Konzert von Rosalía in Berlin: Flamenco mit Motorrad
Der spanische Popstar Rosalía überzeugt bei seinem Konzert im ausverkauften Berliner Velodrom am Sonntagabend mit einer Performance ohne Mätzchen.
In der spanischsprachigen Welt ist Rosalía Vila Tobella, genannt Rosalía, schon längst ein Star, ach was, ein Superstar. Sieben Latin-Grammys hat die Katalanin eingeheimst, längst ist die 30-Jährige auch im angloamerikanischen Popmainstream gefragt.
Für das Lied „TKN“ hat Rosalía US-Rapper Travis Scott als Duettpartner gewonnen. Den Song „Lo vas a olvidar“ nahm sie 2021 gemeinsam mit Billie Eilish auf, beide fügten ihn auch als ihren gemeinsamen Beitrag zum Soundtrack der HBO-Teenager-TV-Serie „Euphoria“ hinzu.
In den meisten nicht spanischsprachigen Ländern zündet Rosalías Karriere allerdings noch nicht so richtig, zumindest nicht in puncto Albumverkäufe. Weder mit dem Debütalbum „Los Ángeles“ 2017 noch mit dem Zweitling „El ma querer“, veröffentlicht im Jahr danach, konnte die Künstlerin in die Topränge der britischen und deutschen Charts vordringen.
Ihr drittes Album „Motomami“ dümpelte vor ein paar Monaten in Deutschland auf Platz 28, nicht mehr als ein Achtungserfolg. Was etwas verwundert, denn Rosalía hat hierzulande viele Fans. Schon zu daran zu sehen, dass ihr Konzert in Berlin am Sonntagabend ausverkauft ist. 5.000 Zuschauer, überwiegend Twentysomethings, pilgern ins Ufo im Velodrom – angezogen von einer Künstlerin, die etwas sehr Besonderes hat: eine eigenwillige musikalische Handschrift.
Wilder Ritt durch Reggaeton, Bolero und Bacchata
Nun hat Rosalía also die Chance, ihre Vielseitigkeit auf der Bühne zu beweisen. Lautes Motorradknattern kündigt ihr Erscheinen auf der Bühne an, die Sängerin, eingerahmt von ihren Tänzer:innen, stolziert in einem blinkenden Motorradhelm nach vorne. Jedenfalls bis sie ihren ersten Song „Saoko“ singt. Ohne Begleitband, auf die sie erstaunlicherweise verzichtet.
Bei Bedarf greift Rosalía einfach selbst zum Instrument. Für „Dolerme“ spielt sie Gitarre, bei „Hentai“, einem Manifest der weiblichen Lust, setzt sie sich ans Klavier. Später, in der Zugabe, stimmt sie im „Sakura“-Intro noch mal einige Takte auf dem Piano an, bevor ein Pianist übernimmt.
Rosalía live, wieder am 7. Dezember in Düsseldorf, „Mitsubishi Halle“
Über weite Strecken des Konzerts hält Rosalía die Balance zwischen aufgedrehten Uptempo-Clubtracks und melancholischen Balladen. „De plata“ von ihrem Debüt kommt in einem futuristischen Flamenco-Pop-Gewand daher. Ihre neuen Lieder bieten dagegen eine wilde Mischung aus Reggaeton, R&B, Trap, Bolero, Jazz und Bachata, wie charakteristische Rhythmen aus der Dominikanische Republik genannt werden. An Björk lehnt sich Rosalía ebenso an wie an Beyoncé.
Egal, welches Register des globalen Pop sie gerade zieht: Stets bahnt sich ihre prägnante Sopranstimme einen Weg durch die musikalische Kulisse. Das filigrane „G3 N15“ ist zum Dahinschmelzen. Als Rosalía diesen Titel anspielt, dreht sie sich auf einer Scheibe. Obwohl die Musik bei ihr tonangebend ist, verzichtet sie nicht auf Showeinlagen. Doch diese sind verhältnismäßig unprätentiös – wenige Lichteffekte, etliche Choreografien.
Bei „Motomami“ bilden ihre Tänzer:innen ein Motorrad, auf dem die Sängerin nonchalant am Meer vorbei braust. Die ersten Takte von „La Combi Versace“ stimmt sie im Liegen an, das Twerken beherrscht sie genauso gut wie Rihanna. Bloß ist sie keine unberührbare Diva, sondern sucht sehr bewusst den Kontakt zum Publikum.
Zum Anfassen
Einzelne Zeilen aus „La noche de anoche“ lässt sie von textsicheren Fans singen, mehr noch: Die Menschen dürfen sie anfassen und herzen, rasch schreibt sie Autogramme. Danach scheint sich Rosalía jedoch ein bisschen derangiert zu fühlen. Sie nimmt auf einem Friseurstuhl Platz, um sich Haare und Make-up wieder richten zu lassen. Nebenher intoniert sie „Diabolo“ ohne einen winzigen Patzer.
Andere Musikerinnen wären für solch ein Touch-up hinter der Bühne verschwunden, Rosalía gönnt sich keine (Umzieh-)Pausen. Über volle zwei Stunden Bühnenprogramm kommt sie mit einem Outfit aus. Zum hautengen blauen Pullover trägt sie einen ultrakurzen schwarzen Lederminirock und Overknee-Stiefel.
Was auffällt: Von ihrem einstigen Markenzeichen, den überlangen künstlichen Fingernägeln, hat sich Rosalía inzwischen verabschiedet. Vielleicht, weil ihre Inszenierung mehr Natürlichkeit ausstrahlen soll.
Auf jeden Fall wirkt ihr Lachen glaubwürdig, als sie für die Zugabe auf einem Roller zurück auf die Bühne fährt. Mit „Chicken Teriyaki“ zelebriert sie Reggaeton, mit „CUUUUuuuuuute“ klingt der Abend schließlich scheppernd aus. Solche augenöffnenden Momente lassen nicht den geringsten Zweifel daran, dass Rosalía eine Alleskönnerin ist. Ob energetische Banger oder nachdenkliche Momente: Die spanische Künstlerin weiß zu faszinieren – immer! Auf diese Weise gibt sie all jenen Kontra, die ihr vorwerfen, sie habe sich als Katalanin unrechtmäßig den andalusischen Flamenco angeeignet.
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