Gewalt gegen Schwarze aus Subsahara-Afrika: Hass von oben
Der tunesische Präsident Kais Saied befeuert mit seiner Rhetorik Proteste und Hetze gegen Migration aus Subsahara-Afrika. Es kam auch zu Angriffen.
E ine Woche, nachdem ich in Tunis demonstriert hatte und nur Stunden nach meiner Ankunft in Berlin traf ich mich mit einer Gruppe Tunesier und Vertreter afrikanischer Einwandererorganisationen, die vor der tunesischen Botschaft in Charlottenburg protestierten. Die Polizeibeamten vor der Tür schienen sich zu wundern über die Slogans, die gerufen wurden: „Solidarität mit Migranten und papierlosen Migranten!“, „Die Diktatur von Kais Saied muss enden!“. Die tunesischen Diplomaten beobachteten das Spektakel von den Fenstern der Botschaft aus.
Die Wut der Demonstranten wurde von den Ereignissen des 21. Februar angestachelt. An diesem Tag verkündete der tunesische Präsident Kais Saied, dass der tunesische Sicherheitsrat über dringende Sicherheitsmaßnahmen gegen die große Zahl irregulärer Einwanderer aus Subsahara-Afrika berate. Nach Angaben der Organisation FTDES (Forum Tunisien des Droits économiques et sociaux) leben mehr als 20.000 Menschen aus Ländern südlich der Sahara in Tunesien, was weniger als 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Während des libyschen Bürgerkriegs 2011 fand eine Million Flüchtlinge in Tunesien Zuflucht und blieb länger im Land – es war also keineswegs die erste Situation dieser Art.
In seiner Rede betonte der Präsident, es handele sich um eine Ausnahmesituation; schon länger sei ein Plan im Gange, Tunesiens demografische Zusammensetzung zu ändern. Nach der Revolution von 2011 sei viel Geld geflossen für die Ansiedlung illegal Eingereister aus Subsahara-Afrika – eine Anspielung auf den Druck aus Italien und der EU, die Migrationsströme einzudämmen. Saied betonte die Notwendigkeit, die Migrationswelle schnell zu beenden, da die Abertausenden Migranten aus dem südlichen Afrika Gewalt, Kriminalität und inakzeptable Praktiken ins Land brächten.
Nur Stunden nach der Rede trendeten migrantenfeindliche Sprüche in den sozialen Medien – frisch legitimiert vom politischen Diskurs. Einen Tag später nahmen Sicherheitskräfte willkürlich Schwarze Menschen auf den Straßen und in öffentlichen Verkehrsmitteln fest. Videos machten die Runde, in denen Bürger Migranten angriffen und Familien aus ihren Wohnungen geräumt wurden. In den Regionen Tunis und Sfax wurden tätliche Angriffe gemeldet. In weniger als 48 Stunden waren die Schwarzen Communities gelähmt vor Angst. Man konnte stundenlang durch Tunis laufen, ohne auch nur eine Schwarze Person zu sehen. Auch Schwarze Tunesier wurden zum Ziel von Angriffen und in den sozialen Medien begannen Verleumdungskampagnen gegen tunesische Black-Rights-Aktivistinnen wie die Feministin Saadia Mesbah. In Guinea, Mali und der Elfenbeinküste wurden eilig Rückholflüge angesetzt für Menschen, die in den Botschaften in Tunis warteten.
Sadem Jebali ist politischer Analyst und freier Journalist. Er studierte an der Hertie School of Governance in Berlin und arbeitet mit verschiedenen nationalen und internationalen Organisationen in Deutschland und der Region Naher Osten/Nordafrika zusammen.
Im Land begann eine lebhafte Debatte über Migration, in der sich die einfache Lesart durchsetzte, das Problem seien die durchreisenden Illegalen aus dem Süden, die in Tunesien lediglich ein Transitland sähen. Dass die vielen Flüchtenden etwas mit gescheiterten Wirtschaftsreformen, Inflation, Mangel an Grundnahrungsmitteln und Staatspleiten zu tun hatten, verschwand schnell aus dem öffentlichen Bewusstsein. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf das Thema Migration und ob der Präsident denn nun recht oder unrecht habe mit seiner Haltung. Mich erinnerte das an rechtsextreme Bewegungen anderswo, etwa an die AfD in Deutschland. Was in Tunesien geschah, ist wie ein Lehrbeispiel für Massenmanipulation – dafür, wie man als nicht besonders weise politische Führungsfigur die öffentliche Meinung von sich weglenken kann.
Am 6. März gab das Saied-Kabinett eine erneute Stellungnahme ab, die folgendermaßen begann: „Tunesien ist überrascht über die Kampagne gegen angeblichen Rassismus in Tunesien. Tunesien weist die Anschuldigungen gegen den tunesischen Staat zurück. Wir sind ein Gründungsmitglied der Organization of African Unity (OAU), der späteren Afrikanischen Union, und haben stets nationale Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt unterstützt, vor allem in Afrika.“
Das war ein klares Zurückrudern und eine Anerkennung der nationalen und internationalen Wirksamkeit der ursprünglichen OAU-Erklärung. Erkennbar war Druck zur Mäßigung ausgeübt worden, angesichts einer Hass- und Gewaltwelle, die nationalistische und faschistische Politiker lostraten, die dem Glauben anhängen, das Land sei bedroht durch die gezielte Ansiedlung von Menschen aus Subsahara-Afrika in Tunesien statt in Europa. Solche Behauptungen werden vom Aufstieg der extremen Rechten in Europa und ihrer restriktiven Migrationspolitik noch befeuert. Der italienische Außenminister Tajani und der Innenminister Piantedosi besuchten am 18. Januar Tunis, um über Zusammenarbeit gegen Menschenhandel zu beraten – nur drei Tage vor Kais Saieds Erklärung vor dem nationalen Sicherheitsrat.
Der tunesische Präsident zeigte nur allzu deutlich, dass seine populistische Rhetorik ablenken sollte vom repressiven Vorgehen gegen politische Gegner und von seinem Scheitern an einer Wirtschaftsreform, ebenso wie von seinem Unvermögen, sich mit dem Internationalen Währungsfonds auf ein Vorgehen zu einigen, das Tunesien kurzfristig vor dem Bankrott bewahrt und längerfristige Stabilität bringt.
Ich kann nicht für alle Tunesier sprechen, aber ich kann mich auf die Tatsache berufen, dass die tunesische Geschichte immer tief in den afrikanischen Befreiungsbewegungen verankert war. Auch Kais Saied kann nicht für alle Tunesier sprechen. Solange Panafrikanisten und Menschen, die an humanistische Werte glauben, noch laut protestieren, werden Hassrede und Volksverhetzer nicht die Oberhand bekommen – nirgendwo.
Aus dem Englischen: Nina Apin
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