piwik no script img

Neues Buch über Polen und DeutscheSchwere Beziehungskrise

Der ehemalige deutsche Botschafter in Warschau stellt in Berlin sein Buch vor – und erntet Kritik vom polnischen Botschafter persönlich.

Frauenstreik am 22. November 22 in Warschau vor dem Haus von Jarosław Kaczyński Foto: Piotr Lapinski/imago

Rolf Nikel weiß um die Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen Polen und Deutschen, auch um die kleinen. Sechs Jahre amtierte der Diplomat als Botschafter in Warschau, er hat in dieser Zeit so einige Beobachtungen gemacht, und jetzt, im Ruhestand, hat er die Zeit gefunden, sie aufzuschreiben.

„Es gibt viele reale Probleme im deutsch-polnischen Verhältnis“, schreibt er in seinem gerade erschienenen Buch „Feinde – Fremde – Freunde. Polen und die Deutschen“ über die deutsch-polnische Beziehung. „Ihre Sprengkraft wird durch die psychologischen Befindichkeiten verstärkt.“ Die Deutschen fielen gerne mit der Tür ins Haus. Die Polen, die Wert auf Höflichkeit legten, deuteten das schnell als Arroganz. Kein Wunder also, dass es in Polen das latente Gefühl gebe, von den Deutschen belehrt zu werden.

Als Nikel sein Buch am Montagabend in Berlin vorstellt, meldet sich wie zum Beleg aus dem Publikum der polnische Botschafter zu Wort. Er bedanke sich für das Buch, sagt Dariusz Pawłoś tatsächlich ausgesprochen höflich, es sei eine gute Diskussionsgrundlage. Aber dass Nikel darin der Regierung in Warschau empfehle, den polnischen Moment nicht zu verspielen – was damit gemeint ist, dazu später –, sei in der polnischen Presse nicht gut angekommen. Tatsächlich: Von einer „Frechheit“ ist dort die Rede.

Es ruckelt im Verhältnis zwischen Deutschland und seinem zweitgrößten Nachbarn. Oder, wie Nikel sagt: „Die Beziehungen stecken in der tiefsten Krise seit Ende des Kalten Kriegs.“

Blatt gewendet

Angedeutet hatte sich das, nachdem er 2014 als Botschafter nach Warschau kam. Fast sein ganzes Diplomatenleben lang hatte er schon mit Polen zu tun; jetzt wollte er die „Früchte der deutsch-polnischen Aussöhnungspolitik ernten“.

Das Buch

Rolf Nikel: „Feinde Fremde Freunde: Polen und die Deutschen“. Langen Müller Verlag, München 2023. 312 Seiten, 24 Euro.

Mit den Wahlsiegen der rechtskonservativen PiS-Partei wendete sich aber schon ein Jahr später das Blatt. Ab da ging es konstant bergab. Nikel findet Fehler auf beiden Seiten.

Auf der einen Seite: das deutsche Versagen in der Russland-Politik, das mit dem Angriff auf die Ukraine vor einem Jahr offenbar wurde und in Polen Vertrauen gekostet hat. „Die Polen haben uns immer wieder auf das Risiko hingewiesen. Wir haben die Warnungen in den Wind geschlagen. Das schlägt jetzt heftig auf uns zurück“, sagt der Autor am Montag.

Problem Rechtsstaatlichkeit

Auf der anderen Seite tue die polnische Regierung weder dem westlichen Bündnis noch sich selbst einen Gefallen, indem sie Deutschland öffentlich ­attackiere, völkerrechtlich fragwürdige Reparationsforderungen für den Zweiten Weltkrieg stelle oder bei der Rechtsstaatlichkeit gegen EU-Grundsätze verstoße. In Deutschland und anderswo, so Nikel, gebe es aktuell so viel Bereitschaft, die polnischen Sorgen ernst zu nehmen, wie selten zuvor. Wenn Warschau weiter provoziere, könne „der ‚polnische Moment‘ zu Ende sein, bevor er richtig angefangen hat“.

Oder um es mit dem FDP-Außenpolitiker Alexander Lambsdorff zu sagen, der demnächst als Botschafter nach Moskau wechselt und der Buchvorstellung beiwohnt: Polen verballere seinen Elfmeter noch krasser als der englische Stürmer Harry Kane im WM-Finale.

Stellt sich die Frage, wie sich das Verhältnis kitten lässt, selbst wenn die PiS-Regierung nach den Wahlen in diesem Jahr im Amt bleibt. Nikel macht im Buch einige Vorschläge, erkennt deren Grenzen aber zugleich selbst an. Er nennt freiwillige Entschädigungsgesten anstelle von Weltkriegsreparationen – die aber nicht nicht mit der „Pistole an der Schläfe“ erfolgen könnten. Einfacher zu realisieren ist seine Forderung, sich endlich für den Nachbarn zu interessieren und „Polen zu verstehen“. Sein Buch trägt dazu bei.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Die PiS und ihre Politik ist natürlich ganz sachlich degoutant (Umbau des Rechtstaats, Abtreibung oder LGBTQ- Rechte). Aber im Allgemeinen haben die Deutschen soweit ich das sehe nichts gegen die Polen. Nur dieses zeternde Kaczinski-Männlein nervt manchmal ein bisschen. Dass ihr liebe Polen damit klar kommt... viel Glück

    Die Kaczinski- Regierung vermittelt immer wieder den Eindruck wir wären ganz furchtbar gegen Polen eingestellt. Die Wahrheit ist, außer es geht um die ultrakonservative Politik der PiS oder jetzt um die Unterstützung der Ukraine (was gut ist) oder die Reparationsforderungen, interessieren sich eingestandener-oder uneingestandenermaßen die allermeisten Deutschen einfach nicht für den Osten bzw. für die slawischen Länder, von Ausnahmen, ein paar Städten wie Prag oder Krakau abgesehen. Und das Interesse an der russischen Seele ist nur ein Phantasma, um das "Bedürfnis" zu stillen reicht es klassische russische Literatur zu lesen, dann muss man nicht da hin reisen. Diese Lage ist vielleicht bedauerlich, hat aber wohl historische Gründe (Eiserner Vorhang, 2. WK), auch eine gewisse sprachliche Barriere ist nicht zu leugnen, auch das Bildungssystem ist daran mit schuld: alle Welt lernt Englisch, vielleicht noch Französisch, Spanisch oder italienisch- aber kaum jemand Polnisch. Man könnte aber auch sagen ganz Europa hat es schon immer gen Westen oder ans Mittelmeer gezogen. Auch bei den Polen war das nicht anders. Vielleicht sollte man das mal überdenken. Aber man empfiehlt sich eher nicht indem man ständig auf die Tränendrüse drückt und behauptet zu wenig Beachtung zu bekommen oder gar von uns Deutschen unterdrückt und dominiert zu werden, selbst dann wenn es gerade gar nicht stimmt.

  • "...Aber dass Nikel darin der Regierung in Warschau empfehle, den polnischen Moment nicht zu verspielen – was damit gemeint ist, dazu später –, sei in der polnischen Presse nicht gut angekommen. Tatsächlich: Von einer „Frechheit“ ist dort die Rede..."

    Das passt alles nicht zu der von Herrn Schulz angeblich erkannten Neigung zur Höflichkeit ("... Die Polen, die Wert auf Höflichkeit legten, ...) bei unseren Nachbarn.

    Auch das Gebaren der PiS-ler gegenüber D ist im Grund nur noch eine einzige Unverschämtheit: Man baut dort an dem Popanz "D = EU= Tusk = Putin" - und meint, dass im Wahlkrieg alles erlaubt sei.

    Sowohl Herr Nikel als auch Herr Schulz sind allzu zartfühlend mit dem PiS-System umgegangen, welches die D/PL-Beziehungen um mind. 20 Jahre zurückgedreht hat.

  • "Einfacher zu realisieren ist seine Forderung, sich endlich für den Nachbarn zu interessieren und „Polen zu verstehen“. Sein Buch trägt dazu bei."

    Stimmt, das ist wirklich notwendig, auch was die Geschichte Polens angeht. Fast jeder weiss wer Hindenburg war, oder Chamberlain, einigen wird der Name Jan Pilsudski bekannt sein aber wer in Deutschland weiss den schon wer Eduard Ridz-Szmygli war und das der gemacht hat? Etwas mehr Interesse an den Nachbarn, und zwar unvoreigenommenes ohne den anderen gleich zu sagen was sie eigentlich tun müssen wäre hier angebracht. Gleichzeitig erwirbt man sich den Respekt der Nacbarn natürlich nur wenn man auch seine eigenen Interessen vertritt.

  • "Polen verballere seinen Elfmeter noch krasser als der englische Stürmer Harry Kane im WM-Finale." Aber England stand doch gar nicht im Finale."