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Die WahrheitHalb Pflanze, halb Tier

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (166): Seegurken sehen meist aus wie Gurken und profitieren von der Vermüllung der Weltmeere.

Seegurke in der Ägäis Foto: commons.wikimedia.org

Die maritime Flora und Fauna soll fortan besser geschützt werden, die Seegurke gehört quasi beiden an. Die meisten dieser Tiere sehen auch aus wie Gurken. Die Schriftstellerin Benoîte Groult schreibt in „Vom Fischen und von der Liebe“, dass ihr vergreisender Mann sie an eine Seegurke erinnert. In der Tiefsee bestehen 90 Prozent der bodennahen Biomasse aus Seegurken, es sind „Sedimentfresser“. Sie nehmen die organischen Bestandteile vom Meeresboden auf und scheiden die unverdaulichen, mineralischen Teile wieder aus. Der Umweltjournalist George Monbiot meint jedoch in „Verwildert“ (2021), dass die Seegurken die großen Tangwälder an der pazifischen US-Küste fraßen und beinahe vernichteten – weil die Seeotter ihres Pelzes wegen fast ausgerottet wurden. Die Otter fressen nämlich „vor allem Seegurken“.

Im Mittelmeer sitzen in den Wasserlungen der „Königsseegurke“ oft „Eingeweidefische“. Sie schwimmen durch die Afteröffnung – das Atemloch der Seegurken – ein und aus und knabbern an den inneren Organen der Gurke. Angeblich sollen sie sich dort auch vermehren. Bei Gefahr können die Seegurken einen Teil ihrer inneren Gedärme zur Ablenkung des Feindes auswerfen. Die dazugehörigen Schleimfäden machen den Angreifer entweder durch ein klebriges Sekret bewegungsunfähig oder sie betäuben ihn durch Gift. Innerhalb kurzer Zeit wachsen die Eingeweide der vorübergehend organlos gewordenen Tiere nach.

Seegurken sind getrenntgeschlechtlich, sie können sich jedoch auch durch Teilung vermehren. Das macht sie zu halben Pflanzen, wie schon Aristoteles fand. Man zählt sie mit den Seesternen und Seeigeln zu den Stachelhäutern. Die Zeit schreibt über diese „unterschätzten Tiere: Die Seegurke ist ein Widerspruch in Weich. Zwar ist sie ein Tier, doch sie heißt wie ein Gemüse, sieht aus wie ein Gemüse und verhält sich auch wie ein Gemüse: nämlich gar nicht.“

In einem weiteren Artikel der Zeit heißt es: „Seegurken muss man einfach mögen. Ob für ihren delikaten Geschmack oder dem der Haut der Tiere nachempfundenen Kunststoff. Dieser soll die Elektroden verbessern, die u. a. ins Gehirn von Epileptikern implantiert werden“. Die Italiener nennen die Seegurke „Cazzo di mare – Meerpenis“. Einige Arten können zwei Meter lang werden, andere nur wenige Millimeter.

Bedroht

Der Meeresbiologe Matthew Slater vom Alfred-Wegener-Institut hat sich auf Seegurken spezialisiert. Er bedauert, dass sie im Mittelmeer und im Atlantik bald genauso bedroht sein könnten wie im Indopazifik, wo die zunehmende Zahl chinesischer Feinschmecker zügig zu ihrem Aussterben beiträgt. Sie zahlen 2.700 Euro für ein Kilo getrocknete Seegurken. Inzwischen liefern ihnen schon türkische und portugiesische Fischer Seegurken in großen Mengen. „Chinas Feinschmecker dezimieren Seegurken weltweit“, meldete der Spiegel. Chinas Kranke schwören, dass Seegurken gegen Arthritis, Gelenkschmerzen und Bronchitis helfen.

Die Tiere haben keine Ohren, keine Augen und kein Gehirn. „Langsam kriechen sie über den Meeresgrund, so langsam, dass eine Schnecke zu ihren Fressfeinden gehört“, heißt es in der Zeit. Man wird wohl dazu übergehen müssen, sie für den Markt zu züchten. Das Problem dabei ist ihre Vermehrung: „Einzig die Braune Seegurke orientiert sich am Mondzyklus und laicht jeden Monat zur selben Zeit ab“, so die Hamburger Wochenzeitung. „Alle anderen muss man zur Paarung zwingen. Einige lassen sich noch durch die Zugabe von Futter anheizen. Nicht so die Japanische Stachelseegurke. Für sie gilt: Je härter, desto besser. Sie braucht Temperaturschocks, Wasserentzug und eine heftige Dröhnung Salzwasser aus einem Wasserschlauch. Dann heben Männchen und Weibchen ihre vorderen Körperhälften in die Höhe und spritzen ihre Spermien und ihre Eier auf gut Glück in die Wassersäule.“

Gegen die Chinesen hilft ansonsten nur die Vermüllung der Meere: Wenn diese zunimmt, ist das gut für die Seegurken. Ihr Erforscher Ben Wigham vom Southampton Oceanographic Centre fand heraus, dass wenigstens einige Arten, die im Nordatlantik in 4.800 Meter Tiefe leben, sich von Cyanobakterien ernähren: Photosynthese betreibende Mikroben aus dem lichtdurchfluteten Oberflächenwasser, die sich infolge der Vermüllung verbunden mit der Klimaerwärmung rasch vermehren und in die Tiefe sinken. Diese Mikroben enthalten „besonders viel Carotinoid-Farbstoffe, die sich direkt auf die Fruchtbarkeit der Seegurken auswirken“, was laut der FAZ zu einer wahren „Bevölkerungsexplosion“ bei ihnen führt.

Leuchtet bei Berührung

Eine der in der Tiefsee lebenden Seegurkenarten, „Enypniastes eximia“, leuchtet auf, wenn etwa ein Fressfeind sie berührt. Das Leuchten wird durch Berührungsreiz ausgelöst, es ist gebunden an Hunderte kleiner Körnchen in der brüchigen und klebrigen, gelatinösen Außenhaut der Tiere. Die Art hat Schwimmhäute an der Vorder- und Rückseite entwickelt, die es ihr erlauben, sich schwimmend fortzubewegen. Dank dieser Fähigkeit können die Tiere sich zu neuen Weidegründen bewegen und Gefahren umgehen.

Sie suchen nach bisherigen Beobachtungen den Meeresgrund wohl nur zum Fressen auf und verbringen die übrige Zeit schwimmend. Die Tiere stoßen sich durch plötzliche, synchrone Abwärtsbewegung der vorderen und hinteren Schwimmhäute vom Meeresboden ab, wodurch die Seegurken schräg nach hinten aufwärts katapultiert werden. Auftrieb erzeugt vor allem das Schlagen des großen vorderen Segels, die seitlichen Schwimmhäute dienen mehr zur Stabilisierung der Schwimmlage. Die Tiere schwimmen vor allem mit senkrecht gehaltenem Körper, mit dem Vorderende nach unten. „Enypniastes eximia“ wurde 1874 von der Challenger-Expedition, der ersten Meeresexpedition zur Erforschung der Tiefsee, entdeckt. Der Erstbeschreiber, der Schwede Hjalmar Théel, benannte die Gattung nach dem griechischen Ausdruck für Träumer.

Es gibt da unten aber einige weitere Seegurkenarten, die auch nicht wie Gurken aussehen. Die „Psychropotes“ zum Beispiel, sie sind lila und ähneln mit ihrer aufrechten Schwertflosse einem winzigen Killerwal. Oder die „Elasipodia“: Sie sieht wie eine Tiefseekrake aus, hat ein Dutzend Mundtentakel und keine Wasserlungen. Ihr Enddarm besitzt einen Blindschlauch, der nach vorne gerichtet ist. Entlang der Längsachse ihres Körpers hat sie einen Hautsaum, der sie durch wellenförmige Bewegungen vorantreibt.

Es gibt ferner eine Seegurkenart, die einer Qualle ähnelt, eine andere einer im Wasser treibenden roten Eichel, eine dritte einer zerfransten Plastiktüte, eine vierte ähnelt einer durchsichtigen Nacktschnecke. Es gibt außerdem weiße Seegurken mit gelben Pocken und rote mit lauter Hörnern am Körper.

Im deutschen Zentralorgan der Zeugen Jehovas, dem Wachtturm, schreibt ein frommer Mitarbeiter aus Fidschi: „Wir verdanken den Seegurken unglaublich viel, denn mit ihren unermüdlichen Hausmeisterarbeiten tragen sie zur Gesunderhaltung der Meere bei. Diese erstaunlichen Staubsauger des Meeres machen dem, der sie geschaffen hat, auf ihre leise, ruhige Art alle Ehre! (Psalm 104:24,25).“ Das gilt laut dem Autor auch für die Seegurkenforscher. Halleluja!

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