur intensiv liest, tief in die Lektüre eintaucht, sondern gleichzeitig auch in die Unmöglichkeit, ihn zu verstehen. Bei der Lektüre gerät man immer wieder an einen Punkt, an dem man glaubt, etwas verstanden zu haben, nur um zu realisieren, dass man es vielleicht doch nicht ganz verstanden hat.
Die beiden angesprochen Filme erscheinen mir deutlich literarischer, wenn man das so nennen kann, weniger dramatisch zugespitzt als frühere Filme.
Ja, die Erzählweise hat eher etwas von einer Chronik, was damit zu tun hat, dass der Stoff intimer ist und in dem Sinne etwas gefährlicher, etwas heikler. Es war mir ein Anliegen, loyal über meine Erfahrungen und Erlebnisse zu erzählen. Ich will sie nicht beschönigen oder aufweichen, sondern aufrichtig sein. Aber um diese Wahrhaftigkeit hinzubekommen, kann man keine buchstäbliche Wiedergabe wählen, man muss verklausuliert erzählen, nicht eins zu eins die Realität nachbilden, sondern über den Umweg der Stilisierung.
Ist dieser Wunsch nach stilistischer Überhöhung auch ein Grund, weswegen Sie den Begriff Autoporträt bevorzugen?
Geboren1970 in Carhaix-Plouguer in der Bretagne. Er studierte in Rennes Literatur und besuchte dort eine Filmschule. In Paris arbeitete er ab 1995 als Schriftsteller, Kolumnist, Theater- und Drehbuchautor. „Dix sept fois Cécile Cassard“ (2002) war sein erster Film. Sein Musical „Chanson der Liebe“ lief 2007 in Cannes im Wettbewerb, auch „Sorry Angel“ (2018) war in Cannes nominiert.
Ja, das erklärt sich daraus, dass ich Reflexe möchte, Widerspiegelungen. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber in Frankreich werden wir zugeschüttet mit Autobiografien, die oft kaum mehr sind als Nabelschauen, es ist eine Art Selbstbeweihräucherung. Was mir dagegen vorschwebt, ist der Versuch, weniger explizit autobiografisch zu sein, sondern verklausulierter. Man gibt zwar viel von sich preis, stellt sich aber nicht zur Schau.
Haben Sie daher die Handlung, die sich Ende der 80er Jahre zugetragen hat, in die Gegenwart verlegt?
Das war eine wichtige, ganz bewusste Entscheidung. Ich wollte zum einen dem Jungen von damals treu bleiben, aber gleichzeitig nicht nostalgisch werden. Ich wollte den Konflikt zeigen zwischen dem Jugendlichen, der ich damals war, und dem Menschen, der ich heute bin, der natürlich kein Jugendlicher mehr ist. Den zeitlichen Bezug zwischen diesen beiden Dimensionen fand ich sehr spannend, denn trotz mancher aktueller Bezüge, der Corona-Masken etwa oder dass die Präsidentschaftswahl erwähnt wird, ist der Film schwer zeitlich zu datieren.
War dieses zeitliche Verschieben auch wichtig, um eine moderne schwule Geschichte erzählen zu können? Modern in dem Sinne, dass die Hauptfigur in diesem Film in einer fast bukolischen Welt aufwächst: Sein Umfeld akzeptiert seine Homosexualität völlig, es gibt keine Homophobie. Ich würde vermuten, dass die Situation für junge Schwule in Frankreich Ende der 80er Jahre deutlich schwieriger war.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Der Gymnasiast“
Es hat mich nicht interessiert, eine typische Coming-out-Geschichte zu erzählen. Als ich 17 war, habe ich meine Homosexualität natürlich ganz anders erlebt, als Gleichaltrige das heute erleben. Aber ich fand es interessanter, von einem zeitgenössischen Jugendlichen zu erzählen als von einem Jugendlichen Ende der 80er Jahre. Der Protagonist des Films sagt ja einmal: „Ich erzähle die Geschichte meiner Schande.“ Es war mir wichtig, dass diese Schande nicht mit der Frage der Homosexualität der Figur verknüpft ist, sondern mit anderen Aspekten. In fast allen Lebensbereichen ist die Figur inkompetent, er kann nicht mit seinen Gefühlen umgehen, mit seiner Familie, mit seinem Schmerz. Das einzige Gebiet, auf dem er sozusagen kompetent ist, ist seine Begierde, er weiß, wie er seine sexuellen Bedürfnisse befriedigen kann, alles andere muss er lernen.
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