Entschädigung für Indigene in Kanada: Mehr Kindergräber entdeckt

Seit Jahresbeginn wurden Grabstellen in drei ehemaligen Zwangsinternaten entdeckt. Nun will die Regierung den „First Nations“ Milliarden zahlen.

Eine Blume auf einem Taun, Dahinter ein Friedhof

Der Friedhof auf dem ehemaligen Gelände der St. Josephs Mission Residential School im März 2022 Foto: Imago

CALGARY taz | Neue schreckliche Entdeckung in Kanada: Seit einem Jahr suchen Experten auf dem Gelände der St. Joseph’s Mission Residential School im Westen des Landes nach Gräbern indigener Kinder. Im Januar 2022 hatten sie bereits 93 potenzielle Gräber gefunden, jetzt kommen vermutlich 66 weitere Grabstätten hinzu. Dies gab das Untersuchungsteam der „First Nations“ von Williams Lake bei einer Pressekonferenz bekannt.

Die leitende Ermittlerin Whitney Spearing betonte, dass nachweislich mindestens 28 Kinder auf dem Gelände der ehemaligen Internatsschule gestorben sind, viele davon seien in nicht gekennzeichneten Gräbern verscharrt worden. „Es ist auch klar, dass viele der Kinder und Kleinkinder auf Grund sexueller Übergriffe geboren wurden und durch Verbrennung innerhalb und außerhalb der Schule entsorgt wurden“, so Spearing.

Die Schule in Williams war von 1891 bis 1981 geöffnet und wurde größtenteils von der katholischen Kirche betrieben. Sie war eine von knapp 140 derartigen Einrichtungen in Kanada, in denen indigene Kinder unterrichtet und zwangsweise in der „weißen Gesellschaft“ assimiliert werden sollten. Zuletzt waren in immer mehr der ehemaligen Internate anonyme Gräber von Kindern geortet worden.

Die Funde in Williams Lake sind bereits die dritte Entdeckung dieser Art in Kanada innerhalb weniger Wochen. Mitte Januar waren in ähnlichen Einrichtungen der Kirche in Lebret in der Provinz Saskatchewan sowie Kenora in der Provinz Ontario ebenfalls potenzielle Grabstellen nachgewiesen worden. Die Funde hatten in Kanada und weltweit erneut Entsetzen hervorgerufen.

Staatliche Schulen für eine „weiße Gesellschaft“

Bei den sogenannten „Residential Schools“ handelte es sich um staatlich finanzierte und zumeist von den großen Kirchen betriebene Internate, in denen indigenen Kindern ihre Kultur und Sprache genommen werden sollte. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren insgesamt 150.000 indigene Kinder in Kanada ihren Familien entrissen und in derartige Schulen geschickt worden.

Laut Schätzungen einer in Kanada eingerichteten Wahrheits- und Versöhnungskommission starben in den Internaten insgesamt bis zu 6.000 Kinder, die meisten von ihnen an Unterernährung oder an Krankheiten wie Tuberkulose. Manche starben aber auch an den Folgen der Gewalt, Entfremdung oder Einsamkeit. Auch in den Vereinigten Staaten gab es ähnliche Einrichtungen.

In ihrem Abschlussbericht im Jahre 2015 sprach die Kommission von einem „kulturellen Genozid“ an den Ureinwohnern. Die Regierung in Ottawa hat sich mittlerweile zu ihrer Verantwortung bekannt, sich offiziell für die Verbrechen entschuldigt und Entschädigungen gezahlt. Für die Suche und Identifizierung der Opfer hat die Regierung von Premierminister Trudeau viele Millionen Dollar zur Verfügung gestellt.

Tatsächlich sind den Behörden und den Ureinwohnern die Standorte der meisten anonymen Grabfelder seit vielen Jahrzehnten bekannt. Allerdings kam es in Kanada lange nicht zu einer systematischen Identifizierung der Opfer oder Aufklärung der Begleitumstände, weil es an historischen Aufzeichnungen fehlt oder die Kirchen oftmals zögerlich waren, ihre Archive umfassend zu öffnen.

Im letzten Jahr hatte sich der Papst bei einem Besuch in Kanada erstmals ausdrücklich zur Mitschuld der Kirche an dem Zwangssystem bekannt. Die Bemühungen, die dunkle Geschichte aufzuarbeiten und die Grabstellen zweifelsfrei per Bodenradar zu identifizieren, haben in Kanada seitdem Fahrt aufgenommen. Experten rechnen in den kommenden Monaten und Jahren mit Dutzenden weiteren Funden.

Als Reaktion hatte sich die Regierung letzte Woche mit über 300 indigenen Völkern des Landes auf erneute Entschädigungen in Milliardenhöhe geeinigt. Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs verpflichtete sich der Staat, insgesamt 2,8 Milliarden kanadische Dollar (rund 1,9 Milliarden Euro) bereitzustellen. Mit den Geldern sollen unter anderem Programme zur Förderung indigener Sprachen und Kulturen finanziert werden.

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