was neumitglieder sagen: „Die Ambivalenz ist der Tod für die Partei“
Aaron Schreiner, 36, Darmstadt
In meinen frühen Zwanzigern war ich in der außerparlamentarischen Linken aktiv: Antifaschismus, Tierrechte, die autonome Szene. Als ich Vater von zwei Kindern wurde, lag mein politisches Leben erst mal auf Eis. Im Herbst 2020 drängte mich der Eindruck, dass die Coronapandemie die soziale Krise in Deutschland stetig verschärft, wieder in die Politik. Ich trat der Linken bei, weil es mir nun wichtig war, auch bundesweit vernetzt zu sein.
Jetzt bin ich im Sprecher:innenrat des Vorstands der Linken Darmstadt Stadt, sitze für die Linksfraktion des Stadtparlaments im Jugendhilfeausschuss und bin als Delegierter bei hessischen Landesparteitagen. Die Atmosphäre im Kreisverband ist weitgehend angenehm. Wir sind eine relativ homogene Gruppe, trotz auch mal unterschiedlicher Meinungen ist uns allen die Notwendigkeit einer geschlossenen Partei bewusst. Gerade jetzt, wo wir kurz vor einer Oberbürgermeister:innenwahl stehen. Dieser Zusammenhalt scheint aber eher die Ausnahme zu sein.
Beim Landesparteitag im Oktober in Dietzenbach spürte ich die Spaltungstendenzen in der Partei stark. Wir hangeln uns von einem potenziellen Spaltungsevent zum anderen: Die Wahl in NRW, in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen – immer wieder bangen wir, ob nun der große Knall kommt. In Dietzenbach schienen viele Genossen ermüdet, sie suchten die Konfrontation nicht mehr. Man bemühte sich um einen freundlichen Umgangston, obwohl man wusste, dass man aus anderen Lagern kommt. Ein richtiger Eiertanz, in der Mühe darum, sich nicht ständig gegenseitig an die Gurgel zu gehen!
Obwohl ich ein engagiertes Parteimitglied bin und mehrere Funktionen bekleide, trifft die Frage, was die Partei aktuell noch einzigartig macht, einen wunden Punkt: Ich kann den Trend hin zur Spaltung nicht ganz nachvollziehen, spüre aber, wie sehr er lähmt und sogar Freund:innen auseinander treibt. Aber im Idealfall braucht die Gesellschaft eine sozialistische Partei – eine, die identitätspolitische Thematiken der liberalen Parteien mit ökonomischen Ungleichheiten verknüpft, eine, die radikale Kritik an den bestehenden Verhältnissen übt, eine, die sich traut, die Rhetorik des Populismus zu verwenden. Nur mit starken und wirtschaftlichen Fragen können wir die breiten Bevölkerungsschichten, die von Armut betroffen und von Lohnarbeit geknechtet sind, ansprechen – und als Oppositionspartei für sie relevant und wählbar werden.
Aber die Partei muss ihre innere Spaltung überwinden, um eine Chance zu haben, bei der nächsten Bundestagswahl über die Fünfprozenthürde zu kommen. Aktuell setzen sich Parteipromis wie Sahra Wagenknecht und Bodo Ramelow ständig über die demokratisch beschlossenen Programmpunkte der Partei hinweg. Diese Vielstimmigkeit und Ambivalenz ist meiner Meinung nach der Tod für die Partei. Wenn wir es nicht schaffen, ein einheitliches Bild nach außen zu tragen, wird sich auch niemand mit unseren Themen identifizieren können.
Protokoll: Tatjana Söding
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