Wer waren die Mittäter?

Auch sechs Jahre nach dem Terroranschlag in Berlin ist unklar, wer dem Täter half. Hinterbliebene fordern, dass die Behörden hierzu weiter ermitteln. Derweil hält die Bedrohung durch militanten Islamismus an

„Wir wissen bis heute nicht, wer alles Mittäter bei dem Attentat war“

Astrid Passin, Hinterbliebene

Von Konrad Litschko

Sechs Jahre ist der islamistische Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz her, für die Hinterbliebenen ist er dennoch weiter nicht aufgeklärt. „Wir wissen bis heute nicht, wer alles Mittäter bei dem Attentat war“, sagt ­Astrid Passin der taz. Ihr Vater Klaus Jacob wurde bei dem Anschlag getötet. „Deshalb ist es für uns sehr wichtig, dass die Ermittlungen hier fortgesetzt werden.“

Am 19. Dezember 2016 war der Islamist Anis Amri mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz gefahren. Den eigentlichen Fahrer hatte der 24-Jährige zuvor getötet. Auf dem Markt verletzte er zwölf Menschen tödlich, dutzende weitere wurden teils schwer verletzt. Amri floh nach Italien, wo er vier Tage später von Polizisten erschossen wurde.

Die Bundesanwaltschaft bestätigte der taz, dass sie bis heute Ermittlungen zu dem Fall führt. Parlamentsanfragen zu konkreten Mittätern wurden dort zuletzt nicht beantwortet. Begründung: Man wolle die Arbeit der Geheimdienste nicht gefährden. Dass es Mittäter gab, ist inzwischen unstrittig – wie etwa der Untersuchungsausschuss des Bundestags festhielt.

So stand Amri beim Anschlag via Telegram in Kontakt mit einem libyschen IS-Mentor mit dem Alias „Moumou1“. Auch bewegte er sich zuvor im Netzwerk des Hildesheimer Predigers Abu Walaa, der als IS-Statthalter in Deutschland galt. In Berlin war er Vorbeter in der inzwischen verbotenen Fussilet-Moschee. Zudem fanden sich DNA-Spuren im Tat-Lkw, die bis heute nicht zuzuordnen sind. Auch ist unklar, wie Amri an seine Tatwaffe kam, mit der er den Lkw-Fahrer erschoss.

Bundesinnenministerin Nan­cy Faeser (SPD) erklärte anlässlich des Jahrestags, dass die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus unverändert anhalte. Der Verfassungsschutz zählt weiterhin 28.920 Islamisten in Deutschland, ein nur leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Man müsse weiterhin jederzeit mit einem islamistischen Anschlag auch in Deutschland rechnen, sagte Präsident Thomas Haldenwang vor Kurzem.

So steht derzeit ein 28-jähriger Syrer in München vor Gericht, der im November 2021 in einem ICE nach Nürnberg drei Menschen mit einem Messer teils schwer verletzte. Die Bundesanwaltschaft und Opfer, die als Nebenkläger am Prozess teilnehmen, forderten in ihren Plädoyers eine lebenslange Haftstrafe: Der Täter habe aus islamistischen Motiven gehandelt, eine anfangs angegebene psychische Erkrankung sei nur vorgetäuscht gewesen.

Faeser erklärte, der Jahrestag des Breitscheidplatz-Anschlags sei „auch ein Tag der Scham, dass die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern die Tat nicht verhindern konnten, aber auch der Scham, dass die Bedürfnisse der Opfer und ihrer Familien viel zu lange zu wenig beachtet wurden“. Terrorbetroffene dürften „kein Gewirr von Behördenvorgängen erleben“. Auch Pascal Kober (FDP), der Opferbeauftragte der Bundesregierung, versicherte, er werde „nach Kräften alles dafür tun, damit Betroffene von terroristischen und extremistischen Anschlägen die bestmögliche Unterstützung erhalten“.

Tatsächlich sieht aber auch die Hinterbliebene Astrid Passin hier noch Handlungsbedarf. So bräuchte es einfachere Überprüfungen, ob Betroffene Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz haben. Bis heute würden vor Sozialgerichten Verfahren von Betroffenen laufen, deren Bearbeitung „nicht zufriedenstellend“ sei, so Passin.

An die Opfer des Terroranschlags sollte am Montagabend auf dem Breitscheidplatz mit einer Andacht und Kranzniederlegung erinnert werden.