das wird: „Jugendliche sollen Fehler des Systems ausbaden“
Das Freiwilligen-Forum in Bremen diskutiert über die Vor- und Nachteile eines sozialen Pflichtjahres
Interview Stina Reichardt
taz: Frau Lätzel, warum haben Sie einen Freiwilligendienst gemacht?
Dorothea Lätzel: Weil ich nicht direkt mit dem Studium beginnen wollte. Ich wollte erst mal etwas anderes machen, aus dem System von Klausuren und Lernen rauskommen und herausfinden, was ich studieren möchte, um dann ins Studi-Leben einzusteigen.
Was denken Sie über ein soziales Pflichtjahr für junge Menschen?
Jugendliche sollte man nicht zu einem Pflichtjahr zwingen. Aber jeder Mensch sollte die Möglichkeit und Chance haben, ein soziales Jahr zu machen. Freiwilligendienste sind aber nicht allen bekannt und nicht alle können sich das leisten. Alle Menschen sind unterschiedlich und nicht alle nehmen das aus einem sozialen Jahr mit, was ich mitgenommen habe. Es gibt auch andere Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Stellen für Engagement nach der Schule.
Die wären?
Dorothea Lätzel
20, ist im Verein für ehemalige und aktive FÖJler*innen tätig.
Man kann sich zum Beispiel in politischen Bewegungen engagieren oder in sozialen Einrichtungen. Oder auch im Asta.
Und Nichtstudierende?
Man kann sich immer in einer Gewerkschaft engagieren. Es gibt auch meistens Gruppen der verschiedenen Berufsfelder, in denen man sich engagieren kann, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Dort können sich Auszubildende und junge Leute generell ehrenamtlich engagieren oder auch bezahlte Jobs annehmen.
Kann das soziale Pflichtjahr nicht eine Chance gegen den Personalmangel sein?
Podiumsdiskussion „Soziales Pflichtjahr Pro und Contra“: heute, 19 Uhr, Bremer Presseclub; Anmeldung unter https://t1p.de/70sve
Absolut nicht. Unqualifizierte Jugendliche sollen die Fehler des Systems ausbaden. Momentan hat der Freiwilligendienst eher das Image, dass er den Fachkräftemangel ausgleichen soll, aber die Kommunikation muss geändert werden. Es muss klar werden, dass das eine Möglichkeit für die persönliche Entwicklung ist. Klar, es ist auch immer ein Dienst an der Gesellschaft, aber er ist kein Ersatz für Fachkräfte. Der Fachkräftemangel muss auf anderem Weg gelöst werden, zum Beispiel durch bessere Bezahlung und attraktivere Jobs.
Wie kann man Freiwilligendienste attraktiver und bekannter machen?
Das System muss geändert werden. Vor allem die Bezahlung und Unterstützung muss erhöht werden. Im FSJ bekommen Freiwillige maximal 500 Euro im Monat, eher weniger. Das Taschengeld der Freiwilligen reicht nicht aus, um Wohnung und Lebensunterhalt zu finanzieren, wenn man nicht mehr bei den Eltern wohnt. Wie man sich vorstellen kann, machen viele deshalb keinen Freiwilligendienst. Außerdem sollten Freiwilligendienste nicht nur in Gymnasien beworben werden, sondern an allen Schulen. Und auch in unteren Klassenstufen, damit die Kinder früh die Möglichkeit sehen und das für sich in Betracht ziehen können.
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