Lage im Donbass: Symbolträchtiger Kampf in Bachmut

Zehntausende ukrainische und russische Soldaten führen dort ihre bisher blutigste Schlacht. Ihr Ausgang könnte den weiteren Kriegsverlauf entscheiden.

Brennende Häuser in Bachmut

Die „Hölle von Bachmut“, wie es in Berichten heißt, ist im Begriff, Ort der Entscheidung zu werden Foto: Yevhen Titov/ap

taz | Die „Hölle von Bachmut“, wie es in Berichten heißt, ist im Begriff, Ort der Entscheidung zu werden. Seit Beginn der Kämpfe um die Frontstadt im Donbass vor sieben Monaten wurden Tausende Soldaten auf beiden Seiten getötet. Von den einst 70.000 Bewohnern sind höchstens noch 4.000 da. Und kein einziges Gebäude scheint mehr bewohnbar zu sein. Noch immer schickt die Ukraine frische Einheiten, um den russischen Vormarsch aufzuhalten, während Russland scheinbar endlose Mengen an Rekruten, Luftlandetruppen, Wagner-Söldnern und Infanterie an die Front wirft und sich Gebäude um Gebäude, Feldweg um Feldweg vorkämpft, unter gigantischen Verlusten.

Ausgerechnet der russische Scharfmacher Jewgeni Prigoschin, dessen private Wagner-Söldnerarmee die Hauptlast der russischen Offensive trägt, dementierte Berichte, dass die Ukraine die Räumung von Bachmut vorbereite. Die Ukraine habe Zehntausende Soldaten in Bachmut und „versucht mit aller Kraft, die Stadt zu halten“, erklärte er am Mittwoch: „Die Kämpfe werden täglich blutiger“.

Vor einem Jahr lag Bachmut rund 25 Kilometer westlich der Kontaktlinie zwischen der ukrainischen Armee und den russisch geführten Donbass-Separatisten. Im Laufe der Monate rückten russische Einheiten vor, monatelang waren kleine Orte umkämpft. „Fleischwolf“ nannte der ukrainische Militärslang das, was die russischen Soldaten täglich erlitten, wenn sie in großen Angriffswellen ins Mündungsfeuer der u­krainischen Verteidiger liefen.

Im Januar nahmen russische Wagner-Kämpfer schließlich die Salzminenstadt Soledar ein, was den Impetus für eine deutliche Ausweitung der Angriffe gab. Westliche Militärexperten analysieren inzwischen, dass der Sturmangriff auf Bachmut der Kern einer seit drei Wochen laufenden russischen Großoffensive im Osten der Ukraine sei: westlich von Kreminna und Sewerodonezk, bei Awdiiwka westlich von Donezk, bei Vuhledar weiter südlich – und in Bachmut, dem heißesten Brennpunkt. Nirgendwo aber seien bisher klare Erfolge zu verzeichnen.

Karte der Ostukraine, hervorgehoben russisch besetztes Gebiet und Bachmut an der Frontlinie

Bachmut hat an sich wenig strategischen Wert. Es geht um Symbolik. Wenn Russland die Stadt erobert, erringt es seinen ersten klaren Sieg seit der Einnahme der Industriestadt Sewerdonezk im Juni 2022 – um den Preis mehrerer Toter pro Meter bei zwei Kilometern Geländegewinn im Monat. Wenn die Ukraine Bachmut hält, zeigt sie, dass sie auch den massivsten Angriffen widerstehen kann – beste Voraussetzung für die geplante Großoffensive gegen die russische Besatzung insgesamt.

„Das Hauptziel der Verteidigung besteht darin, den Feind zu ermüden“, analysierte am Dienstag der ukrainische Militärstratege Oleksi Arestovych die Schlacht um Bachmut. „Solange Russland angreifen kann, kann die Ukraine ihre Offensive nicht starten.“

Ukrainischen Angaben zufolge sind die russischen Verluste um Bachmut siebenmal so groß wie die ukrainischen, die Fortsetzung des Kampfes lohnt sich also. Aus Kyjiw wird aber von Differenzen berichtet, ob Bachmut weiter verteidigt werden soll oder ob die Zeit für einen geordneten Rückzug gekommen ist. Nur noch eine einzige Straße aus Bachmut ist noch offen, sie führt nach Südwesten und liegt bereits unter Beschuss.

Die Autobahn nördlich der Stadt, bislang der wichtigste Versorgungsweg, ist seit dem Wochenende nicht mehr passierbar: Die russischen Angreifer überquerten die Autobahn und drängten in Bachmuts nördliche Vorstadt Jahidne vor. Am Mittwoch bestätigten ukrainische Berichte, die ukrainische Armee habe sich aus Jahidne zurückgezogen, um den Häuserkampf am Nordrand von Bachmut aufzunehmen.

In der Nacht zum Mittwoch erklärte Ukraines Präsident Wolodimir Selenski, die Kämpfe um Bachmut seien die „schwierigsten“ des Krieges. „Unser Militär wird natürlich alle Optionen abwägen“, zitierte der US-Fernsehsender CNN einen Präsidentenberater in Kyjiw. „Bislang halten sie die Stadt, aber notfalls werden sie sich strategisch zurückziehen. Wir werden nicht alle unsere Leute für nichts opfern.“

Ein Debakel wie in Mariupol, wo sich die ukrainischen Verteidiger im Mai 2022 einkesseln ließen und am Ende alle starben oder gefangengenommen wurden, kann sich Selenski in Bachmut nicht leisten. Ein Rückzug könnte sogar von Vorteil sein, glauben manche. „Die Ukraine kann sich auf gut ausgebaute Verteidigungsstellungen und auf Höhenzüge wenige Kilometer westlich von Bachmut zurückziehen, sodass die Fortsetzung der Angriffe für Russland auch weiter schwierig, langwierig und verlustreich wäre“, schreibt der deutsche Militäranalyst Nico Lange.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.