Die Wahrheit: Faunas Abschied von Buddha
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (161 – Teil 1): Wie geht es den chinesischen Sternzeichentieren? Und was bedeuten sie?
Als Buddha die Erde verlassen wollte, rief er alle Tiere zu sich. Nacheinander kamen sie zu ihm, um sich zu verabschieden – in folgender Reihenfolge:
Ratte
Ich hatte mal einen zahme Ratte, die ich zusammen mit einem Meerschweinchen und einem Kaninchen auf einer Insel im Moor hielt, wo wir wohnten. Sie konnte schwimmen und tat das auch gern, wenn sie nicht gerade die Insel untertunnelte oder schlief.
Ursprünglich sollte sie im Aquarium des Bremer Überseemuseums an Schlangen verfüttert werden. Sie war weiß und tauchte gern; wenn sie hochkam, war ihr Kopf voller brauner Pflanzenteile. Wir hatten den Eindruck, dass sie am liebsten schwamm und tauchte, wenn wir Besuch aus der Stadt hatten, der davon sehr beeindruckt war.
Für die Chinesen ist die Ratte im Tierkreiszeichen charmant, gesellig, einfallsreich.
Ochse
Gemeint ist ein Wasserbüffel. Der Autor Aravind Adiga erinnert sich: „An der Tür steht das wichtigste Familienmitglied: die Wasserbüffelkuh. Sie war bei Weitem die Fetteste in unserem Haus, und so war es auch bei allen anderen Familien des Dorfes. Den ganzen Tag fütterten die Frauen sie mit frischem Gras; das Füttern war ihre Hauptbeschäftigung im Leben. Alle Hoffnungen dieser Frauen richteten sich auf den Leibesumfang der Büffelkuh. Gab sie genug Milch, konnten die Frauen etwas davon verkaufen, und am Ende des Tages war vielleicht ein bisschen Geld übrig. Sie war wohlgenährt, ihr Fell glänzte, über ihrem haarigen Maul stand eine Ader hervor, und von ihren Lefzen hingen lange, dicke, perlmuttfarbene Speichelfäden. Den ganzen Tag lag sie in ihrem dicken Scheißhaufen. Sie war die Haustyrannin!“
So gaben die Frauen zum Beispiel seinem Vater erst nach der Büffelkuh zu essen. Früh am Morgen band der Vater sie von ihrem Pfahl los und zusammen mit seinem Sohn brachte er das dicke Tier an einen Wassergraben, damit es sein Morgenbad nehmen konnte. „Die Büffelkuh watet hinein und kaut an den Seerosenblättern. Währenddessen geht über ihr, dem Vater, und mir und meiner Welt die Sonne auf. Es ist kaum zu glauben, aber manchmal vermisse ich diesen Ort.“ Die Männer arbeiten im Reisfeld mit Wasserbüffelbullen, die kastriert sind.
Ochsen verkörpern die Eigenschaften stur, geduldig, beharrlich.
Tiger
Die US-Dompteurin Mabel Stark arbeitete zeitweilig mit 20 Tigern. Sie meinte: „Tiger mögen nur Menschen, die einen stärkeren Willen als sie haben“. Mit dem von ihr großgezogenen Tiger „Rajah“ lebte sie in ihrem Wohnwagen zusammen, er schlief in ihrem Bett, ebenso wie ihr dritter Ehemann. In der Manege bestand ihre berühmteste Nummer darin, dass sie den Tigern den Rücken zukehrte und Rajah sie plötzlich von hinten ansprang, zu Boden warf und mit ihr rang. Mit der Zeit entwickelte sich daraus bei dem Tiger ein Paarungsakt. Weil sein Samen auf ihrem schwarzen Lederkostüm unschön aussah, wechselte sie in ein weißes Kostüm, das sie bis zum Ende ihrer Karriere 1968 trug.
Tiger werden als durchsetzungsfähig, abenteuerlustig und unabhängig charakterisiert.
Hase(Wasser-Hasenjahr 2023)
Hasen gibt es auf allen Kontinenten, sie leben im freien Feld und flachen Mulden. Neugeborene Hasen sind Nestflüchter, haben bereits Fell und können sehen. Häsinnen boxen laut WWF gern mal einen Verehrer um. Und sie können zweimal gleichzeitig schwanger werden, bis zu 80 km/h schnell werden, drei Meter weit und zwei Meter hoch springen und sehr gut schwimmen.
Sie sind quasi Wiederkäuer, das heißt sie kauen ihre ausgeschiedenen Kotkugeln noch einmal durch. Hasen lassen sich nicht zähmen. Auf der Flucht schlagen sie ihre typischen Haken, ändern also mehrfach abrupt die Richtung. In den buddhistischen Ländern wird der Hase verehrt, und wenn man einen sieht, wird einem „ganz kühl ums Herz“.
Hasen werden als distanziert, klug, diskret charakterisiert.
Drache
Man sagt in China, ein Chinese ist ein Drache, zwei Chinesen sind ein Wurm – und bei den Japanern ist es umgekehrt. Unter den Tieren gibt es heute nur noch den kleinen bis zu zwanzig Zentimeter langen Flugdrachen, der in Südostasien lebt. Er ist ein Insekten fressender Baumbewohner. Die von den ausgebreiteten verlängerten Rippen getragene Flankenhaut wird als Flughaut benutzt, mit der er von Baum zu Baum gleiten kann.
Den Drachen charakterisieren die Chinesen als aktiv, launisch und vielseitig.
Schlange
In der Berliner Volksbühne machten einmal fünf Pythonschlangen Theater. Die Pythons wirkten bühnenerprobt. Sie balancierten auf einer Bambusstange und bewegten sich langsam auf den Schultern ihres Besitzers Rainer Kwasi. Die größte, eine etwa fünf Meter lange gelbe Python, spielte die Hauptrolle in einem Film. Man sah, wie sie züngelnd die ganze Volksbühne erkundete – bevor sie sich im Roten Salon dem zahlreich erschienenen Publikum zeigte.
Derweil erklärte man uns das multifunktionale Sinnesorgan „gespaltene Schlangenzunge“, dazu hat die Python eine Art drittes Auge auf der Stirn, mit der sie etwa Infrarotstrahlen wahrnehmen kann. Im Übrigen sei ihr gesamtes Sensorium so ausgeprägt, dass sie sehr feine Informationen über den Menschen wahrnehmen könne – „vielleicht mehr als wir über sie“.
Von den Chinesen wird die Schlange als sensibel, unabhängig und ab und an als faul charakterisiert.
Pferd
Früher gehörte dem die Welt, der ein gutes Pferd und eine Stunde Vorsprung hatte. Heute sind Pferde aus Chrom und Stahl gemacht, und kleine dicke Männer reiten sie. Nach wie vor gilt jedoch laut Adorno, dass „der Gestus Münchhausens, wie er sich und sein Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, zum Schema einer jeden Erkenntnis wird, die mehr sein will als bloßer Entwurf“.
Im Internet findet man dagegen mehrere Fotos, auf denen eine Reiterin verzweifelt versucht, ihr Freizeitpferd aus einem Sumpf zu ziehen, in dem es stecken geblieben ist. Pferde sind im Gegensatz zu Eseln Fluchttiere und drehen mitunter durch.
Pferde werden im Chinesischen als aufmerksam, kontaktfreudig und eloquent charakterisiert.(Teil 2 folgt)
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