piwik no script img

Erste Stichwahl im Iran

Bei den Präsidentschaftswahlen erringt kein Kandidat die absolute Mehrheit. Favorit Rafsandschani liegt nur knapp vor einem Hardliner

AUS TEHERAN KARIM EL-GAWHARY

Es ist ein altes persisches Sprichwort, an das sich viele reformorientierte Iraner erinnern werden, wenn sie am Freitag erstmals aufgerufen sind, in einer Stichwahl ihren neuen Präsidenten zu wählen: „Hohes Fieber ist besser als der Tod“.

Zur Auswahl seht das Fieber in Person des Mullahs Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, der in der 80er-Jahren bereits zweimal das Präsidentenamt innehatte, sich aber mit 20,8 Prozent der Stimmen begnügen musste. Den Tod verkörpert der Teheraner Bürgermeister Mahmud Ahmedinedschad, der mit 19,3 Prozent auf dem zweiten Platz liegt und ein fundamentalistischer Hardliner ist. Nicht mehr im Rennen sind der frühere Parlamentspräsident Mehdi Karubi (17,5), der von Wahlfälschungen sprach, und der Reformer Mustafa Moin (13,7). Keiner der insgesamt sieben Kandidaten erreichte die absolute Mehrheit.

Der 70-jährige Rafsandschani steht dem religiösen Establishment nahe, präsentiert sich aber nun als eine Art „konservativer Reformer“, der fähig ist, die polarisierte iranische Gesellschaft zusammenzuhalten und sein politisches Schwergewicht einzusetzen, um die angeschlagenen Beziehungen zum Westen zu verbessern. Rafsandschani hatte in den letzten Wochen im Wahlkampf sein Reformerimage aufzupäppeln versucht, indem er sich in seinen Wahlspots beispielsweise in einer gemischten Gruppe aus Männern und Frauen ablichten ließ. Ein Vorgang, der unter den konservativen Hardlinern zu einem Aufschrei führte. Zu ihnen zählt Rafsandschanis überraschender Herausforderer Ahmedinedschad. Für liberale Iraner stellt der ehemalige Revolutionsgardist den absoluten Albtraumkandidaten dar. Viele Iraner fürchten, das Ahmedinedschad einige der Lockerungen der letzten Jahre im gesellschaftlichen Leben in der Islamischen Republik wieder zurücknehmen könnte.

Die Wahlbeteiligung in der ersten Runde war mit 62 Prozent überraschend hoch. Der Boykottaufruf einiger liberaler Reformer im Vorfeld der Wahlen aus Protest gegen die Disqualifizierung ihrer Kandidaten durch den konservativen Wächterrat, ist gescheitert. In der Stichwahl dürften aller Voraussicht nach noch mehr Menschen an die Urnen schreiten, auch jener Teil der Liberalen, die der ersten Runde aus Desillusion über die Reformfähigkeit der Islamischen Republik ferngeblieben waren. Es gilt, nicht Rafsandschani zu wählen, sondern Ahmedinedschad zu verhindern. Rafsandschani, der in der ersten Runde, wenngleich knapp, den ersten Platz einnahm, dürfte von dieser Mobilisierung profitieren und das Rennen wahrscheinlich für sich entscheiden. Aber es gibt auch andere Stimmen im Reformlager: Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat bereits angekündigt, sie werde auch den zweiten Wahlgang boykottieren.

Doch Ahmedinedschad ist nicht zu unterschätzen. Er spricht nicht nur die Fundamentalisten des Landes an, sondern wendet sich mit seinem Slogan nach sozialer Gerechtigkeit auch an jene immer größer werdende Gruppe der Iraner, die von der schlechten wirtschaftliche Lage und der bei mindesten 15 Prozent liegenden Arbeitslosenrate betroffen sind. Er selbst hat sich im Wahlkampf eher sparsam auf Schwarz-Weiß-Plakaten präsentiert. Seine halbstündige Wahlsendung stellt dem Zuschauer sein bescheidenes, traditionell möbliertes Heim vor. Eine kluge Strategie gegen den millionenschweren Wahlkampf seines Konkurrenten Rafsandschani. So ist in den nächsten Tagen mit einem Wahlkampf zu rechnen, in dem die soziale Frage von den Konservativen gegen die Forderung nach mehr privaten Freiheiten der Reformer aufgewogen werden wird.

Dass den Iranern nicht nur das Tragen oder Nichttragen des Tschadors, sondern auch die Ebbe im Geldbeutel wichtig ist, zeigt die erfolgreiche Strategie des Mullahs Mehdi Karubi. Er hatte jedem Iraner über 18 Jahre eine monatliche Zahlung von umgerechnet 50 Euro versprochen, wenn er zum Präsidenten gewählt wird. Immerhin reichte es für den dritten Platz. Darüber täuscht auch nicht der Witz hinweg, der seit Tagen in Teheran kursierte: „Leih mir kurz mal 50 Euro, ich zahle sie dir dann zurück, wenn Karubi gewinnt.“

meinung und diskussion SEITE 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen