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Suchthilfe und Psychiatrie in BremenDas Geld reicht nicht für alle

Im Bremer Suchthilfesystem soll dank neuer Leitlinien die Versorgung von Menschen aller Geschlechter verbessert werden. Zur Umsetzung fehlt das Geld.

Wer nicht binären Geschlechtervorstellungen entspricht, wird auch im Gesundheitssystem diskriminiert Foto: A. Pérez Meca/dpa

Bremen taz | Sie sollen Einrichtungen des psychiatrischen und Suchthilfesystems in Bremen helfen, die Bedürfnisse von trans*-, inter- und nicht-binären Menschen zu berücksichtigen: die neuen, vom Projekt „Doing Gender“ erarbeiteten Leitlinien. Doch kaum sind sie gedruckt, steht das Projekt auf der Kippe. Denn den Antrag auf weitere Mittel, die zur Umsetzung dieser Leitlinien verwendet werden sollen, hat die Bremer Gesundheitsbehörde vor gut einer Woche abgelehnt.

Die Gender-Leitlinien wurden am Freitag bei einer Fachtagung in Bremen mit rund 50 Menschen vorgestellt. Auf dem Tisch stapeln sich nicht nur die Broschüren; direkt daneben liegen Zettel für eine Petition zur Fortführung des Projekts.

Mit den Leitlinien will das Projektteam die Versorgung in Suchthilfe- und psychiatrischen Einrichtungen verbessern – „für alle Geschlechter“, wie Doing Gender-Mitarbeiterin Anna K. betont. Seit 2020 hat das Projekt vom Land Fördermittel erhalten. Nun, da die Leitlinien fertig sind und es um die Umsetzung in den Trägern geht, läuft die Projektförderung allerdings aus.

Die Bremer Gesundheitsbehörde habe „sehr viele Anträge erhalten, die das zur Verfügung stehende Budget bei Weitem überschreiten“, begründet eine Sprecherin der Behörde die Entscheidung. Auf Empfehlung eines Ex­per­t*in­nen­gre­mi­ums würden vorrangig Projekte gefördert, welche neue Versorgungsangebote schafften. Da „Doing Gender“ Beratungen anbiete, falle es nicht darunter. Außerdem stehe es in der Verantwortung der Träger, die Leitlinien umzusetzen. Diese Umsetzung wolle die Gesundheitsbehörde „begleiten und kontrollieren“.

Entscheidung der Behörde kritisiert

Die Gender-Leitlinien umfassen 14 Punkte, an denen sich therapeutische Einrichtungen orientieren können. Das Team von Doing Gender empfiehlt unter anderem, Ansprechpersonen bei Diskriminierungen zu ernennen. Diese sollen Betroffene, wenn gewünscht, unterstützen. Ein weiterer Punkt sieht vor, dass Einrichtungen offenlegen, über welche inklusiven Strukturen sie verfügen – etwa, ob es ein Gewaltschutzkonzept gibt.

Bei der Tagung kritisieren Teilnehmende die Entscheidung der Behörde. „Es ist wichtig, dass das Projekt weitergeht und die Träger nicht allein gelassen werden“, sagt Sybille Schwarz von der „Gesellschaft für seelische Gesundheit“ des Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Sie befürchtet, dass die Umsetzung ohne professionelle Begleitung „im Sande verläuft“.

Lucie Veit, Pro­jekt­ko­or­di­na­to­r*in des Vereins „Intergeschlechtliche Menschen“ sagt: „Es kann im Sinne nachhaltiger Arbeit nicht gewollt sein, dass dieser Leitfaden ausgearbeitet, aber nicht umgesetzt wird.“ Das sei „Ressourcenverschwendung“.

In ihrem Vortrag ging Veit auf Ausschluss und Diskriminierung von intergeschlechtlich geborenen Menschen im deutschen Gesundheitssystem ein. Diese seien von verschiedenen Stressfaktoren betroffen, darunter binäre Geschlechtererwartungen, Unwissen, körperliche Gewalt. „Gesundheitsversorgung ist für alle da – nicht nur für Männer und Frauen“, sagt Veit. Bremen könne diesbezüglich Vorbild sein – wenn denn gewünscht.

Ein Fünftel erlebte Gewalt

Zur Erstellung der Leitlinien hat das Team von Doing Gender Nut­ze­r*in­nen befragt. Also zum Beispiel Menschen, die Psychia­trieerfahrung haben, die sich aufgrund ihres Drogenkonsums beraten lassen, Therapieangebote in Anspruch nehmen. Sie wurden auch nach Gewalterfahrungen im psychiatrischen und Suchthilfesystem gefragt. Knapp ein Fünftel der 120 Befragten gab an, Gewalt von betreuenden oder behandelnden Personen erfahren zu haben. Besonders cis-Frauen sowie non-binäre, trans*- und inter-Personen sind betroffen.

„Um diese Missstände zu beheben, sind Fortbildungen wichtig“, sagt Heidi Mergner aus dem Vorstand des Vereins, an den Doing Gender angegliedert ist. Während der Projektlaufzeit habe das Team bereits vereinzelt kostenlose Schulungen für Einrichtungen angeboten, schon ohne die fertigen Leitlinien. Wie es nun weitergehe, stehe nicht fest. „Wir hoffen, dass wir sie in Eigenregie fortführen können.“

Die Ablehnung der beantragten Mittel wirke sich auch auf die „AG Gender“ aus, ein Netzwerk aus Mit­ar­bei­te­r*in­nen und Nut­ze­r*in­nen psychiatrischer Einrichtungen und Suchthilfeinstitutionen. „Das Projekt war ein Stabilisator für die AG“, sagt Mergner. Schon 2011 hatten Mitglieder der AG-Gender Leitlinien für die geschlechtersensible Arbeit im psychiatrischen- und Suchthilfebereich erstellt, auf die das Projekt jetzt aufbaut.

Perspektiven von trans*-, inter- und non-binären Menschen seien zu der Zeit aber nicht eingeflossen, sagt Anna K. Außerdem: „Die Leitlinien von 2011 wurden kaum umgesetzt.“ Dass sich das nicht wiederhole, sei jetzt Aufgabe der Einrichtungen, wie der ASB, das Deutsche Rote Kreuz oder Kliniken. „Es ist wichtig“, sagt K., „dass die Träger die Leitlinien durcharbeiten und Schritte zur Umsetzung planen.“

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