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Antisemitismusbeauftragter gegen TwitterKampagne vor Gericht

Ein Journalist aus Israel diffamierte den baden-württembergischen Antisemitismusbeauftragten Michael Blume auf Twitter. Der verklagt die Plattform.

Klagt gegen Twitter: Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg Foto: Stefan Puchner/dpa/picture alliance

Freiburg taz | „Hass darf kein Geschäftsmodell sein“, sagt Michael Blume, der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Baden-Württemberg. Er verlangt daher von Twitter, alle Tweets einer gegen ihn gerichteten Verleumdungskampagne dauerhaft zu löschen. An diesem Donnerstag verhandelt das Landgericht Frankfurt/M. über seinen Eilantrag.

Das war passiert: Im Juli hatte Blume auf der Seite einer US-Amerikanerin namens Amy einen Geburtstagsgruß hinterlassen. „Happy Birthday“, dazu ein Luftballon-Emoji, mehr nicht. Dies sah der rechte Anwalt Joachim Steinhöfel und twitterte: „Was für eine Überraschung für die gerade Volljährige, als ihr der vielbeschäftigte @beauftragtgg so süß gratuliert.“ Daraus machte dann Benjamin Weinthal, Europa-Korrespondent der Jerusalem Post, eine Kampagne. Er unterstellte dem verheirateten Blume Seitensprungabsichten bis hin zu pädophilen Neigungen. Dabei ist Amy über 30 Jahre alt (auch wenn sie jünger wirkte). Weinthal aber fragte die Stuttgarter Landesregierung, ob sie Blumes „sexuelles Fehlverhalten“ billige.

Weinthal ist für Blume kein Unbekannter. Schon seit Jahren versucht der Journalist, den viele für einen rechten Troll halten, ausgerechnet den Antisemitismusbeauftragten Blume als „Antisemiten“ zu diffamieren. Meist wirft Weinthal ihm vor, nicht entschlossen genug gegen Vorgänge zu protestieren, die Weinthal skandalös findet, etwa die Freiburger Städtepartnerschaft mit Isfahan im Iran.

Der Angriff auf sein Privatleben und die Unterstellung von Ehebruch und Pädophilie war für Blume aber eine neue Qualität. Er forderte Twitter auf, 46 Tweets aus dieser Kampagne zu löschen. Twitter löschte jedoch nur drei der Postings, ohne Begründung für die Auswahl.

Organisation Hate Aid kritisiert Twitter

Josephine Ballon, Rechtsexpertin der NGO Hate Aid, die den Prozess finanziert, kritisiert die Plattform: „Twitter kommt seinen Moderationspflichten offensichtlich nicht nach. Es entsteht der Eindruck, dass Meldungen durch Algorithmen oder künstliche Intelligenz schnell abgelehnt werden, ohne dass sie überhaupt ein Mensch gesehen hat.“ Hate Aid-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg ergänzt: „Das ist leider kein Einzelfall, sondern ein Muster: Wir erleben immer wieder, dass Plattformen gezielte Hasskampagnen trotz Kenntnis einfach laufen lassen und Meldungen der Betroffenen ignorieren.“

Als Anwalt hat sich Blume den Würzburger Chan-jo Jun gewählt, einen der führenden IT-Rechtsanwälte Deutschlands. Er macht eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts von Blume geltend. Den Löschungsanspruch stützt Anwalt Jun auf die Paragraphen 823 Absatz 1 und 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Es geht in Frankfurt also nicht direkt um das seit 2017 geltende NetzDG (Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten in sozialen Netzwerken). Danach ist Twitter zwar auch verpflichtet. Beleidigungen und Verleumdungen binnen einer Woche nach der Meldung zu entfernen. Allerdings können Betroffene dies nicht vor Gericht einklagen. Jun betont jedoch, dass Twitter auch seine NetzDG-Pflichten verletzt habe, zum Beispiel weil Blume keine Möglichkeit angeboten wurde, die Nicht-Löschung der Tweets intern noch einmal prüfen zu lassen. Jun hält es sogar für möglich, dass der neue Twitter-Eigner Elon Musk bereits soviele Mitarbeiter gefeuert oder vergrault hat, dass Twitter schon personell nicht mehr in der Lage ist, seine gesetzlichen Pflichten zu erfüllen.

Anwalt Jun beruft sich auf den Fall Künast

Twitter verteidigt sich gegen Blumes Klage mit dem Hinweis, dass der Account von Benjamin Weinthal bereits seit Anfang Oktober gesperrt ist. Dies war zwar keine direkte Folge von Blumes Beschwerde, weil Weinthal auch viele andere Leute angreift und diffamiert. Allerdings hat die Sperrung von Weinthals Twitter-Account zur Folge, dass auch seine Tweets gegen Blume derzeit nicht sichtbar sind.

Anwalt Jun hält den Eilantrag Blumes dennoch für gerechtfertigt. „Der Account kann jederzeit wieder freigeschaltet werden und dann sind auch alle diffamierenden Tweets wieder da“. Jun verweist auf die Ankündigung von Elon Musk, so wenig wie möglich einzugreifen. Außerdem seien die Diffamierungen längst von anderen Twitter-Nutzer:innen übernommen worden. Jun hat deshalb beantragt, dass Twitter alle identischen oder „kerngleichen“ Äußerungen suchen muss, um diese ebenfalls zu sperren.

Jun kann sich dabei auf ein Urteil des Landgerichts Frankfurt/M. aus dem April berufen. Damals war Facebook im Zusammenhang mit einem manipulierten Zitat von Renate Künast zur Kinderpornografie verurteilt worden, alle identischen und kerngleichen Memes zu suchen und zu löschen. Allerdings hat Facebook/Meta gegen das Künast-Urteil Berufung eingelegt, über die das Oberlandesgericht Frankfurt/M. erst im Juni 2023 verhandelt.

Die Entscheidung im Eilverfahren „Blume gegen Twitter“ wird bereits in den kommenden Tagen erwartet.

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1 Kommentar

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  • Das Landgericht Frankfurt/M. will die Entscheidung in diesem Verfahren vom 14. Dez. 2022 verkünden.