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Joe Bidens Rede zur NationAgiler als erwartet

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Der US-Präsident wurde für sein hohes Alter oft belächelt. In seiner jüngsten Rede ließ er sich davon nicht beeindrucken und nutzte es gar als Stärke.

Nutzt seine bisher größte Schwäche nun als Stärke: der 80-jährige US-Präsident Joe Biden Foto: Jacquelyn Martin/ap

J oe Biden hat überrascht. Die jährliche Rede zur Lage der Nation, noch im vergangenen Jahr eine leere Veranstaltung, wusste er diesmal zu nutzen. Da sprach ein Präsident, der in Körpersprache, Rhetorik und Schlagfertigkeit nichts mit dem uralten Mann gemein hatte, der in den vergangenen Monaten oft in einem Zustand vor die Presse getreten war, dass An­hän­ge­r*in­nen voller Sorge waren, ob er den Auftritt unfallfrei überstehen würde.

In den ersten Monaten von 2023 werde er verkünden, ob er für eine zweite Amtszeit kandidieren wolle, hatte Biden gesagt. Nach dieser Rede kann es keinen Zweifel mehr geben: Er will, aller schlechten Umfragewerte zum Trotz, nach denen selbst eine Mehrheit der De­mo­kra­t*in­nen sich einen Generationswechsel an der Spitze wünscht, weil sie nicht glaubt, dass ein im Falle der Wiederwahl 82-Jähriger die richtige Besetzung ist.

Neue inhaltliche Vorschläge hat Biden nicht unterbreitet. Er zählte seine Erfolge auf: Pandemie überwunden, Demokratie trotz Sturm aufs Kapitol gefestigt, Inflation auf dem Rückgang, Arbeitslosigkeit auf einem Niedrigstand, und die Effekte der bereits verabschiedeten Investitionspakete kommen erst noch. Wichtigste Message: Wir müssen da weitermachen, und dazu muss ich Präsident bleiben.

Auffällig war die Hinwendung zu einem Trump-Thema: America First, auch wenn Biden das nicht so benannte. Aber seine Ankündigung, Infrastrukturprojekte ausschließlich mit in den USA gefertigten Produkten voranbringen zu wollen, klang nach dem Mantra seines Vorgängers. Womöglich ein kluger Schachzug – könnte er doch dazu beitragen, wirtschaftliche Sorgen der zu Trump abgewanderten Working Class wieder vom Kulturkampf des republikanischen Mainstreams zu entkoppeln.

Biden hat es verstanden, sein Alter diesmal für sich zu nutzen. Der souveräne, bisweilen ironische, aber doch scharfe Ton, mit dem er die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen im Kongress und ihre neue Mehrheit im Repräsentantenhaus anging, strahlten aus: Hier weiß einer, wie es läuft, er hat einen Plan und keine Angst.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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