piwik no script img

Spitzenspiel in der Fußball-BundesligaDresseur der Alpha-Tiere

Vor dem Spiel der Bayern gegen Dortmund richten sich alle Blicke auf Thomas Tuchel. Der neue Münchner Coach tut so, als mache ihm das gar nichts aus.

Weist dem FC Bayern den Weg: Thomas Tuchel in der ersten Trainingswoche Foto: Philippe Ruiz/imago

München taz | Neulich am Kantinentisch. Ein Frauen-Trio fachsimpelt über den FC Bayern. Eine davon scheint Teil des inner ­circle zu sein, berichtet zumindest von tiefen Einblicken ins Innerste des Rekordmeisters, und das klingt dann so: „Der Choupo-Moting ist auch total nett, übertreibt’s aber bei den Heimspielen ein bissl mit den Einladungen. Und der Coman! So ein süßes Kinn hat der, echt cool.“

Auslöser des Exkurses war jedoch der Neue, und der kommt bei den jungen Frauen gar nicht gut weg. „Tuchel? Der geht ja gar nicht“, schimpft die Insiderin, „wie der schon immer schaut! Und ab jetzt gibt’s nur noch Veganes, oder? Alter!“

Tja, auch die Welt der Fußballfans hält sich gern mit Äußerlichkeiten und Banalitäten auf, auch im Hochglanzbetrieb Profi­fußball geht es nicht weniger borniert zu als im richtigen Leben, warum auch? Eins steht in der Causa Trainerwechsel aber schon mal fest: In Sachen Arbeitsbekleidung am Spiel­feld­rand wird Thomas Tuchel weniger Diskussionsstoff bieten als sein farbenfroher Vorgänger. Tuchel ist es mutmaßlich völlig wurscht, ob er im blauen oder roten Trainingsanzug durch die Coaching-Zone hopst. Hauptsache, seine Worte kommen an beim Team.

Genau das hatten die Bayern-Bosse bei Julian Nagelsmann zuletzt ja moniert: dass die Mannschaft – oder zumindest ein Großteil davon – ihn nicht mehr hörte. Oder nicht mehr hören wollte. Dass bei zwei Dutzend Profikickern in der Kabine nicht immer alle Mann zu zweihundert Prozent hinter ihrem Trainer stehen, ist eigentlich normal – es sei denn Jürgen Klopp bleckt in dieser Kabine die Zähne.

Geteilte Meinung

Entsprechend zweigeteilt waren auch die öffentlichen Reaktionen aus dem Spielerkreis zum Rauswurf des Jahres: Die einen lobten den Gefeuerten in den Himmel, die anderen konnten die Abschieds­tränchen locker vermeiden. Am Ende sind sie alle jedoch nichts anderes als Angestellte einer Firma, bei der halt ab und zu auch mal ein leitender Angestellter ausgetauscht wird.

Bezeichnend ist dagegen das nicht vorhandene Zusammenspiel der sogenannten Führungsebene. Wenn der Klubpräsident noch am Montag dem Trainer öffentlich das Vertrauen ausspricht, der Sportvorstand dennoch tags darauf zum Handy greift, um eine Alternative auszuchecken, und schon am Freitag der alte Coach vom Hof gejagt ist, dann weiß man, wie viel der Präsident in seinem Klub zu sagen hat.

Selbst Uli Allmighty Hoeneß scheint nichts mehr zu melden zu haben. Gut zwei Wochen vor dem Nagelsmann-Aus hatte der Ehrenpräsident und das Aufsichtsratsmitglied noch geweissagt, dass im Fall eines Viertelfinal-Erfolgs gegen Paris St. Germain jegliche Diskussion um Nagelsmann obsolet seien. Tja, da hat der Uli die Rechnung ohne die neue Herren gemacht, ohne Oli und Brazzo, die man aus Nagelsmann-Sicht wohl als Duo infernale bezeichnen muss.

Trainer mit Bonzenkluberfahrung

Gut, haben sie eben flott den Tuchel geholt – bevor er wieder bei einem dieser Bonzenklubs in England anheuert. Dem zuletzt doch arg launenabhängigen Fußball des FC Bayern dürfte das guttun. Denn Tuchel ist keiner, der Schlendrian durchgehen lässt. Wer Kabinen voller Monster-Ich-AGs wie bei PSG oder die Investoren-Alleskönner bei Chelsea moderieren kann, den schockt in dieser Hinsicht nichts mehr.

Und dass Tuchel ein Taktikfuchs ist, weiß schließlich jeder, der damals im Schumann’s dabei war, als er mit Pep Guar­diola die Salz- und Pfefferstreuer als abkippende Sechser und falsche Neuner über den Bartisch mäandern ließ.

Dass er vor dem Ausgerechnet-Match am Samstagabend gegen den früheren Arbeitgeber aus Dortmund kaum Zeit hat, allen von der Länderspielpause zurückgekehrten Alpha-Tieren die Hand zu schütteln, bevor er den ein oder anderen Super-Star auf die Bank oder Tribüne komplimentieren muss?

Geschenkt. In der Abteilung Spitzenklasse ist das daily business nichts, was ihm den Schlaf rauben wird. Auch die Nagelsmann-Fans im Team werden sich schnell an die neuen Gegebenheiten anpassen, keine Frage.

Klar, Tuchel springt mitten in der crunch time ins kalte Wasser, noch mal zwei Monate später als damals beim FC Chelsea, wo er ein zerstrittenes Team innerhalb weniger Monate zum Champions-League-Sieger coachte. So stellen sich das Kahn und Salihamidžić, also Oli und Brazzo, wahrscheinlich auch vor: neuen Reiz setzen, Mannschaft vor der entscheidenden Saisonphase wachrütteln und das zweifellos ja durchaus vorhandene Potenzial endlich mal über einen längeren Zeitraum abrufen.

Dann ist das Triple nicht ausgeschlossen, und man könnte sich auch mit wenig Liebe und wenig Herz ganz prima feiern lassen. Und die Moral? Pah, kommt nicht mehr drauf an: Der Ruf ist eh schon ruiniert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Da war doch mal was:



    //



    taz.de/Kolumne-Press-Schlag/!5491148/

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Der "FC" Bayern zeigt alle Anzeichen des Untergangs eines (in dem Fall regionalen) Imperiums:



    Ein hoffnungslos überforderte "Regierung", chaotische Personalien, Fehler in entscheidenden Kompetenzfeldern, finanzielle Abenteuer, elementare Entscheidungen via Würfelbecher.



    Der geneigte Beobachter kann nur noch den Kopf schütteln.