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Lotto-Berater über seinen Job„Ich bringe Millionäre zur Welt“

Wer in Berlin sechs Richtige hat, kommt zu Lutz Trabalski. Seit 20 Jahren berät er Gewinnerinnen und Gewinner. Ein Gespräch über Wurst und Glück.

Lotto-Berater Lutz Trabalski Foto: Sophie Kirchner
Antje Lang-Lendorff
Interview von Antje Lang-Lendorff

Die letzten Meter zum großen Geld sind erstaunlich unspektakulär. An einem Vormittag im Dezember tritt Lutz Trabalski durch die Glastür im Erdgeschoss der Lotto-Zentrale in Berlin-Wilmersdorf, ein leutseliger großer Mann mit festem Händedruck. Er bittet herein, Gäste dürfen nicht alleine ins Haus. Trabalskis Gäste, das sind regelmäßig auch Menschen, die gerade im Lotto gewonnen haben. Drinnen empfängt ein luftiges Treppenhaus im 50er-Jahre-Stil. Um die Stimmung aufzulockern, weise er die Gewinnerinnen und Gewinner gerne auf die Fossilien hin, die in den Marmorstufen eingeschlossen seien, erzählt er beim Hinaufgehen. Im ersten Stock hat Lutz Trabalski sein Büro. Grauer Teppichboden, Schreibtisch, Kalender an der Wand – der Raum ist eingerichtet wie eine Amtsstube. Am ovalen Besprechungstisch bittet er zum Gespräch.

taz: Herr Trabalski, neues Jahr, neues Glück?

Lutz Trabalski: Auf jeden Fall. Wobei das nicht nur für den Jahreswechsel gilt, sondern für jede Ziehung.

Spielen Sie selbst Lotto?

Selbstverständlich. Ich habe einen Lottotipp mit vier Tippreihen, einen Eurojackpot-Tipp und mehrere Tippgemeinschaften mit Kollegen aus dem Haus. Da können wir uns dann drüber unterhalten, wenn wir wieder dicht daneben lagen. Einmal haben wir zu viert 1.000 Euro gewonnen.

Man muss leider sagen: Geld für Lotto auszugeben ist ziemlich unvernünftig. Die Wahrscheinlichkeit auf den Hauptgewinn, also auf einen Sechser mit Superzahl, beträgt nur 1 zu 140 Millionen.

Ja, wer auf Wahrscheinlichkeiten steht, der sollte nicht Lotto spielen. Es ist total unwahrscheinlich zu gewinnen. Aber nichtsdestotrotz passiert es. Wir haben bundesweit fast jede Woche jemanden, der sechs Richtige und die Superzahl knackt und Millionär wird. Es ist eben ein Glücksspiel. Und es geht ja auch nicht nur ums Geld. So eine Spielquittung ist eine Eintrittskarte fürs Traumkino. Das beflügelt die Fantasie. Die Leute malen sich aus, was sie mit dem Geld machen könnten. Schon die Vorstellung, keine Verpflichtungen mehr zu haben, kann wohltuend sein.

Bei Einzelnen wird die Fantasie zur Wirklichkeit. Seit 20 Jahren beraten Sie Gewinnerinnen und Gewinner in Berlin. Wie viele Lotto-Millionäre saßen schon an diesem Tisch?

Früher war ich in einem anderen, sehr schmalen Büro. Allein hier in diesem Raum, auf diesem Stuhl saßen wahrscheinlich schon 70 oder 80 Gewinner, die ich beraten habe.

Sie haben einen ziemlich originellen Job …

So eine Spielquittung beflügelt die Fantasie. Die Leute malen sich aus, was sie mit dem Geld machen könnten. Schon die Vorstellung, keine Verpflichtungen mehr zu haben, kann wohltuend sein

Ich wurde mal gefragt, womit sich meine Tätigkeit am ehesten vergleichen lässt. Ich habe gesagt, dass ist ein bisschen wie auf einer Entbindungsstation. Ich komme durch die Tür, gratuliere den Menschen und sage ihnen, wie viel sie gewonnen haben. Ich bringe sozusagen Millionäre zur Welt. Mit dem Vorteil, dass bei mir weniger schiefgehen kann als bei einer echten Geburt.

Wie reagieren die Leute?

Ganz unterschiedlich. Manche sind total euphorisiert. Einer wollte sofort Sekt und Schnittchen, das gibt es bei uns natürlich nicht. Hier ist erst mal kühler Kopf gefragt, die Party einläuten können die Leute hinterher. Andere bringen kein Wort heraus.

Im November hat jemand aus Berlin den Eurojackpot mit 120 Millionen Euro geknackt. Das war der höchste Gewinn, den es je in Deutschland gab. Wie hat dieser Mensch reagiert?

Sehr introvertiert. Man hat gesehen, dass die hohe Summe auch eine Last ist. Die Person hat sich nicht wohlgefühlt, sie hat nichts von sich preisgegeben. Ich hatte den Eindruck, die Person dachte, dass überall Leute lauern könnten, die es auf das Geld abgesehen haben.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Mit dem Gewinn kam gleich auch die Angst?

Ich denke ja, deshalb hat die Person wenig gesagt. Es passiert aber auch oft, dass mir die Gewinner sehr viel von sich erzählen. Ich bin ja in einem entscheidenden Moment ihres Lebens bei ihnen und habe ein offenes Ohr. Das längste Gespräch hat fast acht Stunden gedauert.

Was erfahren Sie bei so einem Treffen?

Eine Frau hat mir gesagt: „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich Glück habe.“ Sie hatte ihr Kind verloren, das war eine ganz tragische Geschichte. Damals gab es viele Brandmauern in Berlin, an denen waren häufig die Teppichklopfstangen angebracht. Das Kind turnte an einer dieser Stangen, da hat sich wohl ein Stein aus der Mauer gelöst. Die Frau schaute aus dem Fenster und musste zusehen, wie die Mauer zusammenbrach und ihr Kind unter sich begrub. Das hat mich so berührt, ich kriege jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich davon erzähle. Diese Frau hat mich auch sonst beeindruckt, weil sie so geerdet wirkte.

Inwiefern?

Ich frage die Leute immer: Was machen Sie als nächstes mit dem Geld, wenn Sie dieses Haus verlassen? Ich rate ihnen, sich etwas zu gönnen, damit sie den Besuch hier mit etwas Schönem verbinden. Es gibt Männer, die kaufen sich gleich eine teure Uhr, der Ku’damm ist ja um die Ecke. Frauen haben es eher mit Schuhen und Handtaschen. Das klingt wie ein Klischee, aber ich erlebe es so. Diese Dame jedenfalls sagte: Sie geht jetzt in den Supermarkt und kauft sich unverpackte Wurst. Ein guter Serranoschinken, eine Mailänder Salami, das war für sie offenbar der Inbegriff von Luxus. Ganz am Ende unseres Gesprächs hat sie mir noch einmal mit großem Nachdruck gesagt: „Herr Trabalski, ich kaufe mir nie wieder verpackte Wurst. Nie wieder!“

Sie raten den Gewinnern nicht nur, sich etwas zu gönnen. Vor allem raten Sie ihnen, kaum jemandem von dem Gewinn zu erzählen. Weil sonst alle kommen und Geld wollen?

Ja. Man hat schnell falsche Freunde. Man weiß nicht mehr, ob jemand nett ist, weil er Geld möchte, oder weil er einen wirklich mag. Menschen sind neidisch auf diesen Gewinn. Und aus dieser neidischen Grundhaltung leiten sie dann ab, dass sie doch auch etwas von dieser großen Summe abbekommen sollten. Das soziale Gefüge verändert sich sofort.

Plötzlich gibt es eine Hierarchie in den sozialen Beziehungen?

Das trifft es sehr gut. Der Gewinner ist viel reicher als die anderen. Die Leute denken dann: Er ist keiner mehr von uns. Einmal war ein älterer Herr hier bei mir, an dem spiegelte sich das ganz deutlich. Er ist ein Mal in der Woche zur Volkssolidarität gegangen zum Kartenspielen. Während des Gesprächs merkte ich, wie er immer unglücklicher wurde. Er fragte: „Herr Trabalski, kann ich denn jetzt noch zur Volkssolidarität? Ich bin doch jetzt reich, das ist doch für arme Leute.“ Er fühlte sich nicht mehr zugehörig. Es hat eine Weile gedauert, bis ich ihn davon überzeugt hatte, weiter hinzugehen, und dass er ja anonym was für die Volkssolidarität spenden kann, wenn er das möchte.

Das klingt, als wäre man als Gewinner plötzlich ziemlich einsam.

Ja. Dieser Herr war wahrscheinlich sowieso schon einsam, und jetzt noch mehr.

Nichts zu sagen kann verhindern, dass man als reich gilt. Aber auch Schweigen verändert Beziehungen. Für enge Freunde oder Verwandte ist es ein Vertrauensbruch, wenn man von einem solchen Ereignis im Leben nichts erzählt.

Absolut. Aus der Nummer kommt man nicht raus. Sagt man was, wird es schwierig. Sagt man nichts, auch. Man hat ein schlechtes Gewissen, weil man sonst immer offen war, aber in dem Punkt nicht. Die Leute wissen deshalb oft nicht, wie eng sie den Kreis ziehen sollen. Wir raten: Je enger, desto besser. In der Partnerschaft ist es sicher schwierig, so etwas zu verheimlichen. Aber für alle anderen sollte man sich eine Legende zurechtlegen, dass man zu etwas Geld gekommen ist, beispielsweise durch eine Erbschaft, und sich deshalb mehr leisten kann. Selbst bei den eigenen Kindern raten wir, besser nichts zu sagen.

Ist das bei älteren Kindern nicht übertrieben?

Im Interview: Lutz Trabalski

Der Mensch

Lutz Trabalski, 61, ist Gewinnberater und Leiter des Kundenservice bei der Deutschen Klassenlotterie Berlin. Er hat Umwelttechnik studiert, jobbte als Student bei der Lotto-Gesellschaft und blieb dort.

Das Spiel

Rund 6,9 Millionen Menschen über 14 Jahren spielten in Deutschland im Jahr 2022 laut einer Umfrage regelmäßig Lotto oder Toto. Das sind etwas weniger als in den Jahren zuvor. Fast 21 Millionen spielen gelegentlich. Insgesamt 181 Lotto-Millionäre gab es in Deutschland im Jahr 2021.

Wenn ich meiner Tochter mit 16 oder 17 erzählt hätte, wir sind jetzt Millionäre, hätte sie gefragt: „Papa, warum muss ich jetzt eigentlich noch was lernen?“ Sie hatte zu der Zeit Stress in der Schule. Es besteht schon die Gefahr, dass man das Lebensziel aus den Augen verliert, dass plötzlich der Antrieb fehlt, weil man sich darauf verlässt: Das Geld wird es schon regeln.

Gilt das nicht auch für Erwachsene? Mit mehreren Millionen könnte man auf der Stelle aufhören zu arbeiten.

Davon raten wir dringend ab. Man vergisst leicht, dass man sehr viele soziale Beziehungen über die Arbeit generiert oder pflegt. Wenn man aufhört zu arbeiten, bricht das alles weg. Man entwurzelt sich. Es ist deshalb wichtig, eine Strategie zu entwickeln. Vielleicht will man mit weniger Druck in Teilzeit arbeiten? Oder eine Auszeit nehmen und später wieder einsteigen? Das muss man sich gut überlegen. Man bekommt auch viel Bestätigung über die Arbeit, wenn das wegfällt, sollte man wissen, wie man es kompensiert.

Einsamkeit, Antriebslosigkeit, Entwurzelung. Je länger ich Ihnen zuhöre, desto mehr habe ich den Eindruck: Es ist gar kein Glück, im Lotto zu gewinnen.

Mit Geld kann man viele Probleme lösen, aber man bekommt auch andere, die man vorher nicht hatte. Es gibt Menschen, die bewahren die Ruhe, die bleiben geerdet, die können damit umgehen, anderen fällt das schwerer. Ich würde schon sagen: Wer im Lotto gewinnt, hat großes Glück gehabt. Aber aus diesem Ereignis einen Zustand zu machen, glücklich zu sein, das ist die große Kunst.

Wäre es nicht bekömmlicher für alle Beteiligten, wenn kleinere Summen vergeben würden, also 20 Mal eine halbe Million Euro statt ein Mal 10 Millionen? Dann würden die Menschen auch ihren Job nicht gleich aufgeben.

Vor dem Hintergrund, dass große Summen überfordern können, ist das völlig korrekt. Wir merken allerdings, dass die Leute bei kleineren Jackpots nicht spielen. Bei der Lotterie Eurojackpot gibt es immer 10 Millionen in der Gewinnklasse 1, das interessiert keinen mehr. Viele steigen erst ein, wenn mehr drin ist. In den USA und Spanien gibt es inzwischen Gewinne in Milliardenhöhe. Diese Entwicklung hin zu immer mehr Geld können wir nicht verhindern. Wenn wir in einem isolierten Markt wären, wäre das kein Problem, dann könnten wir den Gewinn deckeln. So müssen wir für den legalen Glücksspielmarkt ein Angebot liefern, sonst driften die Leute ab zu illegalen Lotterien im Internet. Wenn es ein legales Angebot gibt, dann ist es einfacher, den „Spieltrieb der Bevölkerung zu kanalisieren“, wie es im Glücksspielvertrag so schön heißt.

Der Staat verdient beim Lotto mit. 50 Prozent der Einnahmen werden an die Gewinnerinnen und Gewinner ausgeschüttet, 40 Prozent gehen an den Staat oder an die Lottostiftung für gemeinnützige Zwecke. Der Staat plant mit diesen Geldern aus dem Glücksspiel. Ist das nicht fragwürdig?

Jein, würde ich sagen, eben weil die Leute spielen wollen. Es gibt einen Bedarf dafür, und wir machen das legale Angebot dazu. Wenn ein Teil in gemeinnützige Zwecke fließt, ist das doch gut.

Studien zufolge spielen vor allem Menschen mit geringerem Einkommen Lotto, auch Menschen ohne höheren Bildungsabschluss. Hoffen die Leute mit dem großen Los auf den sozialen Aufstieg?

Das kann sein. Früher war Roulette das Glücksspiel der Reichen, Lotto das Glücksspiel der kleinen Leute. Heute gibt es die Grenzen so nicht mehr. Aber klar, unsere Klientel ist eher normal, hat Familie, geht arbeiten. Viele Ältere spielen Lotto. Deshalb bekommen wir auch den demografischen Wandel so deutlich zu spüren. Unsere Lotto-Abonnements enden häufig, weil die Leute sterben.

Ein Teil der Gelder aus der Lottostiftung fließt in die Kultur, etwa in Thea­ter­pro­jekte oder Kunsthallen. Kritiker sagen, das sei eine Umverteilung von unten nach oben. Da das Geld von ärmeren Leuten kommt, sollte man besser Projekte für Chancengleichheit finanzieren.

Den Einwand kennen wir. Die Stiftung ist deshalb schon immer breit aufgestellt, wir fördern zum Beispiel auch den Breitensport oder Projekte im öffentlichen Raum, die jeder mitbekommen kann, wie die kilometerlange Lichtinstallation zum Jubiläum des Mauerfalls. Zweifelsohne hat die Kultur ihren Platz in unserer Gesellschaft. Ich kann aber gut nachvollziehen, wenn jemand sagt, man sollte stärker soziale Projekte finanzieren und nicht die nächste Kunstausstellung, von der der eine oder andere vielleicht gar nichts mitkriegt. Letztendlich entscheidet der Stiftungsrat über die Verteilung der Gelder.

Sie haben regelmäßig mit Leuten zu tun, die das große Los gezogen haben. Hat das Ihren Blick auf Glück verändert?

Ich habe im Laufe der Jahre viel darüber nachgedacht, welchen Stellenwert Geld hat. Dieser alte Spruch, Gesundheit sei das Allerwichtigste, das ist keine Floskel. Das habe ich hier mehrfach erlebt. Ein Gewinner war bei mir, der hatte eine schwerkranke Frau. Er sagte, er würde alles zurückgeben, wenn seine Frau nur wieder gesund würde. Da kamen selbst mir die Tränen. Es ist schön, wenn man Geld hat und man sich viel ermöglichen kann. Aber Zuneigung, Empathie und eben auch Gesundheit, das ist wichtiger.

Was war Ihr größtes Glück im Leben?

Ohne Zweifel die Geburt meiner Tochter. Dass ich meine Frau kennengelernt habe und wir eine Familie gründen konnten. Das ist für mich das größte Glück, und das hätte ich mir auch mit viel Geld nicht kaufen können.

Und wenn Sie nun doch noch im Lotto gewinnen?

Dann muss ich mich selbst beraten … Im Ernst: Es wäre spannend zu wissen, ob ich die Ratschläge befolgen würde, die ich den Menschen gebe. Ich würde sicherlich Ruhe bewahren und mir gut überlegen, was ich mit dem Geld mache. Einen Teil würde ich spenden, an Obdachlosenprojekte oder die Arche, die mit Kindern und Jugendlichen arbeitet. Aber wem würde ich davon erzählen? Da wird es schon schwierig, man möchte diese Freude ja mitteilen.

Und was würden Sie sich kaufen?

Ich bin in einer klassischen Berliner Mietskaserne aufgewachsen, mit hohen Häusern und engen Höfen. Wir haben im siebten Stock gewohnt, zum Spielen gab es nur den Spielplatz. Es klingt total spießig, aber so ein eigenes Häuschen mit Garten, das war immer mein Traum. Das wäre schon was.

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