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Adieu „politischer Rockstar“?

Finnland wählt am Sonntag und für Ministerpräsidentin Sanna Marin sehen die Prognosen nicht gut aus

Von Reinhard Wolff, Stockholm

Alle fünf Parteien der finnischen Regierungskoalition haben weibliche Vorsitzende, vier von ihnen sind erst Anfang 30. Sanna Marin, 34, ist nicht nur die jüngste Ministerpräsidentin Finnlands, sondern auch die jüngste weltweit. In ihrem Kabinett führen Frauen 11 der 18 Ministerien. Als eine Mitte-links-Koalition aus Marins Sozialdemokraten, den Linken und den Grünen sowie den liberalen Parteien Zentrum und Schwedische Volkspartei im Dezember 2019 die Regierungsgeschäfte in Helsinki übernahm, weckte Finnlands „Frauenregierung“ auch international Aufsehen.

Was schon vor der Parlamentswahl am Sonntag feststeht: Eine Fortsetzung wird es für diese Konstellation nicht geben. Die Zentrumspartei möchte nicht mehr Teil der Regierung sein. Je nach Wahlergebnis will sie sich entweder statt nach links nach rechts orientieren oder auf der Oppositionsbank Platz nehmen. Die besten Aussichten am Wahlabend knapp die Nase vorne zu haben werden der konservativen Sammlungspartei eingeräumt. Nach der politischen Tradition des Landes würde es dann deren Vorsitzender Petteri Orpo sein, der Anspruch auf das Amt des Regierungschefs erheben kann.

Mit 19,5 Prozent, nur drei Zehntel hinter den Konservativen, sahen die Meinungsumfragen vom Donnerstag die Partei der Wahren Finnen. Die Rechtsaußenpartei hat ihren flüchtlingsfeindlichen Kurs verschärft, lehnt Arbeitskrafteinwanderung als Lösung für Finnlands Arbeitsmarktprobleme ab, plädiert für einen EU-Austritt und kritisiert die „überambitionierten Klimaziele“. Sie punktet vor allem bei Männern und bei ErstwählerInnen.

In den Umfragen liegen die Sozialdemokraten mit 18,7 Prozent auf Platz 3. Marins Regierung hat zum Teil coronabedingt manche ihrer Versprechungen nicht gehalten, vor allem im Bereich der Sozial- und Klimapolitik. Wirtschaftlich steht Finnland gar nicht so schlecht da und die Regierung ist dabei, das unter Dach und Fach zu bringen, was einer großen Mehrheit der FinnInnen in den letzten Monaten besonders wichtig war: die Mitgliedschaft in der Nato. Nach der Zustimmung durch das türkische Parlament könnte Finnland nächste Woche auf dem Nato-Außenministertreffen offiziell Mitglied werden.

Über die Sicherheitspolitik besteht im Parlament breite Einigkeit und die Analysen zeigen, dass sie an der Wahlurne kaum eine Rolle spielen wird. Viel wichtiger sind den WählerInnen innenpolitische Themen. Die Staatsverschuldung ist auf über 71 Prozent des BIP gestiegen – deutlich über der von Marin selbst angepeilten Marke von 57 Prozent. Die relative Staatsschuld liegt damit an der Spitze aller EU-Ostseeanrainerstaaten und ist mehr als doppelt so hoch wie in Schweden oder Dänemark – den Ländern, mit denen sich Finnland gerne vergleicht und auf deren Verschuldungsniveau man sich bis vor 15 Jahren bewegt hatte. Für den Anstieg seien Corona und die Ukraine nur ein Teil der Erklärung, sagt beispielsweise Aki Kangasharju vom Konjunkturforschungsinstitut ETLA: Die letzten Regierungen hätten über ihre Verhältnisse gelebt, unter Marin habe sich die Entwicklung verstärkt. Oppositionsführer Orpo verspricht sparsameres Wirtschaften, will Finnland wieder auf den „rechten Weg“ bringen.

Laut Meinungsumfragen ist Marin populärer als die Partei, die sie selber leitet, und zieht WählerInnen an, die sonst nicht sozialdemokratisch stimmen würden. Aber sie sei eben auch so etwas wie ein „politischer Rockstar“ der polarisiere, sagt Petri Korhonen, Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitung Demokraatti. Für Konservative der Generation 50plus „ist sie zu jung, zu selbstbewusst und international definitiv zu beliebt“.

Problematisch sind auch Marins spontane Alleingänge. Vor drei Wochen stellte sie bei einem Besuch in der Ukraine Wolodimir Selenski eine mögliche Lieferung von Kampfflugzeugen der finnischen Luftwaffe in Aussicht. Dann haben der Außen- und der Verteidigungsminister, der Armeeoberbefehlshaber und der Staatspräsident sie deshalb öffentlich zurechtgewiesen: Das sei nicht nur niemals diskutiert worden, sondern auch nicht möglich. Denn Finnland brauche jedes Flugzeug selbst.

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