Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit: Das Ende „meiner Zeit“
Im Jahr 2040 werden immer mehr Männer aus der Macht und der Verantwortung gedrängt. Es ist wirklich nicht alles schlechter als früher.
F rüher wollten alle wissen, was sie erwartet, heute haben die meisten schon von der Gegenwart genug. Wir blicken trotzdem einmal im Monat immer ein Jahr voraus
Wir schreiben das Jahr 2040. Ich habe das Gefühl, dass eine Gegenwart, in der BWL-Studierende im Gesicht tätowiert sind wie zu meiner Zeit nur Unholde und Matrosen, beim besten Willen nicht mehr meine Zeit ist. „Zu meiner Zeit“ ist seit jeher eine verräterische Formulierung, denn mit ihrem immanent leberwurstigen Unterton impliziert sie klar, dass „meine Zeit“ eigentlich vorbei ist.
Das ist ja auch korrekt. Ich führe nicht mal mehr ein Drohnendasein. Eine Drohne dient wenigstens noch einem Zweck, nämlich dem, die Königinnen zu begatten. Doch dafür sind jetzt ausschließlich die „Spermster“, junge Befruchter aus dem Edelkaffeemilieu um „The Wank Coffee Roasters“ zuständig, während ich damals sofort den Vorschlag des Ministeriums für Geschlechtergerechtigkeit angenommen hab.
Jeder über 50-Jährige, der sich vasektomieren lässt, bekommt zehn Euro Rente mehr, sowie einmalig einen 200-Euro-Gutschein für den Baumarkt. Seit 2030 ist diese Maßnahme Teil des „Pakets der sozialen Vernunft“, das ältere Männer sukzessive aus der Macht, aber auch aus einer Verantwortung entlässt, der sie ohnehin nie gewachsen waren. Das hat die Geschichte nachdrücklich bewiesen.
Zunächst war nur eine Art Funktionärsführerschein, im Volksmund „Penis-Pappe“, geplant, um die Einflüsse charakterlich ungeeigneter Personen in Politik, Sport, Kultur, Justiz, Medien und Wirtschaft einzuschränken. Doch die Gemeinten stellten sich die Dinger einfach selbst aus. Also musste ein restriktiveres Instrument her: Entlassung, Entmündigung und Einschläferung – wer nicht hören will, muss sterben.
Nun sitze ich seit sieben Jahren zu Hause und helfe meiner Hausnymphe Apocalypso beim Bügeln der Taschentücher. Ich habe ja so viel Zeit, schließlich veröffentliche ich nicht mehr. Längst gilt meine Perspektive pauschal als uninteressant. Immerhin konnte ich sie bereits jahrzehntelang verbreiten; es ist nur fair, dass jetzt auch mal Andere dran sind. Ich darf sogar weiterleben, weil ich zum Glück nie besonders wichtig war.
Nach heutigen Maßstäben wirkt es allerdings auch absolut bizarr, dass man selbst noch in den 2020er Jahren Typen, die man auf der Straße noch nicht mal nach dem Weg fragen würde, die Geschicke ganzer Imperien in die altersfleckigen Pfoten legte. Nein, heute ist wirklich nicht alles schlechter als zu meiner Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Nach Hinrichtung von Jamshid Sharmahd
„Warum haben wir abgewartet, bis mein Vater tot ist?“
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede