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Kunstprojekt an Hamburger KohlekraftwerkDenkmal fürs Verbrennungszeitalter

Gegenüber dem Heizkraftwerk Tiefstack kündigt ein Schild den Bau eines Mahnmals an. Es soll das Ende des fossilen Zeitalters spekulativ vorwegnehmen.

Schöne saubere Zukunft: So würde das „Rückbauwerk Tiefstack“ aussehen – wenn es nicht Kunst bliebe​ Foto: Para

Hamburg taz | Noch thronen die zwei Doppelröhren des 105 Meter hohen Schornsteins des Heizkraftwerks Tiefstack über dem Niederungsgebiet zwischen den Hamburger Stadtteilen Rothenburgs­ort und Billbrook. Aber vis-à-vis, nur ein paar Hundert Meter weiter, einmal übers Wasser der Billwerder Bucht, steht auf einer Wiese im Industriedenkmal Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe schon ein Gerüst bereit. An dem hängt ein Tuch, das die Umrisse eines Betonständers nachzeichnet, der hier einmal stehen und auf dem die Türme des dann stillgelegten Kraftwerks aufgebahrt werden sollen.

Das Denk- und Mahnmal „Rückbauwerk Tiefstack“ soll an das in Zukunft hinter uns gebrachte Zeitalter der Verbrennung fossiler Energieträger erinnern. Das steht auf einem Schild am Gerüst, das zugleich eine kleine Tribüne ist: Wer sich darauf setzt, blickt direkt aufs Kraftwerk, aus dem kleine Dampfwölkchen in den blauen Himmel steigen.

Ein Bauschild am Zaun davor zeigt in der typischen sauberen und glatten Bildsprache illustrativer Renderings, wie das Denkmal einmal aussehen soll. Eine idyllische Szene ist da zu sehen: Ein Mann sitzt auf dem Deich, ein anderer fährt mit dem Fahrrad vorbei, Großvater und Großmutter in Gesundheitssandalen zeigen das Denkmal ihrem Enkelkind. Auf einer Wiese dahinter liegt der einstige Schornstein horizontal auf dem Sockel und im Hintergrund der parkähnlichen Landschaft steht das immer noch monumental wirkende alte Kraftwerk – ohne Schornstein. Logos darunter, unter anderem von der Hamburger Kulturbehörde, geben dem Ganzen ein offizielles Auftreten.

Tatsächlich ist der angekündigte Baubeginn des „Rückbauwerks“ Teil eines Kunstprojekts im Rahmen des Programms „Zurück in die Zukunft – 41 Jahre Kunst im öffentlichen Raum“. Dafür hat die Behörde für Kultur und Medien dieses Jahr einmalig Sondermittel in Höhe von insgesamt 500.000 Euro ausgeschrieben, um Pandemie-gebeutelte Künst­le­r:in­nen zu unterstützen und für die Kunst im öffentlichen Raum „einen Sprung zu neuer Attraktivität und Sichtbarkeit einzuleiten“, so die Behörde.

Das Denkmal

Rückbauwerk Tiefstack: bis März 2023, Hamburg, Industriedenkmal Wasserkunst Kaltehofe, Infos: https://www.p-a-r-a.org

Aufgebaut hat die Installation die Künst­le­r:in­nen­grup­pe Para als Intervention, die die Zukunft vorwegnimmt und das Verbrennungszeitalter zumindest symbolisch schon mal zu Grabe trägt. Schon heute könne man so den Blick zurückwerfen „von einer imaginären Zukunft auf unsere Gegenwart, die bald Vergangenheit sein wird“, schreibt Para. Die Gruppe aus Hamburg, Berlin und Frankfurt am Main befasst sich schon länger mit solchen Zeitverschiebungen, sie erkunde „zukünftige Ruinen, Narrative der Erinnerungspolitik und befragt die Kulturerbe-Tauglichkeit derzeitiger Modi des Zusammenlebens“, schreibt sie: „interdisziplinär, ortsspezifisch und performativ, mit Techniken der Re-Konstruktion und Spekulation, zwischen Forschung und Fiktion“.

Vor vier Jahren war sie zuletzt mit ihrer eigentümlichen Form einer künstlerischen Archäologie des Kommenden in Hamburg aktiv und hat dort am Speersort, dem Ort, an dem einst die Hammaburg lag, aus der sich die Stadt entwickelt hat, vorgeblich nach Resten des – natürlich spekulativen – zukünftigen Nationaldenkmals „Walhalla 2“ gegraben. Die Ergebnisse wurden im in ein „Dokumentationszentrum Zukunft“ verwandelten Künstlerhaus Söötborn in der Ausstellung „Zukünftige Ruinen. Mythos des Möglichen. Walhalla 2 und das deutsche Denkmal ab 2021“ präsentiert. Eine abstruse, aber in sich irgendwie schlüssige Zukunftwelt wurde da entworfen.

Ein weiteres Beispiel: Seit dem Frühjahr lädt Para im Leipziger Grassi-Museum für Völkerkunde mit dem Projekt „Berge Versetzen“ ein, mit einer Crowdfundingaktion die Spitze des Kilimandscharo zurückzugeben. Die hat der Leipziger Kolonialgeograph und Kilimand­scharo-Erstbesteiger Hans Meyer 1889 nach Deutschland verschleppt. Mit dem Erlös aus verkauften Replikaten soll die Rückgabe des tatsächlichen Gipfelstücks ermöglicht werden.

Das „Rückbauwerk Tiefstack“ wiederum baut auf dem Projekt „Haze – Eine Bezeugung in Rauch“ auf, das vergangenes Jahr im Offenbacher Hafen und auf einer Brache vor dem

Heizkraftwerk Wilmersdorf in Berlin stattfand. Als „PARA Emission Evidence Center (PEEC)“ hat die Gruppe dort in einer performativen Installation Beweismittel gesichert „für den kommenden Prozess gegen die Menschheit“ – direkt am „Tatort Kraftwerk“: „Verdächtige Emissionsereignisse in der Geschichte werden rekonstruiert und für die Untersuchungsfragen der Zukunft als Beweiskette erfasst. Weshalb rauchten am Horizont Schlote?“, schreibt das PEEC. Herauskommen soll dabei ein „Psychogramm des Menschen als Rauch erzeugendes Wesen“ und „eine Sammlung flüchtiger Asservate: Säckeweise Qualm, Holzkohlenstaub, brennende Grieben“.

Den Dreck bezeugen

Auch beim behaupteten Mahn- und Denkmal in Hamburg gehe es darum, das fossile Zeitalter und seine Opfer zu bezeugen, erklärt Para-Mitglied Jonas Fischer vor der Baustelle des „Rückbauwerks“. Immer mehr Spuren des Verbrennungszeitalters würden ja verwischt. Aber wenn die Schlote einmal aufgehört haben werden zu rauchen und dampfen, blieben die emittierten Giftstoffe ja noch Jahrtausende unsichtbar in Luft, Wasser und Boden.

Denn das Wärmekraftwerk Tiefstack ist einer der größten Umweltverschmutzer der Stadt. 2013 war es der größte industrielle Treibhausgas­emittent der Stadt, mit fast 1,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich ist es für fast ein Drittel des gesamten Austoßes der großen Industriebetriebe verantwortlich. Was aus dem Kraftwerk wird, ist deshalb wichtig, weil Hamburg seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent reduzieren will. In den kommenden acht Jahren soll auf dem Tiefstack ein „Energiepark“ entstehen und das Heizkraftwerk von Steinkohle auf Gas umgestellt werden, dazu sollen Abwärme aus Industrie und Müllverbrennung und Flusswasser-Wärmepumpen genutzt werden. 2030 soll das Wärmekraftwerk abgeschaltet werden und in Hamburg damit endgültig der Ausstieg aus der Kohleenergie vollzogen sein.

Wie es dann weitergeht auf dem Tiefstack und was aus dem monumentalen Bau des Verbrennungszeitalters wird, ist bislang unklar. Denkbar ist ein Abriss, der aber sei schade, sagt Fischer, eben weil die Stadt damit ihre dreckige Vergangenheit auch einfach aus dem Blickfeld verschwinden lassen würde.

Wer sich bis dahin darüber Gedanken machen will, kann das noch bis zum März auf der Baustelle des Rückbauwerks machen. Und dabei ganz praktisch sehen, welchen Unterschied es macht, einen Tag statt in der Energiekrisen-bedingt sparsam geheizten Wohnung im winterlichen Industriedenkmal zu verbringen und so die in Hamburg bis 2030 benötigte Energiemenge senkt: Wer auf den roten Knopf am Gerüst drückt, kann die mit großer Uhr darüber angezeigte Restlaufzeit des Wärmekraftwerks verkürzen: um genau eine Sekunde.

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