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Das Potenzial der Immigranten

Das Handwerk will nicht auf den Babyboom nach dem Regierungswechsel warten. Es hat jetzt Nachwuchssorgen – und will sie mit der Integration von Zuwanderern beheben

BERLIN taz ■ Der Auftrag ist noch nicht fertig, aber Ostern steht vor der Tür. Für ein kleines Unternehmen ist das ein großes Problem: Wer findet sich, der seine Familie so lange allein lassen kann? Bei Nilgün Özel ist das in ihrer Paderborner Werbeagentur geregelt: Die Muslime bleiben, die Christen springen bei muslimischen Feiertagen ein. „Eine multikulturelle Belegschaft hat viele Vorteile“, sagt die Chefin. Sie ist Existenzgründerin, Türkin – und die Ausnahme, die die Regel werden soll.

Im Wahlkampf bereitet die Union gerade die alte „Ausländer“-Debatte vor: Nicht Zuwanderer könnten die demografischen Probleme Deutschlands lösen, fordern Unionspolitiker, die Deutschen sollen lieber mehr Kinder bekommen. Gestern sagte die bayerische Sozialministerin Christa Stewens: „Wir überstrapazieren die Integrationsfähigkeit unseres Volkes“ – wenn Einwanderer die demografische Lücke schließen sollen.

Das deutsche Handwerk hat sich hingegen entschieden – es will auf Zuwanderer setzen. Die Auswirkungen der Familienpolitik der Union (siehe Kasten) können die deutschen Meister nicht abwarten. Ab 2007 erwarten sie erheblichen Nachwuchsmangel. Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär des deutschen Handwerks, hält Zuwanderer für besonders viel versprechende Lehrlinge. Denn die Jugendlichen kennen zwei Kulturen und sprechen oft mehrere Sprachen. Sie könnten neue Kundenkreise erschließen.

Die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt soll das Netzwerk „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ befördern. Ins Leben gerufen haben IQ das Bundesarbeitsministerium und die Nürnberger Arbeitsagentur. Bislang wird das Potenzial der Immigranten und ihrer Kinder in Deutschland nicht genutzt: 60 Prozent verlassen die Schule mit nur einem normalen Hauptschulabschluss oder ganz ohne Qualifikation. Die Ausbildungsquote der Jugendlichen liegt bei nur knapp einem Drittel.

Die Unternehmerin Özel erzählte gestern bei der Eröffnung des Integrationsnetzwerks, Zuwanderer seien oft nicht nur flexibler bei der Arbeitszeit. „Ausländische Mitarbeiter können Probleme differenzierter betrachten als Deutsche, sie sind flexibler im Denken“, meinte sie. Die Kenntnisse zweier Kulturkreise und Sprachen seien dabei behilflich. Verschiedene Kulturen sind lediglich verschiedene Betrachtungsweisen auf gesellschaftliche Phänomene.

„Gerade im Zeitalter der Globalisierung sind die interkulturell geprägten Mitarbeiter unverzichtbar“, sagte Heinrich Alt von der Arbeitsagentur. Wenn deutsche Handwerker im Ausland Aufträge akquirieren wollten, brauchten sie Mitarbeiter, die sich mindestens mit der Sprache der Kunden auskennen, besser noch mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Für die Deutschen würde sich die Investition in Zuwanderer auch langfristig lohnen: Migranten machen sich öfter und schneller selbstständig als Deutsche und schaffen damit Arbeitsplätze.

Auf Fürsprecher in einer schwarz-gelben Regierung können die erfolgreichen Migranten ebenfalls hoffen. Die FDP hat den Vorstoß der Union, nach der Regierungsübernahme die Zuwanderung weiter einzuschränken, schon verurteilt. Er gehe völlig an der Realität vorbei, sagte der innenpolitische Sprecher Max Stadler. SOLVEIG WRIGHT

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