Ermittlungen gegen Chamenei-Kritiker: Groteske Ermittlungen
Staatsanwaltschaft will zügig klären, ob der Ruf „Tod Chamenei“ auf einer Demonstration gegen das iranische Terrorregime strafbar ist.
Berlin taz | Angesichts der blutigen Geschehnisse im Iran wirkt das Vorgehen der Berliner Strafverfolgungsbehörden geradezu grotesk. Gegen einen 55-jährigen Berliner Demonstrationsteilnehmer wird wegen Verdachts der üblen Nachrede ermittelt. Das bestätigte Polizeipräsidentin Barbara Slowik am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.
Unter dem Motto „Frauen, Leben, Freiheit“, die am 25. Oktober vor der iranischen Botschaft stattgefunden hatte, soll der Mann laut Slowik durch ein Megafon gerufen haben, der sogenannte Revolutionsführers Ali Chamenei sei „ein Mörder und Kindermörder“. Auch „Tod Chamenei“ habe der Mann gerufen.
Ein Dolmetscher habe das den anwesenden Polizisten so übersetzt. Nach dem Legalitätsprinzip sei die Polizei verpflichtet gewesen, gegen den Mann ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Wer eine Person als Mörder bezeichne, ohne dass diese wegen Mordes verurteilt sei, „erfüllt den Verdacht der üblen Nachrede“, so die Polizeipräsidentin. „Wir haben da keinen Ermessensspielraum“.
Zeitnahe Befassung
Das Verfahren befindet sich inzwischen bei der Staatsanwaltschaft. Deren Sprecher, Sebastian Büchner, bestätigte den Eingang am Montag gegenüber der taz. Die zuständige Dezernentin habe eine zeitnahe Befassung angekündigt. Anders als die Polizei habe die Staatsanwaltschaft bei der Bewertung des Sachverhalts durchaus einen Spielraum, sagte Büchner.
Geklärt werden müsse, ob ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung des Mannes bestehe und ob die Äußerungen von der Versammlungsfreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt seien.
In der Sitzung des Innenausschusses hatte der Innenpolitiker Benedikt Lux (Grüne) nachgehakt. An Innensenatorin Iris Spranger (SPD) gewandt, fragte Lux: „Teilen Sie die Auffassung, dass unter Chameneis Verantwortung unschuldige Menschen zu Tode kommen?“ Sprangers Antwort: „Ja“.
Mit dem 23-jährigen Madschidresa Rahnaward war am Montag im Iran die zweite offizielle Hinrichtung im Zusammenhang mit den Protesten gegen das Terror-Regime erfolgt. In einer spontanen Reaktion rief das Komitee zur Unterstützung der politischen Gefangenen Iran-Berlin am Nachmittag zu einer Kundgebung vor der iranischen Botschaft in Berlin auf.
Leser*innenkommentare
Kappert Joachim
Iran hat seit 1989 ein Frauen- und Kindermörderregime. Das ist doch bekannt. "Lebenslanges Zuchthaus für Chamenei" wäre der juristisch gerechtfertigte Ausspruch.
pablo
Eindeutig bewies das Berliner Kammergericht, dass von Teheran beauftragte Killer 1992 im Restaurant Mykonos vier iranische Oppositionelle erschossen hatten. Ermitteln musste die Justiz gegen Widerstände deutscher Behörden. Doch am 10. April 1997 wurde das Urteil im „Mykonos-Prozess“ verkündet (QUELLE DEUTSCHLANDFUNK)
Da Chamnei seit 1989 den Iran politisch führt kann und muss er selbstverständlich als Mörder bezeichnet werden
R R
Nicht vergessen sollte man, dass der Ausruf "Tod dem Diktator" eine Abwandlung des allgegenwärtigen Slogans des iranischen Regimes "Tod für Amerika" - مرگ بر آمریکا - ist. Der wird jeden Tag an den Schulen per Lautsprecher verteilt.
Daniel Drogan
Hmm, hier regt man sich darüber auf das dies eine Straftat sein soll. Wenn ich bei so gewissen Demonstrationen in Deutschland zurückblicke, insbesondere wenn es dann Araber gemacht haben sollen, sind wir immer sehr weit vorn mit der Formulierung "Tod ..." ist eine Straftat (und das ZURECHT!). Gelten hier jetzt wieder andere Regeln, double standards?
Suryo
Bizarr!
Zu Beginn des Jahres (nach dem russischen Überfall auf die Ukraine) ermittelte der Staatsschutz, weil jemand auf das Thälmann-Denkmal den Spruch "Der Kreml soll brennen" gesprayt hatte. Anwohner hatten das zur Anzeige gebracht.
Dass dort vorher über WOCHEN der Spruch "Amerika soll brennen" gestanden hatte, hatte aber weder Anwohner noch polizeilichen Staatsschutz interessiert.
Vielleicht sollte Berlin endlich mal seine Prioritäten auf die Reihe kriegen.
PolitDiscussion
Absolut grotesk. Zwar wäre auch jedes Todesurteil gegen Ali Chamenei abzulehnen und ein Menschenrechtsverstoß, wie die Todesstrafe es immer und ohne Ausnahme ist. Wegen einer rein verbalen Äußerung zu ermitteln, wo eben dieser Ali Chamenei Menschen zu Tode bringt, ist aber verrückt, auch wenn es sicher eingestellt werden wird. Besseres Ermittlungsziel wären diejenigen, die laut HRW Komplizen der Verschleppung von Geflüchtete in Folterlager sind, ein detaillierter Ermittlungsbericht liegt nunmehr vor, hierfür würde es sich lohnen, Ermittlungsressourcen zu verwenden, anstatt sie zu verschwenden: www.hrw.org/video-...ance-enables-abuse
39538 (Profil gelöscht)
Gast
@PolitDiscussion Absolut grotesk, Ihr Kommentar. Mit Verlaub, und bei aller Liebe. Ziemlich übersprüngig – von der forensischen Warte aus betrachtet, Herr Kollege.
654782 (Profil gelöscht)
Gast
@PolitDiscussion Liebe Leute, merkt ihr denn nicht, wie ihr euch um Kopf und Kragen redet? (Die martialische Metapher bitte streichen.) Da wird ja ganz tüchtig die Doppelstandarte gehisst!
Ist denn die Ironie der Geschichte so schwierig zu begreifen? Wer gegen die Todesstrafe ist, macht sich vollkommen unglaubwürdig, wenn er unverhohlene Morddrohungen auch nur in irgendeiner Form relativiert. Zudem doch nur, weil man etwas hat gegen den, dem da der Tod gewünscht wird. Da gefriert mir das Blut in den Adern.
Wir geben unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung auf, wenn wir explizite Mordaufrufe (noch dazu in veröffentlichter, plakativer Form) nicht mehr strafrechtlich verfolgen.
Sie können doch nicht privat entscheiden, werter Herr Gebauer, wen Sie strafrechtlich verfolgt sehen wollen, und wen nicht! Absolut grotesk.