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Neues Album von Popstar M.I.A.Die armen Sendemasten

M.I.A. ist ein Weltstar des schrillen Pop. Leider hat sie nicht erst im Promorummel um ihr neues Album „MATA“ etwas den Bezug zur Realität verloren.

Hirn einschalten nicht vergessen: Mathangi Arul­pra­ga­sam alias M.I.A Foto: Universal Music

Vielleicht aus Nostalgie zeigt man sich dieser Tage geneigt, Kommentare zum Stand der nationalen britischen Selbstauflösung wenn nötig zu vermeiden. Nicht erst seit dem Brexit-Entscheid hängt der Haussegen auf der Insel schief. Ob das unter König Charles III. besser wird?

Die Wochen seit dem Tod der Queen brachten jedenfalls mit Rücktritten von Kabinettsmitgliedern und der Premierministerin im Wochenturnus keine Entspannung. Den Soundtrack zum Desaster, so scheint ist, liefert indes Mathangi Arul­pra­ga­sam alias M.I.A. – eigentlich britische Vorzeigekünstlerin mit südasiatischer Migrationsgeschichte. Die Tochter eines militanten Tamil Tigers aus Sri Lanka wurde als Graffitikünstlerin entdeckt, nahm mit „Arular“ (2005) und „Kala“ (2007) zwei vielbeachtete Alben auf und avancierte in der Folge zum weltweit bekannten Diaspora-Popstar – inklusive ikonischen Super-Hits „Paper Planes“.

In der Rolle als Star, zumindest als Vorbild versagte M.I.A. in der Zwischenzeit häufiger; jedenfalls wenn man seine Sternchen und Idole glatt geschliffen und ohne Widersprüche mag. Arulpragasam tritt regelmäßig als scharfe Kritikerin des globalen Kapitalismus und Imperialismus auf, sie idealisiert die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und ist bekennende Unterstützerin der Anti-Israel-Lobby BDS.

Jagd auf Rothaarige

Zusammen mit dem französischen Regisseur Romain Gavras (aktuell bei Netflix mit seinem Film „Athena“) hat sie im Clip zum Song „Bad Girls“ eine Parabel auf den Rassismus geschaffen: Im Video werden rothaarige Menschen schikaniert und gejagt. Das alles muss man nicht gutheißen; die Musik war stets in Ordnung. M.I.A. stand einst für einen innovativen Mix aus HipHop und Globalpop, hyperaktiv, samplelastig und manchmal versetzt mit geschickt gesetzten Klängen vom südasiatischen Subkontinent.

Das neue Album

M.I.A.: „MATA“ (Island/Universal)

Bevor wir also gleich zur neuerlichen Selbstdemontage kommen, reden wir erst mal über Musik: „MATA“ heißt das neue Album und bietet zuvorderst genau das, was man von M.I.A. gerne hört. Die ersten 30 Sekunden des Auftaktsongs „F.I.A.S.O.M. Pt. 1“ gehören einer indischen Ban­suri, die mit ihren Flötentönen zum Krach hochgeschraubt wurde: Noise, exotisch anmutende Sounds und Tablabeats. So weit, so bekannt. Schon bald gibt es Rap im sattsam bekannten M.I.A.-Gestus.

Der Popstar beherrscht auch heute noch die Kunst, seine frontale Musik mit Ornament und Dekor zu versehen, die Sounds genau im richtigen Moment mit radical chic zu überfrachten und dann als hochenergetische Tracks in den Radioäther zu senden. Zumal die globalisierte Welt dem englisch phrasierten Sprechgesang immer noch zugetan ist – wie ja auch der Erfolg von Kae Tempest zeigt. Musikalisch kann man der 47-jährigen Künstlerin eigentlich kaum einen Strick daraus drehen.

Wie vor 15 Jahren

Nun ja, der M.I.A.-Sound hat sich in fast zwei Dekaden auffällig wenig geändert; jeder zweite Track auf dem neuen Album klingt genau wie das Material von „Kala“, immerhin 15 Jahre alt. Deswegen wirkt die Musik zwar müde, aber eben noch nicht des Abgesangs würdig.

Problematischer ist da schon, dass Arulpragasam spätestens durch die weltweite Covid-19-Pandemie – wie sagen wir Klosterschüler noch mal vorsichtig? – eine Sicherung durchgebrannt ist. Sie würde lieber sterben, als sich impfen zu lassen, war eine ihrer Aussagen. Eine andere beschäftigte sich mit der 5G-Telekommunikationstechnologie und ihrer Auswirkung auf den menschlichen Körper – angeblich seien die neuen Sendemasten für Covid-19 verantwortlich. Amüsante Denke für eine Künstlerin, die sonst wegen Powerplay im Radio und Breitband-Strea­ming auf reibungslos funktionierende Technik von Sendemasten angewiesen ist.

Den Vogel schoss die Britin aber rechtzeitig vor Veröffentlichung ihres neuen Werks ab, als sie zeitgleich den rechten US-Verschwörungstheoretiker und Trump-Hilfssheriff Alex Jones verteidigte und Wissenschaftler:Innen, die zum Covid-Virus forschen, hinter Gittern wünschte. Angesichts der Privilegien, die Arulpragasam als Weltstar genießt, ein Hohn – für ihre alten Fans und für alle, die unter der Pandemie im besonderen Maße gelitten haben. Oder wollte die Nervensäge bloß die Werbe­trommel anwerfen?

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6 Kommentare

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  • Die Nummer mit den Rothaarige war zu "born free", nicht bad girls.

  • Ist die verwandt mit Nena?

  • Schade, dass sie nicht mehr alle Latten am Zaun hat.

    Ich mag die beiden alten Alben und finde, dass sie trotz ihres BDS-Fimmels eine große Künstlerin ist.

    Über Kae (f.k.a. Kate) Tempest oder Cat Power lässt sich genau dasselbe sagen.

    Künstlerin sein bedeutet eben nicht automatisch besonders reflektiert zu sein.

    • 0G
      04405 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      den globalen Kapitalismus geißeln und zwischendurch einen schwer reichen Oligarchen ehelichen ist auch nicht so richtig schlüssig. Wer kann, der kann.

      Ob man die gute Maia neben Morrissey, Ryan Adams oder Mark Kozelek ob ihrer fortgesetzten Verfehlungen ins Abseits stellen wird oder nicht, da darf man auch sehr gespannt sein. Quod licet jovi non licet bovi.

      • @04405 (Profil gelöscht):

        Was will man machen?

        Wer ist schon perfekt?

        Für Vollblutfanatiker wie Roger Waters kann ich nur Verachtung empfinden.

        Bei den anderen im Raum stehenden Namen würde ich vorerst Künstler und Werk getrennt betrachten.

        Zumindest so lange es nicht schlimmer wird.

        • 0G
          04405 (Profil gelöscht)
          @Jim Hawkins:

          hier gibt es ein kleines Problem: Zumindest bei Maya und Morrissey, vermutlich auch bei Kate Tempest ist explizit die Trennung von Werk und Autor unerwünscht: Die provokativen Thesen sorgen für jede Menge Aufmerksamkeit, natürlich nicht für die Thesen, sondern für das Werk.

          Die Trennung von Werk und Autor wird erst wieder interessant, wenn es nach hinten in den Shitstorm losgegangen ist. Deswegen würde ich dafür plädieren, steile gesellschaftspolitische Aussagen von Musikern konsequent als das zu rezipieren, was sie sind: Guerilla-Marketing.