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Famoser Theaterabend in WilhelmshavenDer Traum vom Eigenheim wird Wahn

Was passiert, wenn die Vorstellung vom Häuschen im Grünen das Leben beherrscht? Ferdinand Schmalz spielt das in seinem Stück „Der Tempelherr“ durch.

Verweigert allen die Landlust-Idylle: Bühnenbild aus gezackten Schuppen, die farbig blinken können Foto: Volker Beinhorn

Wilhlemshaven taz | Einer wie Heinar, der kann aus seiner Wohlstandsnarkose schon mal als lebendiges Symbol für aktuelle Eskapismustrends erwachen. Zu denen gehört auch die Mode, die Selbstverwirklichung mit den Mitteln der Stadtflucht zu suchen. Wie viele desillusionierte Bürgerkinder träumt der gestresste Lehrer Heinar in seinem Sabbatical hübsch wald- und wiesenromantisch vom friedlichen Leben abseits des steinig urbanen Raumes.

Ein Eigenheim im Grünen soll gebaut und mit Do-it-yourself-Furor gestaltet werden. „Der Tempelherr“ hat der österreichische Autor Ferdinand Schmalz seine kauzig poetische Zeitgeistkritik-Komödie betitelt und als „Erbauungsstück“ charakterisiert. Nicht weil es moralisch erbaulich ist, wie „Nathan der Weise“ oder ein Tempelherr wie bei Lessing als edel werdender Kreuzritter auftritt, sondern weil sich alles um die „Erbauung“ von Heinars neuem Heim dreht.

Das gerät zunehmend – zurück zu den Wurzeln der westlichen Kultur – zur Sakralanlage mit griechischen Säulen und Weihehallen. In ihr verschwindet der Bau- als Tempelherr schließlich. Geht er verloren? Verweht er in höhere Sphären? Jedenfalls gewinnt sein wahnwitziges Projekt hohe Medienpräsenz und eine große Fan-Gemeinde mit Sektencharakter. Ja, was ist dort geschehen?

Erkundet wird das in Wilhelmshaven passenderweise in einem ehemaligen Baumarkt, jetzt „Provisorium 29“ genannt, in das mit spartanischer Bühnentechnik ein charmant schäbiges 400-Plätze-Theater errichtet wurde, weil das Haupthaus der Landesbühne Nord saniert wird.

Geerdet in Gummistiefeln

Aus jeweils eigener Perspektive umkreisen Heinars Freunde sein Verschwinden. Berichten rückblickend, interpretieren gegenwärtig, vermuten Utopisches. Gut geerdet fühlen sie sich, die Dar­stel­le­r:in­nen in Gummistiefeln. Geben so auch die ordnungsliebenden Typen der „autochtonen Landbevölkerung“, die als Heinars Bauzaungäste grundsätzlich über die Kitschburgen der „Schönwetterlandbewohner“ lästert: „Wie Hundehaufen / scheißen sie uns ihre Häuser in die Gegend rein“.

Heinars Arbeitseifer aber bewundern sie und sprechen dabei gern mal wie ein antiker Chor, tragen statt Masken aber nur Sonnenbrillen. Die Bühne verweigert allen die Landlust-Idylle. Ein paar gezackte Schuppen hat Ausstatterin Cornelia Brey auf die leere Spielfläche installiert, schick stehen sie dort herum, können mehrfarbig leuchten und auch blinken.

So schön, dass die Regie sogar einmal alle Schau­spie­le­r:in­nen von der Bühne holt und der Installation ein Light-Show-Solo spendiert. Was geheimnisvoll wirkt, wie gemorste Nachrichten aus einer anderen Welt. Passend zu Heinar, den die Hinterbliebenen vor allem mit kryptischen Aussagen zitieren. Lebendig wird er also nur im Konjunktiv.

Was den Häuslebauer angetrieben hat? Vielleicht erkannte er den hohlen Kitschcharakter des wahren, echten, schönen Lebens in der bremsenumschwärmten Natur und sah daraufhin seine Orientierungslosigkeit in seiner inneren Leere baden. Diagnose: Unbehaustes Denken in der Midlife-Crisis. Jedenfalls erklärte er sich zum „Bauherrn seiner selbst“, was laut Gattin Petra bedeutet, „erst sich selbst als Bauruine zu erkennen“.

Die eigenwillig rhythmisierten Schmalz’schen Wortgirlanden sind hier nicht als große Anstrengung zu erleben, sondern als großer Spaß in fließend eleganter Diktion

Die Ruinenmetapher wird bald auf ganz Europa mit all seinen gescheiterten Ideologien und verbrauchten Illusionen ausgedehnt, wenn es heißt, „aus den Ruinen, den Ruinen dieses Kontinents heraus müsse man sich selber neu erfinden“, also „mit eigner Kraft diese Ruinen dann zu Ende“ denken. Für Ursprungssucher und Neuanfangsmaurer Heinar „der Versuch, ein zentrales Geheimnis, / eine Unverfügbarkeit, ein Heiligtum zu schaffen, / von dem aus weitergebaut werden könne“.

Das Leben ist und bleibt erbaulich, also eine Baustelle, was in diesem Fall allerdings die Petra zur Anklage schreiten lässt: Du „lässt mich allein da in der Rolle der besorgten Mutter, damit du hier dein Monument, dein scheiß Vermächtnis bauen kannst. Was du hier anlegst, ist ein Grab, ein Mausoleum. Nur dass wir uns, der Karl nicht, und ich genauso wenig, werden wir uns da reinlegen“. Karl ist beider Sohn.

Entsprechend des fein sein Personal sezierenden Textes halten die fünf Schau­spie­le­r:in­nen mit abwesendem Lächeln oder ins Groteske karikierender Mimik ihre wichtigtuerisch konformistischen Figuren auf Abstand – besonders treffend wie Vollblutkomödiant Jeffrey von Laun den Besserwisser-Kumpel Thomas mit Mr.-Bean-Komik verlebendigt. Eine dezent vielschichtigere Charakterisierung bekommt nur Petra (Aida-Ira El-Eslambouly). Empfindlich, verunsichert, unprätentiös wirkt sie, auch mutig, wenn sie Heinars Freund Markus offensiv als Fluchthelfer aus ihrem Ehe-Elend angeht.

Meist reiht sie sich aber mit den Kol­le­g:in­nen vorm Publikum auf wie fünf Entertainer:innen. Wenn zwei von ihnen dialogisieren, stehen die anderen unbeteiligt wie Salzsäulen da. Aber diese Statik schadet der Inszenierung nicht. „Der Tempelherr“ ist ein raffiniertes Sprachkunstwerk, das gehört, nicht munter entfesselt werden will.

Spaß in eleganter Diktion

Prima passt dazu Regisseur Jakob Arnold, der weniger ein szenischer Visionär denn genauer Arbeiter an den wohlfeil komponierten Worten ist. So sind die eigenwillig rhythmisierten Schmalz’schen Wortgirlanden nicht als große Anstrengung zu erleben, sondern als großer Spaß in fließend eleganter Diktion, die besonders dem Humor des Autors zugetan ist.

Den er mit wortverrückten Reimen, Formulierungsknoten und -schleifen, ins Absurde kippenden Wiederholungen, Doppeldeutigkeiten sowie musikalisch getriebenen Satzverkürzungen in einem klangreich überdrehten Kunstidiom erzeugt. So ausgefeilt schräg, so gedrechselt natürlich. Famos!

„Der Tempelherr“ von Ferdinand Schmalz, Landesbühne Nord, Stadttheater Wilhelmshaven, Virchowstraße 44, nächste Aufführungen: 18. 3., 5. 4. und 5. 5., jeweils 20 Uhr

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