Queere ARD-Talkshow: Fast wie in der Szenekneipe
Mit „Salon Simonetti“ startet der WDR eine neue Talkshow für und von Queers. Darin: gute Gespräche ohne TV-taugliche Konfliktschürung.
Queeres Programm findet mensch im deutschen Fernsehen zwar immer noch wenig, allerdings ist es zuletzt etwas besser geworden. Im Bereich Fiktion haben Serien wie „Loving Her“, „Wir“, „All you need“ und „Becoming Charlie“ Personen aus dem LGBTIQ-Spektrum in den Mittelpunkt gestellt. Im Realitybereich haben wir „Prince Charming“ sowie „Princess Charming“ gesehen und „Queer Eye Deutschland“.
Unterversorgt ist hingegen die klassische Talkshow. Queere Menschen sind in regulären Talkshows zwar hin und wieder geladen, müssen dann allerdings ihre Existenz oft von ganz vorne erklären. Für alle, die jetzt erst zugeschaltet haben: was ist nochmal trans? Der WDR versucht es nun anders, testet mit „Salon Simonetti“ einen Talk von Queers, mit Queers und für Queers. Eine Sendung, in der nicht alles übersetzt werden muss.
Riccardo Simonetti hat zuletzt die Make-up-Reality-Show „Glow Up“ auf ZDF neo moderiert. Nun lädt er donnerstags auf ARD eine halbe Stunde lang zwei Gäste zum Talk. Das Prinzip ist offenbar Glamour trifft Intimität, es soll über Persönliches geredet und dabei gut ausgesehen werden.
In der ersten Folge geht es ums Thema „Ichsein“, zusammen mit Simonetti sitzen Model Alex Mariah Peter und „Quatsch Comedy Club“-Moderator Thomas Hermanns im Studio, das wohl einer Mischung aus Bar, Loft und Wohnzimmer ähneln soll.
Das Gespräch fließt
Ein bisschen ungemütlich ist es da, in der schön gestylten, aber etwas kargen Sitzgruppe, so viel nur kurz zur Stilkritik. Das ist Geschmackssache, aber ein wirklich intimer Plausch fällt vielleicht leichter in einer guten Stube voller Plüsch, Flausch und Nippes, so wie bei Ralph Morgensterns „Kaffeeklatsch“ in den Neunzigern. Ist aber bei dieser Runde nicht nötig, das Gespräch fließt von selbst.
Sowohl Peter als auch Hermanns haben das Talent, einnehmend zu erzählen, Simonetti braucht sie kaum etwas zu fragen. „Ichsein“ heißt hier so viel wie Selbstfindung und Coming-out, ein typisches Einstiegsthema fürs queere Näherkennenlernen, passt also.
„Salon Simonetti“, erste Folge in der ARD-Mediathek und am 25.11. um 0.30 Uhr im Ersten.
Die Paarung ist interessant gewählt und bringt ihre eigene Dynamik ins Gespräch. Die 25-jährige „Topmodel“-Gewinnerin Peter repräsentiert eine ganz andere Generation von Queers als der 59-Jährige Hermanns, zu dessen Coming-out noch der Paragraf 175 galt. Andererseits genießt Hermanns in der Jetztzeit als schwuler cis Mann mehr Privilegien als die trans Frau Peter.
Zum Glück verzichtet Simonetti darauf, die generationellen und identitären Unterschiede zu fernsehtauglichen Konflikten aufzubauschen. Stattdessen entwickelt die Sendung eine Dynamik des gegenseitigen Erzählens und Zuhörens, Teilhabens und Anerkennens.
Fürs Fernsehen vielleicht zu friedfertig, aber auch kuschlig und wohltuend. Alex Mariah Peter erzählt von dem Kinderbuch „Das kleine ich bin ich“ von Mira Lobe, das sie geprägt habe. Und dass sie sich dennoch, wenn sie könnte, aussuchen würde, cis zu sein und nicht trans. „Weil es eben einfacher ist.“
Thomas Hermanns erinnert sich an seine Zeit in einer schwulen Politgruppe, in der es unpopulär war, Schwulenbars zu besuchen – „es hieß, die Subkultur beutet queere Leute aus“. Er sei aber natürlich trotzdem hingegangen.
Plauderei ohne Suff
Zwischendurch kommt ein Einspieler als Formatpunkt: Simonetti spielt sich selbst und alle seine Ängste, Zweifel und toxischen Energien als Personen im Streit miteinander. Das ist süß, allerdings hätte das Gespräch diese Zwangpause in seiner Dynamik nicht gebraucht.
Dass Thomas Hermanns im Kapuzenpulli erscheint, während Simonetti und Peter Glamour tragen; dass jede*r woanders herkommt, etwas anderes erlebt und zu erzählen hat; dass man sich trotzdem nicht zwingend streiten muss: All das führt bei „Salon Simonetti“ irgendwann zu dem Gefühl, dass man wirklich in einer Szenekneipe versackt und mit jemandem ins Gespräch gekommen ist. Nur gesoffen wird weniger.
Natürlich läuft „Salon Simonetti“ um 0.30 Uhr. Das ist im Fernsehen der Deal. Unterfordere, oder verzieh dich ins Nachtprogramm. Man kann nur hoffen, dass es sich um einen Testballon handelt. Der WDR hat nur fünf Folgen angekündigt. Auch die halbstündige Länge und das etwas lieblose Studio weisen auf ein Experiment hin.
Vielleicht schafft es „Salon Simonetti“ auf einen festen Platz und bringt es zu mehr Länge. Gebraucht wird ein queerer Talk auf jeden Fall. Ralph Morgenstern ist viel zu lange her.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene