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Die Kunst der WocheDie Migration der Form

Ein frischer Anlauf auf das Werk von Ruth Wolf-Rehfeldt, José Montealegres postkolonialer Blick auf Pflanzen und Ellen Akimotos Genuß an der Malerei.

Aus der Pflanzenkunde übersetzt: José Montealegre, „página 0299“, 2021 Foto: Stefan Haehnel; Courtesy José Montealegre and Galerie Thomas Schulte, Berlin

FAR BACK MUST GO WHO WANTS TO DO A BIG JUMP“ ist auf dem weißen Blatt Papier von rechts nach links und gleichzeitig mit jedem Wort einen Absatzsprung von oben nach unten zu lesen. Das Blatt gehört zur „Wörter-Serie“ von Mitte der 1970er Jahre. Eine richtige Feststellung als subtilen visuellen Witz formulieren, das konnte Ruth Wolf-Rehfeldt (*1932 in Wurzen) mit ihrer „Erika“. Die kompakte Reiseschreibmaschine aus VEB-Produktion war für Wolf-Rehfeldt, was für andere Kreative der Pinsel oder der Stift ist. Mit den 49 Tasten der Schreibmaschine konnte sie angefangen von konkreter Poesie bis hin zur geometrischen Abstraktion alles auf dem Papier darstellen, was sie wollte.

Das ist nun erneut in Potsdam zu sehen, wo im Minsk mit „Nichts Neues?“ eine große Einzelausstellung eröffnet hat, kurz nachdem ihre Ausstellung anlässlich der Verleihung des Hannah-Höch-Preises 2022 im Kupferstichkabinett am Kulturforum in Berlin endete. Gerade wer die Berliner Ausstellung gesehen hat, sollte sich die in Potsdam nicht entgehen lassen. Denn tatsächlich nimmt man im Minsk noch einmal frischen Anlauf und kann erneut einen spannenden Überblick über das Werk die Künstlerin präsentieren.

Man geht weit zurück, für den großen Sprung und beginnt mit ihren starkfarbigen Gemälden aus den 1960er und 1970er Jahre. Damit wurde sie Mitglied im Verband der Bildenden Künstler und erhielt so Zugang zu Arbeitsmaterial und Druckwerkstätten. Etwa zu Wolfgang Arnoldi in Müggelheim oder der Druckerei Graetz in der Auguststraße, die Ende der 1970er Jahre viele ihrer „Typewritings“ in Form von Zinkografien reproduzierten. Zunächst handelte es sich bei ihren ab 1972 geschaffenen Typo-Bildern um Originale. Deren Vervielfältigung war freilich dann Voraussetzung, um in der internationalen Mail-Art Szene aktiv zu werden, zu der Ruth Wolf-Rehfeldt über ihren Mann Anschluss gefunden hatte. Als Kunstpostbriefe reisten ihr ebenso konzeptuell wie poetisch starken Typewritings, die die politisch wache Künstlerin nicht verbargen, dann in alle Welt.

Der Sprung führt in die 1980er Jahre, wo sie ihre größte künstlerische Produktivität entfaltete und schließlich, nach dem Fall der Mauer, ihre künstlerische Arbeit ganz einstellte. Die 1980er Jahre finden sich in der eigens angefertigten Tapete, vor der die in schmale Holzleisten gefassten Blätter hängen: jede Wand weist ein anderes Muster auf, die sich ihrer elektrischen Kugelkopf-Maschine verdanken, mit der sie in diesen Jahren arbeitete. Das Geschenk von Robert Rehfeldt wies ein sehr viel größeres Repertoire an Schrifttypen auf als die Erikas, was sich Wolf–Rehfeldt für jene subtilen Zeichenerfindungen nutzte, die nun die Wand zieren.

Es empfiehlt sich übrigens das Smartphone in die Ausstellung mitzunehmen. Gar nicht, um unbedingt zu fotografieren, vielmehr hilft die Zoomfunktion der Kamera ungemein, ohne den Arbeiten zu nahe zu treten und den Alarm auszulösen, die zarten und kleinen Zeichen zu erkennen oder auch die Begriffe und Sätze der oft nur Postkarten großen Kunstwerke zu entziffern. Was nötig ist, weil die Typewritings oft stark auf dem Zusammenspiel von Wort und Bild aufbauen. So zeigt sich etwa ein Briefumschlag von hinten durch die Anordnung der Wörter FROM während die Vorderseite des Umschlags mit Briefmarken, Adressfeld und Absender durch das Wort TO gebildet werden.

Weil Ruth Wolf–Rehfeldt mit Beginn der 1990er Jahre nicht mehr künstlerisch tätig war, geriet sie, die schon während ihrer produktivsten Jahre einem eher kleinen, allerdings sehr feinen und sehr internationalen Kreis von Künstlerinnen und Kennern bekannt war, in Vergessenheit. Aber 2017 gelang ihr mit ihrer Teilnahme an der dokumenta 14 noch einmal ein großer Sprung zum Ruhm. Wolf-Rehfeldt, die ihre Familie tatsächlich mit der Schreibmaschine, als Sekretärin in der Akademie der Künste, ernährt hatte und an ihre Kunst erst abends, nach getaner Arbeit denken konnte, wird nun international ausgestellt, wie viele Plakate am Ende der Schau dokumentieren.

In der Kreislaufwirtschaft

Im imposanten Eckraum der Galerie Schulte, mit seinen riesigen Fensterflächen und seiner enormen Höhe, in dem sonst eine Bildhauerin wie Franka Hörnschemeyer schwere Stahlgitter hochtürmt, erfreut jetzt ein kleines Blumenrondell den Blick. Obwohl recht zierlich beherrschtes fraglos den Raum. Die Pflanzen in ihren Töpfen sind zwar in Erde gepflanzt, selbst aber aus Kupfer. Auf dem weiß gekachelten Fußboden sieht man Fußspuren. Dadurch ermuntert, traut man sich in den Raum. Aber der Weg zur großen Wandarbeit mit ihrem blau-schwarzen Rastermuster aus Plexiglas ist eine wackelige Angelegenheit. Die Kacheln sind nur lose auf dem Boden gelegt, also bewegen sie sich, klackern leise und rutschen weg. Ja, die Installation des Künstlers José Montealegre (*1992 in Tegucigalpa, Honduras) ist bezaubernd und von überraschender Lebendigkeit.

Worum geht es bei dem Pflanzenarrangement, das im Nebenraum in einer Art Gewächshaus steckt? Und den metallenen Notizbüchern, die in beiden Räumen auf verschiedenartig gemusterten Kachelwänden aufgebracht sind und deren aufgeschlagene Seiten analog zu gepressten Blumen Schnitte von älteren, vom Künstler gefertigten Pflanzen zeigen? Der Text zur Ausstellung sagt, die Pflanzenskulpturen sind auf Illustrationen im Buch „Nova Plantarum Animalium et Mineralium Mexicananorum historiae“ des spanischen Naturforschers Fancisco Hernández zurückzuführen.

Die Spanier haben auch die Muster der Kacheln nach Südamerika importiert, die Montealegre in seinen Wandarbeiten zeigt. Die Installation ist als postkoloniale Erzählung verstehen, die Ausbeutung nicht verschweigt – die Pflanzen des Nova Plantarum mussten Einheimische zeichnen – ihren Fokus aber anders legt. Nämlich auf jenem Prozess, den die documenta 12 als Migration der Form zu ihrem Motto machte und den José Montealegre „Narrativas Circulares“ nennt. Sammeln, dokumentieren, überschreiben, verwerfen, rekonstruieren, recherchieren, wieder hervor holen, recyceln: mit dieser Kreislaufwirtschaft der Kunst setzt er sich in seiner ersten Galerieausstellung auseinander.

Die sichtliche Lust am Malen

Ein Arm oder ein Bein scheint gerne mal etwas später im Raum anzukommen als der Körper selbst, mit dem er – unter der These, das Auseinanderfallen sei zeitlich bedingt – noch nicht verbunden ist. Die inkohärenten Körper sind das eine, das auffällt bei den Gemälden von Ellen Akimoto, die erstmals unter dem Titel „My Eyes See Only What’s Not in Front of Me“ in der Galerie Judin ausstellt.

Das andere ist ihre sichtliche Lust am Malen. Sie zeigt sich in der Freude an der Farbe und wie Akimoto sie kombiniert, etwa wenn sie wie in „The Other Room“ das schrille Pink eines abstrakten modernistischen Rasters, das freilich auch als Regal gelesen werden kann, mit dem dunklen Grün der darauf befindlichen Zimmerpflanze konfrontiert. Oder wenn sie giftgrüne Arme vor ein sehr rosarotes Gesicht setzt wie in „Curious Onslaught“.

Die Freude am Malen zeigt sich auch darin, wie sie die Stilmittel vorangegangener Kunstbewegungen kombiniert, etwa wenn sie in „Mountain Interior/Waning Gibbons“ die verzerrte Perspektive des Expressionismus im großen Fenster zeigt, in dem sich ein Gebirge auftürmt, während sie das Paar vor dem Fenster mit neusachlicher Genauigkeit und Distanziertheit betrachtet und der Wand im Hintergrund eine feine und entsprechend fein gemalte Jugendstiltapete samt passender Topfpflanze gibt. Da kommt einiger Witz ins Spiel, bei Akimotos Spiel mit den Möglichkeiten der Malerei.

Großartig der gelbe transparente Comic-Glibber im Maschendrahtzaun vor dem hälftig in blau und Abendstimmungsrot geteilten Hintergrund. Wenn es sich um den Blick aufs Meer handelt, wie der Bildtitel „Talking about Our Feelings by the Sea“ vorschlägt, kommt man nach der Berlinale und Steven Spielbergs „The Fabelmans“ natürlich nicht umhin John Ford zu zitieren, der strikt davon abrät, den Horizont in die Mitte zu legen. Aber das Bild lässt sich auch einfach als Abstraktion lesen.

Trotz ihrer Faszination für die Ölfarbe und deren Materialität auf der Leinwand sind auch der Computer und Photoshop mit im Spiel. Denn hat die 1988 in Westlake Village, Kalifornien, geborene Künstlerin eine Idee für ein Bild, entwickelt sie mit Hilfe von Archivmaterial, oft Fotos von sich selbst, eine Art digitales Storyboard. Auf diesen vielschichtigen Collagen baut dann das Gemälde auf, das sich während des Malprozesses freilich noch eigenständig fortentwickelt. Mit diesem aufwändigen Produktionsprozess könnten sich die nachhinkenden und manchmal auch mehrfach vorhandenen Extremitäten erklären. Vielleicht aber auch einfach mit der Lust am verfremdenden Effekt.

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